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Ein Foto, aufgenommen von der Dash-Cam, kurz vor dem ersten Unfall eines autonom fahrenden Fahrzeuges.

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Ein Uber-Fahrzeug, das autonom durch Arizona fuhr. Uber hat den Dienst inzwischen eingestellt.

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Vorbild für die Fantasie des autonomen Fahrens, ist K.I.T.T., der Knight Industries Two Thousand.

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Doch auch K.I.T.T. wurde die meiste Zeit pilotiert, von Michael Knight, der als David Hasselhoff auch Regionlasender-Hörer erfreute. Warum er sich hier so ungeschickt beim Anschieben des Autos anstellt, war nicht herauszufinden.

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Lassen Sie es mich mit Wolf Haas sagen: "Jetzt ist schon wieder was passiert." Nämlich Mitte März der erste tödliche Unfall mit einem selbstfahrenden Auto. In Arizona fuhr des nächtens ein selbstfahrendes Uber-Auto – quasi das Taxi der Zukunft – eine Frau nieder, die gerade ihr Fahrrad über die Straße schob. Wie es laut Experten derzeit aussieht, liegt dem Unfall ein Fehler der Software zu Grunde.

Futter für die Skeptiker

Der Vorfall befeuert die Skeptiker der autonomen Fahrzeuge, und Hand in Hand mit Philosophen und Besserwissern knallen sie ein Trolley-Problem nach dem anderen auf den Tisch und rennen dabei in die völlig falsche Richtung. Zur Erinnerung: Ein Trolley-Problem ist ein Gedankenexperiment, das der deutsche Rechtswissenschafter Karl Engisch 1930 zum ersten Mal zu Papier brachte. Dabei geht es um ein fiktives Szenario, bei dessen Ende zumindest einer stirbt – ein Entscheider hat aber die Qual der Wahl, wen es trifft und wer überleben darf.

Umgelegt auf autonome Fahrzeuge schaut das dann so aus: Bei einem selbstfahrenden Auto versagen unter der Fahrt die Bremsen, während eine Gruppe Kinder und eine Gruppe Senioren gerade die Straße quert. Wen soll der Wagen niederführen? Ein anderes Gedankenexperiment basiert auf der Idee, dass auf einer engen Bergstraße mit Serpentinen, die nicht einsehbar sind, plötzlich ein Radfahrer entgegenkommt, und das Auto nur mehr die Wahl hat, den Radfahrer niederzuführen, oder über die Klippen in den Abgrund zu fahren und das Leben des Lenkers zu riskieren. Ein drittes Gedankenexperiment dreht sich um ein Kind, das aus einer Reihe parkender Autos auf die Straße läuft.

Wie würden Sie entscheiden?

Ich möchte Sie mit diesen Gedanken noch einen Moment alleine lassen. Sie sollen sich gerne den Kopf darüber zerbrechen, ob in Ihrer Welt alte Menschen mehr wert sind als junge. Ob Ihnen Ihr Leben wichtiger ist als das eines unbekannten Radlers. Was Sie machen, wenn vor Ihrem Auto ein Kind auf die Straße läuft. Und wie hätten Sie gerne, dass ein autonom fahrendes Auto entscheidet? Nehmen wir gerne noch ein paar Faktoren dazu: Denn es wird nicht mehr lange dauern und ein Computer wird den sozialen Status eines Menschen erkennen, ihn schubladisieren können, sei es an der Kleidung, der Hautfarbe, oder der Daten, die er via Smartphone bei sich führt. Ist ein Managerleben mehr wert als das eines Obdachlosen? Und was wenn er einen Migrationshintergrund hat? Raucher ist? Oder krebskrank?

Während Sie sich mit Fiktivem beschäftigen, versorge ich Sie mit ein paar Fakten aus der humangesteuerten Autowelt. Nehmen wir, weil es gerade passt, den Osterverkehr her. 2017 starben allein in Österreich am Osterwochenende sechs Personen. In dem Zeitraum ereigneten sich 208 Unfälle mit Personenschaden. Fast 60.000 Geschwindigkeitsübertretungen wurden gemessen und 300 Alkolenker angezeigt. Noch einmal: An drei Tagen in Österreich.

Abstecher in die Vergangenheit

Oder anders: 2017 gab es mit 413 Verkehrstoten so wenige wie noch nie zuvor. Im Vergleich dazu: 1972 starben in Österreich 2948 Personen aufgrund eines Verkehrsunfalls, und das obwohl damals bei Weitem noch nicht einmal halb so viele Autos zugelassen waren.

90 Prozent aller Verkehrsunfällen liegt menschliches Versagen zugrunde. Man kann sich, wenn man je ein Auto aus oder in den 1970er-Jahren gefahren ist, an einer Hand ausrechnen, dass dieser Anteil gestiegen ist – einfach weil die Autos heute viel seltener technische Gebrechen haben, die zu einem Unfall führen. Der große Rückgang der Unfallzahlen geht sogar in großem Maße auf die besseren und intelligenteren Fahrzeuge zurück. Denken wir nur an Knautschzonen und Fußgängeraufprallschutz. Erst verkürzte ABS den Bremsweg, heute bremst ein moderner Wagen dank Notbrems-Assistent sogar selbstständig, wenn er ein Hindernis auf der Straße erkennt.

