Österreichs religiöse Landschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Während in der öffentlichen Debatte vor allem der Anstieg der Muslime thematisiert wird, gerät ein anderes – zahlenmäßig bedeutsameres – Phänomen aus dem Blick: Kirchenaustritte. Sie sind ein Hauptgrund für den Rückgang des Katholikenanteils von 90 Prozent (bis in die 1970er-Jahre) auf heutzutage rund 60 Prozent – oder in absoluten Zahlen von 6,5 Millionen im Jahr 1971 auf 5,2 Millionen im Jahr 2016 (siehe Abbildung unten). Die stärkste Austrittswelle in den letzten sechzig Jahren liegt dabei noch nicht lange zurück: Nach Bekanntwerden von zahlreichen Missbrauchsfällen in katholischen Einrichtungen verließen im Jahr 2010 rund 86.000 Personen die katholische Kirche. Seither ging die Austrittsrate nicht mehr auf das Level vor dieser Austrittswelle zurück, sondern pendelte sich auf höherem Niveau ein.

Entwicklung der katholischen Kirche in Österreich 1960–2016. Quellen: Katholikenzahl (Amtsblätter der österreichischen Bischofskonferenz und Volkszählungen); Taufen (Amtsblätter); Austritte (Amtsblätter); Personen ohne Bekenntnis (1961–2001 Volkszählungen; 2011 Projektionen Anne Goujon, ÖAW).
Grafik: C. Berghammer, U. Zartler und D. Krivanek

Vor diesem Hintergrund untersuchten meine Kolleginnen Ulrike Zartler von der Universität Wien, Desiree Krivanek von der ÖAW und ich in einer kürzlich publizieren Studie die Gründe für Kirchenaustritte in Österreich. In qualitativen Interviews berichteten 19 Befragte, die aus der Kirche ausgetreten waren, über die Gründe für ihre Entscheidung zum Kirchenaustritt. Die quantitative Datenbasis war eine repräsentative Stichprobe von rund 2.800 Befragten, erhoben von der Statistik Austria. In dieser Umfrage wurden dieselben Personen in den Jahren 2008 und 2012 befragt. Auf Basis der aus den qualitativen Interviews gewonnenen Einsichten bildeten wir ein statistisches Modell, um zu analysieren, wodurch sich Personen, die weiterhin Kirchenmitglieder blieben, von jenen unterschieden, die zwischen den beiden Erhebungen ausgetreten waren.

Verbundene und distanzierte Austreter

Dabei konnten wir zwei Typen von Kirchenaustretern erkennen: distanzierte und verbundene Austreter. Für die erste Gruppe war der fehlende Glaube das zentrale Motiv für den Kirchenaustritt, sie bezeichneten sich auch häufig als Atheisten oder Agnostiker. Wie ein 22-jähriger Mann festhält: "Wenn ich daran nicht glaube, warum soll ich dann noch in der Kirche bleiben?" Für distanzierte Kirchenaustreter – es sind dies eher Männer – war der Austritt eine klare, rasche Entscheidung. Die zweite Gruppe, verbundene Austreter, unterscheidet sich von der ersten vor allem dadurch, dass sie im Privaten gläubig sind, auch wenn sie nur selten einen Gottesdienst besuchen. Sie trennen entsprechend zwischen der Kirche als Institution und ihrem Glauben. Eine 25-jährige Frau erklärt: "Ich kann genauso gut austreten und genauso gut gläubig sein, mit oder ohne Kirche."

