Foto: Der Standard

Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit ein Fotoalbum allgemein lesbar wird, wenn es dem individuell-fotografischen Kontext entrissen wurde, der gleichzeitig mit dem Verlust einer – das Album meist begleitenden – oralen Erzähltradition einhergeht? Diese prinzipielle Fragestellung erläutert und analysiert die Autorin und Historikerin Vida Bakondy im Prolog ihres Buches Montagen der Vergangenheit. Fototheoretiker Stuart Hall meint in diesem Zusammenhang, dass aus der Praxis, durch eine individuelle Verortung eines Bildes – sei es durch Integration in ein Album, eine Ausstellung oder ein öffentliches Archiv -, dieses eine neue, andere Bedeutungsgeschichte erhält. Anton Holzer definiert "Bruchlinien" wie Heirat, Todesfälle oder Exil als Anlässe, das fotografische Erbe neu zu ordnen.

Das persönliche Moment mutiert im gegebenen Fall zum exemplarischen. Vida Bakondy beschäftigte sich nämlich mit zwei zufällig Mitte der 1990er-Jahre auf einem Pariser Flohmarkt gefundenen Fotoalben der 1938 vertriebenen, ehemals erfolgreichen Wiener Hakoah-Schwimmerin Fritzi Löwy. Jene Alben, die Löwy erst nach ihrer Rückkehr aus dem Exil 1947 erstellt hat, sind der Erinnerung an ihre eigene Flucht vor der NS-Verfolgung sowie dem Gedenken an Familienmitglieder, Freunde und Freundinnen gewidmet, die im Holocaust ermordet wurden oder durch Flucht und Exil über die Welt verstreut wurden.

Historikerin Bakondy diskutiert Potenziale und Grenzen von Fotoalben als historische und biografische Quellen sowie als spezifisches Erinnerungsmedium – mit dem Fokus auf Fragen zur Darstellung von Holocaust und Exil. Löwys Alben eröffnen nicht nur eine neue, sehr persönliche biografische Perspektive auf den einstigen Schwimmstar der Wiener Hakoah, sondern sie schaffen auch neue Erzählungen im Bereich des (visuellen) Gedächtnisses über NS-Verfolgung und Holocaust in Österreich. (Gregor Auenhammer, 26.3.2018)