Flach liegen: Nur Notfallpatienten im medizinischen Sinne und Patienten mit schweren Erkrankungen sollen künftig im Krankenhaus versorgt werden.

Illustration: Francesco Ciccolella

Der Körper ist ein hochkomplexes, gleichzeitig aber auch ein sehr simples System. Er soll funktionieren, und man soll ihn nicht spüren. Tauchen Schmerzen oder sonst irgendwelche unklaren Erscheinungen auf und halten diese mehr als drei Tage an, beginnt Unruhe. "Lass das doch einmal vom Arzt anschauen", ist dann ein beliebter Ratschlag, denn Ärzte können ja in den Körper hineinschauen oder haben zumindest Maschinen, die das bewerkstelligen können. Deshalb gehen viele dann auch direttissimo ins Spital, weil es praktischer ist, als sich vom Hausarzt von Labor zum Röntgen und dann zum Facharzt überweisen zu lassen.

"Diese Idee, dass ein Spital medizinisch betrachtet heute ein One-Stop-Shop ist, in den jeder einfach reingehen kann, ist passé", sagt Sebastian Wibbeling, Abteilungsleiter Health Care Logistics am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund. Er hat ein Buch über das Krankenhaus der Zukunft geschrieben, in dem er die großen Weichenstellungen der nächsten Jahrzehnte offenlegt. Eine davon nennt er Ambulantisierung. Spitäler mit ihrer Hightech-Infrastruktur werden nur den wirklich medizinischen Notfällen vorbehalten sein, alle anderen werden gleich an der Tür in Versorgungseinrichtungen im niedergelassenen Bereich umgeleitet.

Eine Notwendigkeit

Dafür muss dann aber auch die entsprechende Infrastruktur vorhanden sein. "Wir haben viele Patienten, die mit Lappalien kommen", kann Notfallmediziner Philip Eisenburger berichten. Er wird die Notaufnahme am neuen Krankenhaus Nord in Wien leiten und ist in die Planungsarbeiten involviert.

Das Krankenhaus Nord ist zwar noch nicht eröffnet, doch die vorgelagerten Gebäude mit Ordinationen sind längst in Betrieb. Sie sind keine 100 Meter vom Haupteingang entfernt. "Als Ärzte dürfen wir Menschen, die subjektiv in Not sind, nicht abweisen", sagt er. Das Überweisen zu Kollegen in unmittelbarer Umgebung ist Patienten mit nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen allerdings zumutbar.

Auch Eisenburger sagt: "Spitalsaufenthalte sind die teuerste Ressource." Die 785 Betten im Krankenhaus Nord sind jenen vorbehalten, die sie wirklich aus medizinischer Sicht brauchen. Und die Räumlichkeiten sind so, dass man sich wohlfühlen soll. Viel Holz, große Fenster, fast sieht es auf den Stationen des SMZ Nord wie in einem Wellnesshotel aus.

Schwere Fälle

Als Notfallmediziner freut sich Eisenburger aber noch auf sehr praktische Innovationen. Unfall- und Notfallpatienten kommen in Floridsdorf durch dieselbe Tür und werden versorgt. Es gibt einen Schockraum mit vier Liegeplätzen. Akutpatienten können dort unmittelbar nach dem Eintreffen durch ein CT geschickt werden. Auch der Herzkatheter der Abteilung für Kardiologie für Infarktpatienten ist gleich nebenan, OPs und Intensivstation nur einen Stock höher.

"Man unterschätzt die Zeit, die im Krankenhaus durch lange Wege zwischen Stationen vergeudet wird", sagt Eisenburger, der im AKH gearbeitet hat. Effizient findet er auch, dass sein Team in der Notfallambulanz interdisziplinär sein wird. Bauchschmerzen etwa, die ein Zeichen von Gallensteinen, aber auch Herzinfarkt sein könnten, sollen so schneller diagnostiziert werden können.

Wieder sind es nur die schweren Fälle, die im Spital bleiben, Verweilzeitverkürzung ist die Devise. "Vorteilhaft wäre, wenn teure Leistungen nicht so wie bisher an Mindestaufenthalte gekoppelt wären", lässt Eisenburger hinter die bürokratischen Kulissen blicken.

Scharfer Blick

"Ambulantisierung betrifft genauso Operationen und Diagnostik", betont Logistikexperte Wibbeling, ein Ziel, an dem auch Medizintechnologieunternehmen wie Philips mit verbesserten Konzepten in der Computer- und Magnetresonanztomografie arbeiten. Mit zwei Zielen: Die Bilder aus den Maschinen sollen so gut sein, "dass die Diagnose auf Anhieb richtig gestellt werden kann", sagt Rob Cascella, Philips-Vizepräsident, auf dem europäischen Radiologiekongress Anfang März in Wien.

