Loudon Wainwright III veröffentlichte 1986 sein Album "More Love Songs" – reiner Zynismus mit wahrem Kern.

Demon Records

Eine gute Geschichte ist die halbe Miete, gerade in der Folk-Music, schließlich war das Fach immer nah am Leben dran. Die Geschichte sollte also auch jemand verstehen, der nach zwölf Stunden gerade vom Feld kam. Devendra Banhart oder Joanna Newsom in Ehren, aber aus ihnen wäre früher einmal nichts geworden.

Dünner Bob Geldof

Gute Geschichten erzählt Loudon Wainwright der Dritte. Manchmal reicht eine seiner Zeilen, um einen zu erwischen. So geschehen im Falle von "More Love Songs". Ein Jahr nach dem gigantischen Live-Aid-Benefiz eröffnete Wainwright sein Album mit dem Song "Hard Day On the Planet". Schon der Titel kling wie eine Einladung, betrifft er uns doch alle. Und dann kommt in dem Song die schöne Zeile vor: "Even Bob Geldof looks alarmingly thin." Geldof war Initiator von Live Aid, mit dem Riesenbenefiz wollte er den Hunger in Äthiopien bekämpfen.

Loudon Wainwright III: "More Love Songs".

Wainwright ist ein US-amerikanischer Singer-Songwriter. Er ist der Vater von Rufus und Martha Wainwright, die beiden gingen aus seiner Ehe mit der kanadischen Folksängerin Kate McGarrigle hervor. Die Ehe wurde geschieden, das Verhältnis der Kinder zum Vater dürfte nicht zum Besten stehen: Martha widmete ihm das Lied "Bloody Mother Fucking Asshole". Zu der Familienaufstellung fährt man wohl am besten im Panzer.

In dem Lied beklagt sie, dass ihr Vater zwar dauernd über seine Familie Songs schreibt, seinen väterlichen Verpflichtungen aber nicht nachkommt. Ein solcher Song taucht auf "More Love Songs" auf, es ist das anrührende "Your Mother and I".

Loudon Wainwright III: "Your Mother and I".
kenny3983

Wainwright veröffentlichte sein Debütalbum 1970. Er etablierte sich damit im Nu als scharfsinniger, zum Zynismus neigender Geist, der seine Sujets mit Witz und gnadenloser Offenheit behandelte. Das kippte mitunter ins Novelty-Fach, wie sein berühmter Song "Dead Skunk" beweist.

Loudon Wainwright III: "Dead Skunk".
Rick Rogan

Seine Bekanntheit multiplizierte eine Rolle, die er in der extrem populären US-Serie "M*A*S*H" spielte. Die Handlung von "M*A*S*H" war zwar im Koreakrieg angesiedelt, ließ sich aber problemlos auf den Vietnamkrieg übertragen, in dem die USA gerade Negativgeschichte schrieben. Der heute 71 Jahre alte Wainwright spielte darin den singenden Chirurgen Calvin Spalding.

Fans in England

In den 1980ern nahm Wainwright ein paar Alben in England auf, John Peel war seit den 1970ern Fan, Wainwrights Humor konvenierte mit dem britischen – eine Bank.

"More Love Songs" ist das beste dieser Zeit, aufgenommen mit einer Riege exzellenter Musiker wie Bassman Danny Thompson und dem Fairport-Convention-Mitbegründer Richard Thompson. Danny Thompsons Stehbass eröffnet das Album. Nachdem Wainwright eingezählt hat, biegt er seine Saiten, zart angejazzt, aber keinen Moment die Schmerzgrenze berührend. Dann hebt Wainwright an und bespricht den Zustand der Welt.

Loudon Wainwright III: "Hard Day On the Planet".
thevzh

Der war damals schon nicht so super, wobei ein Ronald Reagan im Vergleich zum aktuellen Potus ja nachgerade eine Lichtgestalt war. Der Blick von außen – von England – machte seine Songs noch schärfer.

Schnellschuss beim Wirten

Stilistisch ist das Album breit gefächert. "Synchronicity" schielt rüber nach Bluegrass, "I Eat Out" ist ein eloquenter Schnellschuss. Darin geht er als Außenseiter zum Wirten essen, singt, was ihm passiert, was er sieht, wer sonst noch rumsitzt.

Lieder übers Essen – nie schlecht.
Arihui

Wofür ein Beck ein paar Jahre später in den Himmel gelobt wurde, ist hier schon zu finden. Eine stilistische Vielfalt, schräges Songwriting, verwegene Perspektiven. Das zeitigt großartige Songs wie "Unhappy Anniversary" – ein Trennungslied der anderen Art, in dem sich wohl jeder irgendwie wiederfinden kann.

Ein etwas ungewöhnliches Video, aber das einzige, auf dem der Song ganz drauf ist.
Victor Scherb

Viele dieser Songs haben persönliche Hintergründe, sogar sich selbst gegenüber gibt er sich gnadenlos. "Overseas Calls" ist so ein Song. Die Sehnsucht eines gebrochenen Herzens in der Fremde, das mit profanen Widrigkeiten wie Zeitzonen kämpft: "A few days ago, I called you up/ I'm afraid that I woke you up too / The connection was clear / But we didn't connect / I hung up, feeling hung up and blue."

Bonustrack mit Acid

Zwar war und ist Wainwright im Herzen ein Folkie, doch, seiner Entstehungszeit geschuldet, tauchen sogar Synthesizer auf dem Album auf. Das muss man mögen. Andererseits setzt er sie so ein, dass es erträglich bleibt. Das Album ist leicht zu kriegen, die CD-Version hat mit "The Acid Song" ein launiges Lied zum Thema extra parat.

Acid oder doch lieber Pilze?
This Is Music

Auch das könnte gut und gern von Beck stammen, wenn man an dessen "Satan Gave Me a Taco" denkt – aber natürlich ist es, wenn, dann umgekehrt, und Beck hat sich vielleicht etwas abgeschaut, soll sein. Loudon Wainwright III ist vielleicht kein guter Vater, gegen seine Kunst gibt's nicht viel zu sagen. (Karl Fluch, 4.4.2018)