Wenn ein Rechner denkt und viele Quellen zusammenführt, könnte das ein Vorteil sein, IBM baut an solchen Visionen, musste aber schon einige Rückschläge einstecken.

Die Erwartungen an Watson waren gewaltig: Ein Supercomputer in jeder Arztpraxis, der blitzschnell auf Knopfdruck die Symptome eines Patienten mit allen Informationen aus seiner Krankengeschichte und den letzten wissenschaftlichen Erkenntnissen verknüpft und eine Diagnose mit den richtigen Therapieempfehlungen ausspuckt. So werde man in naher Zukunft schreckliche Krankheiten wie Krebs nicht nur besser behandeln, sondern regelrecht "ausrotten" können.

Weltweit wurde Watson vom US-Tech-Konzern IBM als eine Art Wunderwaffe präsentiert, die die Medizin revolutionieren soll. Ein Großhirn der künstlichen Intelligenz (KI), das Informationen aus Millionen medizinischer Journale zieht, Patientendaten, Symptome und Gene zusammenbringt und analysiert, um daraus dann exakte Diagnosen und in der Folge auch Therapien vorzuschlagen. Man sprach sogar über die Heilung von Krebs. Das schürt bei Kranken große Hoffnungen. Seit 2005 arbeitet man daran. Noch ist der große Durchbruch nicht gelungen.

Schlau machen

Dabei ist der amerikanische IT-Konzern zweifelsohne einer der Pioniere der Artificial Intelligence (AI). Was Watson macht? "Es ist ein Werkzeugkasten mit unterschiedlichen Softwarelösungen wie Sprach-, Bild- und Textanalyseerkennung, mit dem sich riesige Datenmengen durchforsten lassen", sagt der Leiter von IBM Health Industries in Europa, John Crawford. Das System lasse sich theoretisch in allen Branchen anwenden. In der Medizin ist das Ziel, aus einem riesigen Pool von Wissen eine für den einzelnen Patienten optimale Therapie herauszufinden und damit eine Personalisierung der Medizin zu erreichen, so Crawford.

Dafür arbeitet man mit Algorithmen, die im weitesten Sinne "lernfähig" sind. Im Zentrum steht eine Cloud-Plattform, in der bereits mehr als 210 Millionen klinische Daten gesammelt wurden. Weltweit arbeitet das Watson Health Team derzeit mit 13.000 Kunden und Partnern zusammen. Dazu zählen Universitäten, Forschungszentren, Pharma- und Medizinprodukteunternehmen sowie Technologiefirmen. Auch mit Apple soll es Kooperationen geben.

Ein Anwendungsgebiet ist etwa das sogenannte Clinical Trial Matching: Jedes Jahr werden weltweit rund 180.000 klinische Studien durchgeführt. Die Auswahl der geeigneten Kandidaten ist aufwendig. Durch das elektronische Abgleichen von Patientendaten kann dieser Prozess vereinfacht werden. Mediziner und Patienten werden benachrichtigt, was die Zahl der Studienteilnehmer erhöht.

Therapeutische Entscheidungshilfe

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Onkologie. Derzeit wird Watson auf 13 Krebsarten trainiert. Eine Publikation in den "Annals of Oncology" zeigte im Vorjahr, dass Watson in 93 Prozent der ihm vorgelegten Brustkrebsfälle bezüglich der Diagnostik und Behandlung genauso wie das ärztliche Tumorboard des Krankenhauses entschieden hätte. Von Heilung wurde in diesem Zusammenhang aber noch nicht gesprochen.

In einer Studie, die in der Fachzeitung "The Oncologist" publiziert wurde, konnte an 1018 retrospektiven Patientenfällen eine 99-prozentige Übereinstimmung mit den Ärzten gezeigt werden. Watson konnte hier immerhin in mehr als 300 Fällen therapeutische Optionen identifizieren, die die behandelnden Mediziner nicht gesehen hatten. Auch als Unterstützung für die Erforschung von seltenen Erkrankungen sieht Crawford Potenzial sowie für die Frage, "warum eine etablierte Therapie bei einem bestimmten Patienten nicht wirkt und was die Gründe dafür sein könnten."

Einen Rückschlag erlitt IBM hingegen im Vorjahr, als das MD Anderson Cancer Center an der Universität von Texas die Watson-Partnerschaft mangels Erfolg auf Eis legte. Das erklärte Ziel war es gewesen, "Krebs auszurotten". In einem innovativen und hochriskanten Bereich wie der KI-Industrie gehört Misserfolg wohl dazu. Ob Watson eines Tages tatsächlich die Medizin revolutionieren wird, kann heute weder mit Sicherheit behauptet noch ausgeschlossen werden. (Karin Pollack, CURE, 20.8.2018)