NGOs fordern das Recht auf saubere Luft – und erhalten Rückendeckung von den Höchstgerichten.

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Wien – Die jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (C-664/15 "Protect") und des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH Ra 2015/07/0074-6 "Ökobüro/Luftreinhalteplan Sbg") schlagen in zwei voneinander unabhängigen Anlassfällen in dieselbe Kerbe: Die Aarhus-Konvention, die sich zur Aufgabe gemacht hat, der Öffentlichkeit eine gewichtigere Rolle in Umweltverfahren einzuräumen, ist in Österreich legistisch bisher nicht ausreichend umgesetzt worden.

In unionsrechtlich determinierten Umweltverfahren sind der betroffenen Öffentlichkeit – insbesondere Umweltorganisationen – Parteien- und Überprüfungsrechte einzuräumen: "access to justice".

Die meisten Umweltjuristen hat dies nicht überrascht, das klare Bekenntnis der EU zu Umweltschutz und Öffentlichkeitsbeteiligung war früh erkennbar. Dennoch wurde seit der Ratifikation der Aarhus-Konvention durch Österreich 2005 ein teils heftiger Diskurs über "access to justice" geführt.

Letztlich ging es immer um die zwei oft gegensätzlich erscheinenden Interessen Wirtschaft und Umweltschutz – man denke nur an die Diskussion zur Einführung einer neuen Staatszielbestimmung "Wirtschaftsstandort" als Nachklang der Entscheidung zur dritten Piste.

Zwei Argumentationslinien

Der späte Erfolg für die Umwelt geht einigen nicht weit genug. Sie begehren eine Überprüfung bereits rechtskräftig entschiedener Genehmigungsverfahren. Gestützt werden solche Anträge in der Regel auf zwei unterschiedliche Argumentationslinien: Die einen behaupten, als Mitglied der betroffenen Öffentlichkeit übergangene Partei eines bereits abgeschlossenen Verfahrens zu sein, weil ihnen eine Parteistellung bereits mit Inkrafttreten der Aarhus-Konvention zugestanden wäre.

Die anderen wählen den Weg über die unmittelbare Anwendbarkeit von Unionsrecht und behaupten, dies gelte nicht nur für generelle Normen, sondern eben auch für individuelle Rechtsakte.

Die dabei vorzunehmende Abwägung zwischen Rechtssicherheit und Rechtsschutz ist keineswegs neu. Der EuGH setzte sich mit dieser Problematik bereits 2004 (Rs C-453/00 "Kühne & Heitz") auseinander und hat seine Rechtsprechung seitdem mehrfach bestätigt.

Nur in besonderen Fallkonstellationen, so der Gerichtshof, sei es möglich bzw. notwendig, der Effektivität des Unionsrechts den Vorrang vor der Rechtssicherheit für den Projektwerber einzuräumen. Folgende Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein, damit die Rechtskraft einer Genehmigung durchbrochen wird:

Die NGO muss versucht haben, Parteistellung zu erlangen, und hat sämtliche Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschöpft. Die ergangene letzte Entscheidung des VwGH – bzw. bei Nichtzulassung der Revision des Verwaltungsgerichts – beruht auf falscher Auslegung des Unionsrechts. Trotz entgegenstehender Verpflichtung wurde kein Vorabentscheidungsersuchen gestellt. Im nationalen Recht bestehen Rechtsvorschriften, nach denen Abänderung rechtskräftiger Bewilligungen möglich ist. Auch eine zeitliche Nähe zwischen EuGH-Urteil und Anfechtung des "Altbescheids" muss vorliegen.

Viele Fälle werden dies nicht sein. Das liegt aber weniger daran, dass Umweltorganisationen in der Vergangenheit nicht versucht hätten, in derartige Verfahren einzusteigen, sondern generell an der überschaubaren Zahl an Verfahren, an denen sie sich beteiligen.

Kein Grund zum Fürchten

In diesem Licht ist nicht zu befürchten, dass durch die beiden aktuellen Entscheidungen und die daraus erwachsenden Beteiligungsrechte eine straffe Verfahrensführung in Zukunft nicht mehr möglich ist. Jenen Projektwerbern, die im Einzelfall von einer Rechtskraftdurchbrechung betroffen sind, nutzt diese Einsicht freilich wenig, würde doch ihr bereits rechtskräftiger Bescheid gekippt. In solchen Fällen wäre der Gesetzgeber berufen, eine Regelung nach dem Vorbild des § 46 Abs 26 UVP-G zu erlassen. Nach der EuGH-Entscheidung "Karoline Gruber" von 2015, welche die Bindungswirkung von Feststellungsbescheiden beseitigte, waren einige Bescheide aufzuheben. Für diese Härtefälle sah der Gesetzgeber ein Fortbetriebsrecht für Anlagen bis zur Erlassung eines Ersatzbescheids vor. (Dieter Altenburger, 26.3.2018)