In Kriminalfällen erstellt man als erstes eine sogenannte Chronologie: Wer hat was wann getan oder zu wem gesagt? Legt man dieses Verfahren auf die Affäre um den Verfassungsschutz (BVT) um, entsteht ein interessantes Bild. Da es vorläufig keinen U-Ausschuss dazu gibt, machen wir uns hier die Mühe.

Am Anfang steht ein sogenanntes Dossier, das im Mai 2017 an die Staatsanwaltschaft Wien, an Journalisten und offenbar später an die Korruptionsstaatsanwaltschaft verschickt wurde. Die darin enthaltenen schweren Vorwürfe haben den ehemaligen Präsidialchef und Kabinettschef des Innenministeriums, Michael Kloibmüller (ÖVP), als Zentralfigur.

Der anonyme Anzeiger ist angeblich ein hoher ehemaliger Beamter des Verfassungsschutzes, der seit einem Jahr in Karenz ist. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Es geht angeblich um schweren Missbrauch von Geldern, u. a. für Lösegeld bei Geiselbefreiungen im Ausland. Mit diesen Geldern sollen auch ministeriumsinterne Partys finanziert worden sein, als deren, teilweise genötigte, Teilnehmerinnen wird praktisch die gesamte weibliche Belegschaft von Kloibmüllers Arbeitsbereich angeführt. Beweise dafür gibt es nicht. Einige der Vorwürfe haben sich bereits als absurd herausgestellt, insgesamt sah die Staatsanwaltschaft Wien im November 2017 keinen Grund, die Vorwürfe weiter zu verfolgen. Schon vorher hatte der Chef des BVT, Peter Gridling, von der Staatsanwaltschaft Wien den Bescheid erhalten, dass keine Ermittlungen gegen ihn eingeleitet würden.

Aber nun übernimmt die FPÖ das Innenministerium, und plötzlich werden die Vorwürfe des anonymen Anzeigers wieder ernst genommen. Besonders setzt sich der neue Generalsekretär des Innenministeriums, Peter Goldgruber, für eine Neuauflage der Ermittlungen ein. Goldgruber ist Mitgründer der FPÖ-Polizeigewerkschaft AUF. Er wendet sich an die Korruptionsstaatsanwaltschaft und übergibt ihr ein Konvolut mit "anonymen Eingaben". Außerdem meldet er der Korruptionsstaatsanwaltschaft, es gäbe nun Zeugen, die das anonyme Konvolut mit Aussagen untermauern wollen. Zwei dieser Zeugen erscheinen auch Ende Februar bei der Staatsanwaltschaft. Sie werden von Udo Lett, einem Mann aus Innenminister Kickls Kabinett, als "Vertrauenspersonen" begleitet. Daraufhin kommt es zu der berühmten Razzia, bei der Unmengen von Daten beschlagnahmt werden, auch die der Leiterin des Extremismusreferats, die gar keine Beschuldigte ist. Leiter der Razzia ist ein FPÖ-Funktionär, der sich auf rechtsextremen Websites herumtreibt.

Praktisch gleichzeitig wird BVT-Chef Gridling zwar wiederbestellt, aber suspendiert. Gridling hat in früheren Berichten auf die Zunahme rechtsextremer Aktivitäten hingewiesen. Nun lässt ein rechter Minister mit einem rechten Generalsekretär bereits abgelegte Vorwürfe gegen Gridling und Co neu aufleben. Dabei leitet ein äußerst rechter Polizeifunktionär die Hausdurchsuchungen, bei denen u. a. Material jener Beamtin einkassiert wird, die für Rechtsextremismus zuständig ist. (Hans Rauscher, 23.3.2018)