Jetzt endlich die Trolley-Probleme

Das bringt uns zurück zu unseren Gedankenexperimenten, und der Idee, dass einem autonom fahrenden Auto die Bremse versagt. Die Unfallstatistiken, die ich gefunden habe, weisen Zahlen für Unfälle mit überhöhter Geschwindigkeit, wegen Alkoholkonsum oder Drogeneinfluss, Müdigkeit, schlechte Sicht oder Fahrfehler aus. Bremsversagen finde ich nirgendwo. Warum sollte es dann gerade bei der höchsten Evolutionsstufe der Automobile – die übrigens ebenfalls zwei Bremskreise hat, wie jedes aktuelle Auto auch – so häufig auftreten, dass wir uns damit so prominent beschäftigen müssen?

Die Technikerinnen und Techniker, die an der Programmierung selbstfahrender Autos arbeiten, finden auch das Experiment mit dem Radler auf der Bergstraße schwer polemisch. Wenn ein autonom fahrendes Fahrzeug nicht um die Kurve sieht, fährt es schlicht auf halbe Sicht und steht bereits, bevor es überhaupt in die Verlegenheit kommt, zwischen dem einen oder dem anderen Übel zu wählen. Ähnlich verhält es sich mit einem Fahrzeug, das an parkenden Autos vorbeifährt, zwischen denen ein Kind hervorspringen könnte. Das Auto wird so langsam fahren, dass es rechtzeitig stehen bleiben kann, sollte jemand auf die Straße gehen. Zudem gibt es hier die Idee, Schultaschen mit RFID-Chips auszurüsten, die dann gar noch früher erkannt werden.

Rechtlich betrachtet

Im Grunde geht ja auch der Unfall mit dem Uber-Fahrzeug auf menschliches Versagen zurück. Denn dieses autonome Fahrzeug verlangt noch nach einem "Sicherheitsfahrer", der in heiklen Situationen das Steuer übernimmt. Rechtlich ist damit also die Lenkerin dran, von der ein Video zeigt, dass sie beim Unfall alles andere gemacht hat, als über das selbstfahrende Auto zu wachen.

Dabei muss aber auch festgehalten werden: Jedem, der mit der Entwicklung und Zulassung solcher Fahrzeuge betraut ist, muss klar sein, dass niemand hinter dem Steuer sitzen wird, der permanent auf die Straße schaut. Weil wir das einfach nicht können, das Bewachen von Ereignissen, die eigentlich keiner Aufmerksamkeit bedürfen. Je besser das System von allein funktioniert, desto verlockender ist die Ablenkung. Ganze Gangsterfilm-Videotheken basieren auf dem Wachmann, der nicht in seine Monitore schaut, während die Panzerknacker den Safe ausräumen.

Wissenschaftlicher Hintergrund

Eine Studie schwedischer Wissenschafter hat 2017 untersucht, wie schlecht wir tatsächlich dabei sind, ein selbstständig fahrendes Fahrzeug zu bewachen. Man ließ Probanden mit so einem Auto fahren und gab ihnen irgendwann ein Signal, das Fahrzeug wieder selbst zu lenken. Man maß die Zeit, die verging, vom Signal, bis zu dem Zeitpunkt, wo der Fahrer wieder komplett Herr der Lage war. Im Schnitt vergingen dabei 5 bis 15 Sekunden. Wenn man bedenkt, dass wir gerne nicht einmal eine Sekunde Sicherheitsabstand halten, kann man sich ausmalen, was wirklich passiert, wenn so ein System Hilfe braucht. Dann wird es krachen.

Ja, auch bei selbstfahrenden Autos wird es Tote geben. Etwa wenn sich jemand mutwillig vor so ein Auto schmeißt. Da ist dann aber auch nicht das Auto schuld. Oder wenn mehrere Systeme gleichzeitig versagen. Da ist dann das Auto schuld.

Mangel an Eitelkeit

Allerdings: Die Gefahr, die wir in Gedankenexperimenten selbstfahrenden Autos andichten, sind Fehler die WIR permanent beim Autofahren machen: zu hohe Geschwindigkeit, zu wenig Aufmerksamkeit, zu viel Emotionen. Ein selbstfahrendes Auto aber, das lässt sich nicht ablenken, wird nicht müde, und es ist auch nicht in seiner Eitelkeit gekränkt, wenn man es schon zum x-ten Mal schneidet, nicht genervt, wenn es schon seit zehn Minuten im Stau fahren muss. Da hat uns das selbstfahrende Auto gleich viel voraus. Nämlich so viel, dass es gar kein Gewissen braucht. Nein, wir werden nicht alle einen K.I.T.T. fahren, der mit uns tratscht, uns die Welt erklärt, halbseiden witzig ist und Verbrecher am Schmäh hält. Die autonomen Fahrzeuge, die wir fahren werden, werden zwar dank Sprachassistenten mit uns reden, aber nicht wie ein Kumpel, eher wie ein Knecht. Und sie werden sehr defensiv fahren, um sich ja nie in Kollisionsgefahr zu begeben.

Aber dann ist die autonome Mobilität unendlich langsam, werfen Kritiker ein, und wir langweilen uns zu Tode, weil nichts weitergeht. Zum einen ist unsere Mobilität immer schneller geworden. Zum anderen liegt bei Langeweile wieder menschliches Versagen vor. Denn, wenn wir uns die Zeit von A nach B richtig gut vertreiben, dann ist sogar die Gefahr größer, dass man eine Viertelstunde zu früh als zu spät am Ziel sind, etwa weil der Film, den man sich anschaut, noch nicht vorbei, sondern im Gegenteil, gerade wahnsinnig spannend ist.

Ich indes würde zu einem Buch von Wolf Haas greifen. Damit endlich wieder einmal etwas Gescheites passiert. Und keine Sorge, selbst bei der Frequenz, mit der Haas neue Romane veröffentlicht, gehen sich noch zwei, drei Bücher aus, bis wir autonom fahren. (Guido Gluschitsch, 1.4.2018)