Bei verbundenen Kirchenaustretern spielt der Kirchenbeitrag eine wichtige Rolle für ihre Austrittsentscheidung. Manche stellen in diesem Zusammenhang Kosten-Nutzen-Überlegungen an, wie diese 65-jährige Frau: "Es war wirklich so, dass ich von der Kirche nichts gehabt hab', und dann hab' ich mir gedacht, warum soll ich bei dem Verein dabei sein?" Auch ist der Kirchenaustritt für verbundene Austreter – es sind dies eher Frauen – öfter ein längerer und mit Zweifeln behafteter Prozess. Häufiger als distanzierte Austreter haben verbundene Austreter einen religiösen Familienhintergrund, wodurch (vermutete) familiäre Erwartungen für die Austrittsentscheidung von Bedeutung sind: "Wie bring' ich das meiner Mutter bei?" (Mann, 54 Jahre). Kirchliche Übergangsriten wie Heirat oder Beerdigung sind für verbundene Austreter zudem wichtiger als für distanzierte.

Beiden Gruppen ist aber gemeinsam, dass sie kirchliche Moralvorstellungen großteils ablehnen – Lehre zu Homosexualität, Abtreibung, Verhütung – sowie die Organisation der Kirche kritisieren – Frauenpriestertum, Zölibat, Hierarchie. Beide Gruppen haben zudem kaum Kontakt mit der Kirche und deren Vertretern, wodurch einzelne Begegnungen, zum Beispiel mit der Kirchenbeitragsstelle oder im Rahmen des Erstkommunionsunterrichts, sehr bedeutsam werden.

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Wer aus der Kirche austritt, lehnt ihre Moralvorstellungen großteils ab.
Foto: REUTERS/Clodagh Kilcoyne

Katholisches Land mit immer weniger Katholiken

Welche zukünftige Entwicklung können wir angesichts des beschriebenen Rückgangs in der Katholikenzahl erwarten? Manche Kirchenvertreter hegen die Vision eines Lebens in kleinen, gläubigen, intensiv verbundenen Gemeinden, ähnlich der Urkirche. Ein solches Szenario ist durchaus wahrscheinlich, wenn auch nicht in naher Zukunft, denn der Prozess der Schrumpfung ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Dafür sprechen nicht nur aktuell hohe Austrittsraten und ein sinkender Anteil von Taufen – der wichtigsten Quelle an neuen Mitgliedern –, sondern auch ein zukünftig hohes Austrittspotenzial: Wie der Pastoraltheologe Paul M. Zulehner nachwies, hat rund ein Drittel der Kirchenmitglieder bereits über einen Kirchenaustritt nachgedacht.

Ein solch hohes Austrittspotenzial korrespondiert mit dem hohen Anteil an "Taufscheinkatholiken": Nur rund zehn Prozent der Katholiken besuchen regelmäßig den Sonntagsgottesdienst, der aus Sicht der Kirche eigentlich Pflicht ist. Religionsprognosen für Österreich – berechnet von der Demografin Anne Goujon (ÖAW) – gehen daher auch davon aus, dass in rund 20 Jahren weniger als die Hälfte der österreichischen Bevölkerung katholisch sein wird. Diese Entwicklung wird das kulturelle Selbstverständnis Österreichs als (traditionell) katholisches Land infrage stellen. Für die katholische Kirche bedeutet der Rückgang der Mitgliederzahlen weitreichende Anpassungsprozesse. In Wien, wo der Katholikenanteil bereits bei der Volkszählung 2001 unter 50 Prozent lag, wurde etwa im Großprojekt "Pfarre neu" bereits mit einer Zusammenlegung von Pfarren begonnen.

"Zweite Generation" ohne Bekenntnis

Beständig hohe Austrittsraten verändern auch die Gruppe der Personen ohne Bekenntnis. Während Kirchenaustreter Personen ohne Bekenntnis der "ersten Generation" sind, werden deren Kinder, sofern sie nicht getauft werden, bereits die "zweite Generation" ohne Bekenntnis sein, in jedem Fall aber mit einem oder sogar beiden Elternteilen ohne Bekenntnis aufwachsen. Die Gruppe der Personen ohne Bekenntnis wird daher nicht nur anwachsen, sondern auch kirchenferner sein. (Caroline Berghammer, 5.4.2018)