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Die britische Premierministerin May beim EU-Gipfel in Brüssel, wo sie die Solidarität der anderen Mitgliedsstaaten einforderte.

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Österreichs Außenministerin Kneissl und Kanzler Kurz sind sich einig: Sie wollen keine Ausweisungen.

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Wien – Österreich steht nun schon seit Tagen in der Kritik für seine Weigerung, als Reaktion auf den Giftanschlag auf den russischen Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia keine russischen Diplomaten auszuweisen. Die Mehrheit der EU-Staaten – 18 von 28 –, dazu weitere acht Länder (USA, Kanada, die Ukraine, Australien, Norwegen, Mazedonien, Albanien und seit Donnerstag auch Georgien) und auch die Nato entschieden sich in einer konzertierten Aktion zu dem Schritt, der vor allem symbolischer Natur ist: Großbritannien und seine westlichen Verbündeten machen die Regierung in Moskau für den Angriff auf Skripal und seine Tochter am 4. März im englischen Salisbury verantwortlich. Beide liegen derzeit noch immer in einem lebensbedrohlichen Zustand im Krankenhaus.

Österreich will mit Hinweis auf seine Neutralität keine russischen Diplomaten ausweisen. Die von der FPÖ vorgeschlagene Außenministerin Karin Kneissl bestätigte der APA, dass der britische Botschafter in Wien zweimal eine Demarche eingebracht habe, "um uns zu bestimmten Maßnahmen zu animieren". Dies sei am Mittwoch und Samstag der vergangenen Woche erfolgt. Am vergangenen Montag dann habe sie mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die österreichische Position abgestimmt. Diese steht seither in der Kritik.

Grundlage der Ausweisungen

Österreich steht allerdings mit seiner Position nicht allein da: Zehn EU-Staaten weigern sich entweder oder haben sich noch nicht festgelegt. Slowenien, die Slowakei und Portugal beispielsweise wollen mit einer Ausweisung russischer Diplomaten noch warten. Der slowenische Außenminister Karl Erjavec stufte es etwa als zu früh ein, um über etwaige Maßnahmen zu entscheiden. Zuerst müsse der genaue Sachverhalt geklärt werden.

Am Donnerstag kündigte die Regierung in Ljubljana dann an, ihren Botschafter in Moskau für Konsultationen zurückzubeordern. "Das ist eine geeignete und notwendige Maßnahme. Eine schärfere Maßnahme wäre fehl am Platz", sagte der scheidende Premier Miro Cerar am Donnerstag nach der Kabinettssitzung.

Grundlage der akkordierten Ausweisungen russischer Diplomaten aus inzwischen 27 Staaten sind die Informationen, die Großbritannien beim EU-Gipfel in Brüssel präsentiert hat. Die britische Premierministerin Theresa May soll dort "Geheiminformationen von nie dagewesenem Niveau" mit ihren Verbündeten geteilt haben. May hatte vor einer Bedrohung Europas durch Russland gewarnt: Der Giftanschlag füge sich ein in eine Politik "russischer Aggression gegen Europa und seine Nachbarn".

Uneingeschränkte Solidarität?

In einer gemeinsamen, von allen EU-Mitgliedern mitgetragenen Erklärung wurde anschließend eine schnelle Aufklärung des Falles verlangt. Die EU-Außenminister versicherten dabei Großbritannien ihre "uneingeschränkte Solidarität". Und sie hielten fest, die EU nehme die britische Einschätzung "äußerst ernst, dass es höchstwahrscheinlich ist, dass die Russische Föderation verantwortlich ist". Die EU sei "schockiert" über den "ersten offensiven Einsatz" eines militärischem Nervengifts "auf europäischem Boden seit mehr als 70 Jahren". Verwiesen wird auch darauf, dass bei dem Anschlag ein Giftstoff zum Einsatz kam, der von Russland entwickelt wurde.

Nach britischen Angaben handelt es sich dabei um ein Mittel aus der Gruppe der sogenannten Nowitschok-Nervengifte, die das sowjetische Militär in den Siebziger- und Achtzigerjahren entwickelt hatte. Der Fall wird auch von unabhängiger Seite untersucht: Mitarbeiter der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) sind inzwischen in Großbritannien eingetroffen.