Ein hochaufgelöstes Bild soll Operationen vermeiden, etwa dann, wenn Chirurgen den Bauchraum von Patienten öffnen müssen, um festzustellen, dass der Krebs nicht operabel ist. Ziel ist: durch Bildgebung Operationen zu vermeiden bzw. zu verbessern. Zudem, sagt Cascella, arbeite man intensiv an der Verkürzung von Untersuchungszeiten. In der neuesten Generation von MR-Geräten sollen Patienten nicht mehr wie bisher 20 Minuten mucksmäuschenstill liegen müssen, das Gerät hat die Bilder in nur zehn Minuten fertig – in höchstmöglicher Auflösung.

Patrick Schöggl, Direktor bei Deloitte Österreich und für Healthcare zuständig, schaut aus der Vogelperspektive auf Österreichs Gesundheitssystem. "In Zukunft wird eine stärkere regionale Schwerpunktsetzung stattfinden müssen", sagt er und meint spezialisierte Zentren für Bereiche wie Krebs oder Herzkreislauferkrankungen, die in Akutkrankenhäusern eingerichtet werden. Auch an geriatrischen Versorgungskonzepten, die dem Bedarf einer alternden und zunehmend chronisch kranken Gesellschaft entsprechen, wird gearbeitet.

Medizin der Zukunft digital

Wenn es um Effizienz geht, müssten die Player im österreichischen Gesundheitssystem stärker zusammenarbeiten. Jedes Bundesland hat sein eigenes System, die Zahl der Player ist schier unüberschaubar. Das schafft auch länderabhängige Unterschiede für die Patienten. Für Schöggl sind Organisation und Prozessoptimierung deshalb die größten und wichtigsten Herausforderungen der Zukunft.

Digitalisierung, der Kern dieses Wandels, sei auch eine Generationenfrage. "Die Revolution wird von den Patienten ausgehen", sagt Schöggl und meint E-Health im weitesten Sinne. Jeder Mensch wird all seine Gesundheitsdaten immer parat haben wollen, weil das ein Vorteil ist, prognostiziert er. Die jüngere Generation sei doch bereits jetzt sehr freigiebig.

"Datensicherheit ist in jeder Branche ein zentrales Thema, nicht nur im Gesundheitssystem", so Schöggl, der sich in den nächsten Jahren Innovationen in diesem Bereich erwartet. Dass sich Patienten künftig per App einen Termin mit ihren Behandlern ausmachen oder am Vorabend an eine Untersuchung erinnert werden wollen, fällt dann unter Serviceleistung. Ärzte und Spitäler, die das nicht anbieten, hätten auf lange Sicht einen Wettbewerbsnachteil.

So wie alle Experten sieht auch Patrick Schöggl einen Trend hin zu sogenannten Out-Patient-Versorgung, also auf Ambulanzen. Chronisch Kranke bekommen ihre Therapie in einer ambulanten Tagesklinik, übernachten, wenn alles gut läuft, aber zu Hause. Auch Krebspatienten, die besonders krankheitsanfällig sind. Schon heute kämpfen Krankenhäuser mit Spitalskeimen, die immungeschwächte Patienten leicht aufschnappen können. Das Problem: Auch Antibiotika helfen nicht mehr. Das ist eine Herausforderung für das System.

Neuer Servicegedanke

Auch Roboter werden in die Spitäler Einzug halten, etwa um das Pflegepersonal von körperlich anstrengenden Tätigkeiten zu entlasten. Industry 4.0 im Gesundheitsbereich wird Ärzten und Pflegekräfte automatisierbare Arbeiten abnehmen "und damit mehr Zeit für den eigentlichen Patientenkontakt schaffen", ist Schöggl überzeugt und meint etwa auch die zahlreichen Dokumentationspflichten.

"Es werden neue Berufsbilder entstehen", sagt auch Logistikexperte Wibbeling und meint vor allem nichtmedizinisches Personal, das in den Spitalbereich Einzug halten wird. Etwa operationstechnische Assistenten, die für OP-Management und -betrieb verantwortlich sind. Oder so etwas wie Service-Anlaufstellen innerhalb eines Spitals, die das Patientenmanagement übernehmen.

"Es gibt viele alte Menschen, die medizinisch nach Hause könnten, aber vielleicht niemanden haben, der sich dort um sie kümmert", berichtet Eisenburger aus seinem Alltag. "Der Bedarf für das existierende Entlassungsmanagement und für die sozialarbeiterische Versorgung wird größer werden", glaubt er. (Karin Pollack, 9.7.2018)