Mediziner empfehlen schon seit langem das Protokollieren der Stimmungslage – nun gibt es Apps dafür.

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In den 1970er-Jahren waren Stimmungsringe in Mode. Je nach Körpertemperatur wechselten die mit Quarz versiegelten Kristalle die Farbe und sollten so die Gemütslage anzeigen. Trackingbänder sind die moderne Variante. Das sind Sensoren, die die Körpertemperatur oder den Puls messen und via Bluetooth an eine App auf das Smartphone weiterleiten.

Algorithmen wandeln diese biometrischen Daten in Emotionen um. Doch das smarte Armband sagt dem Träger nicht nur, wie es ihm geht, sondern es gibt ihm auch Tipps zur Verbesserung seines Zustands. Bei Stress etwa vibriert das Armband und schlägt Meditationsübungen vor. "Lach mehr", "Mach Sport", "Denk positiv" oder "Iss frisches Obst" können Empfehlungen lauten.

Regelmäßiges Protokollieren

Solche Tipps hätten Kristina Wilms nicht geholfen. Die 29-Jährige leidet an Depressionen. Während ihrer Therapie begann sie, eine App zu entwickeln, die ihr und anderen Betroffenen beim Umgang mit der Krankheit helfen soll. Kernstück ihres Programms Arya ist ein Fragebogen, in dem Nutzer regelmäßig ihre Emotionen und Verhaltensmuster festhalten.

Die App ist als Begleitung zur medizinischen Behandlung konzipiert. "Die Idee ist nicht neu, die technische Umsetzung schon", sagt der Wiener Neurologe und Coach Wolfgang Lalouschek, weil er manchen seiner Patienten das Protokollieren der Stimmungslage in Tagebücher und auf Skalen seit langem empfiehlt. Allerdings bei Menschen, die ohnedies bereits eher zwanghaft veranlagt sind, hält er das dauernde Erforschen und Notieren der Befindlichkeit für kontraproduktiv.

Kein wirklicher Ersatz

Die Kernfrage für Lalouschek: Welche Empfehlungen kann eine App überhaupt geben? "Ein Kernelement der therapeutischen Behandlung ist das persönliche Gespräch, bei dem auch sehr viele unbewusste Faktoren wie Augenkontakt, Stimmlage, Mimik, Gestik und vor allem die gegenseitige menschliche Resonanz eine wichtige Rolle spielen", sagt er.

Hotlines können in Notfällen oder dann hilfreich sein, wenn sonst keine andere Intervention möglich ist. "Aber sie sind kein wirklicher Ersatz, weil sie den menschlichen Bedürfnissen nicht entsprechen. Wir sind doch Menschen aus Fleisch und Blut", meint der Neurologe.

Das Thema "Early Detection", also die Frage, ob und wie man den Ausbruch von Krankheiten voraussagen kann, beschäftigt die Wissenschaft schon seit langem. Thomas Schläpfer von der Uni Bonn hat ein Gerät entwickelt, das frühzeitig vor dem Auftreten oder der Verschlechterung einer neurogenerativen Erkrankung warnen soll.

Zur Früherkennung

Kommuniziert der Nutzer weniger als sonst, verringert sich sein Bewegungsradius und seine Stimme wird leiser, sind Alarmzeichen für einen Stimmungsabfall gegeben. "Es kann natürlich hilfreich sein, frühzeitig auf solche Symptome hingewiesen zu werden", bestätigt Lalouschek. "Die zentrale Frage ist allerdings, ob und wie man gegensteuern kann."

Wenn das Überwachen der Emotionen via Smartphone dazu führt, dass sich jemand eine Regenerationspause oder mehr Schlaf gönnt, dann sei das jedenfalls positiv. "Meine Vermutung ist jedoch, dass gerade Menschen zu solchen Monitorings greifen, die ohnehin dazu neigen, "sich selbst verrückt zu machen". Diese Gruppe sollte eher die Finger von stimmungsmessenden Apps lassen.

Seriös erforschen

Psycho-Apps, so der Neurologe, dürften keinesfalls dem freien Markt überlassen werden: "Wir sollten die positiven Effekte und auch die unerwünschten Nebenwirkungen seriös erforschen und daraus Empfehlungen entwickeln." Mobile Anwendungen sollten weder unreflektiert bejubelt noch verteufelt werden, eine Nutzen-Risiken-Bewertung sei sinnvoll.

"Es ist bereits jetzt schon eine Herausforderung, in der zunehmenden Verrücktheit der Welt normal zu bleiben", meint Lalouschek. Für ihn bedeutet psychische Gesundheit auch die Fähigkeit, abwägen zu können, was wichtig und was unwichtig ist und welchen Preis man dafür zahlt. "Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Zeit, Aufmerksamkeit und meine Energie", so der Neurologe. (Andrea Fried, CURE, 12.8.2018)