Länder, die noch abwarten

Karin Kneissl hat bereits klargemacht, dass sich an der Position Österreichs aller Voraussicht nach nichts ändern wird, selbst wenn am Ende handfeste Beweise auf dem Tisch liegen würden. Neben Slowenien kündigten auch die Slowakei und Portugal an, mit einer Ausweisung noch warten zu wollen.

ORF

In Bratislava übte Staatspräsident Andrej Kiska scharfe Kritik am Abseitsstehen der sozialdemokratisch geführten Regierung. Portugal begrüßte die konzertierte Aktion der anderen EU-Staaten, schloss sich ihr zunächst aber nicht an.

Bulgarien, das aktuell die EU-Ratspräsidentschaft innehat, teilte mit, entgegen anderslautenden Medienberichten keine russischen Diplomaten des Landes zu verweisen. Bulgariens Regierungschef Bojko Borissow hatte sich sehr skeptisch zur britischen Haltung im Fall Skripal geäußert.

Während der Tagung des EU-Rats verlangte Borissow Beweise, die über die Formulierung "hoher Wahrscheinlichkeitsgrad" der britischen Premierministerin hinausgehen, wie die bulgarische Regierung mitteilte. Borissow habe dabei an die Vorwürfe gegen den irakischen Ex-Präsidenten Saddam Hussein erinnert, dieser besitze chemische Waffen.

Kein einheitliches russlandfreundliches Lager

Luxemburg hat in Brüssel eingemahnt, vor weiteren Schritten das Urteil der OPCW abzuwarten. Luxemburg und auch Malta begründeten ihren Verzicht zudem mit der Furcht, dass russische Vergeltungsmaßnahmen ihre kleinen Botschaften in Moskau lahmlegen könnten – auch das nicht der EU angehörende Island argumentierte ähnlich.

Malta hingegen kündigte an, zwar keine Ausweisungen anzuordnen, aber seinen Botschafter in Moskau für Konsultationen zurückzubeordern, was als deutlich schwächeres Zeichen des Protests gilt.

Österreichs bilaterale Beziehungen zu Russland sind vor allem durch wirtschaftliche Zusammenarbeit geprägt, allerdings zogen selbst die als sehr russlandfreundlich geltenden Länder bei dieser Entscheidung nicht an einem Strang: Während Italien und Ungarn sich der Ansicht anschlossen, dass es keine plausible Alternative zu Russland als Drahtzieher gebe, und sie Ausweisungen anordneten, beteiligten sich Griechenland und Zypern nicht an der Aktion.

Kritik im In- und Ausland

Die Oppositionsparteien SPÖ und Neos kritisieren den Schritt der österreichischen Regierung ebenso wie etwa Experten und Politiker außerhalb des Landes. Kanzler Kurz hat bereits mehrmals betont, Österreich wolle "Brückenbauer zwischen Ost und West sein und Gesprächskanäle nach Russland offen halten". Auch Außenministerin Kneissl schloss am Mittwochabend im ORF-Interview erneut bilaterale Aktionen gegenüber Russland aus.

Der österreichische Russland-Experte Gerhard Mangott erklärte das Argument der Neutralität im Interview mit Ö1 für "unglücklich". Ähnlich sieht das auch Wolfgang Mueller, Historiker an der Uni Wien. Im Gespräch mit dem STANDARD betonte er, dass die Neutralität natürlich kein Hinderungsgrund sei: "Völkerrechtliche Neutralität bedeutet nicht politischen Neutralismus." Auch weist Mueller darauf hin, dass keines der ausweisenden Länder die Kommunikationskanäle zu Russland stillgelegt habe.

Auch der ehemalige OSZE-Sonderbeauftragte zum Kampf gegen Radikalisierung, Peter Neumann, argumentierte ähnlich. "Das ist Österreich, wie es seine Brücken zum Westen niederbrennt", twitterte der Londoner Terrorexperte, der im Vorjahr vom damaligen Außenminister Kurz in dessen Eigenschaft als OSZE-Vorsitzender zum Sonderbeauftragten der Sicherheitsorganisation gemacht worden war. Später nahm er Teile seiner Kritik wieder zurück.

Im Gegensatz zu Österreich haben sich auch die als neutral geltenden Länder Finnland, Schweden und Irland der Aktion angeschlossen und jeweils einen russischen Diplomaten des Landes verwiesen. (Anna Giulia Fink, 29.3.2018)