Er hat es wieder getan. John Bercow, seines Zeichens Sprecher des britischen Unterhauses, oder Speaker, wie die Briten es gerne abkürzen, hat in seinem Haus wieder einmal für Ruhe und Ordnung gesorgt und amüsiert damit nicht nur die Briten. "Opfer" seiner jüngsten Belehrung war diesmal der britische Außenminister Boris Johnson.
Dieser hatte vergangene Woche in einer Debatte im britischen Unterhaus seine oppositionelle Kontrollinstanz, Schattenaußenministerin Emily Thornberry als Lady Nuge bezeichnet. Nuge weil diese mit einem gewissen Christopher Nuge verheiratet ist, dennoch behielt Thornberry auch nach ihrer Hochzeit ihren Geburtsnamen. Speaker Bercow war sichtlich erbost ob dieser "unpassenden und sexistischen" Bemerkung des Außenministers und wies ihn mit mehr als deutlichen Worten und in durchaus erbostem Tonfall zurecht.
Bercow ist berühmt für sein temperamentvolles Auftreten und seine durchdringlichen "Order"-Rufe, wenn ein MP (Member of Parliament) wieder einmal aus den Reihen tanzt und sich nicht an die zum Teil jahrhundertealten Regeln und Konventionen im britischen Unterhaus hält. Der 55-jährige Bercow wuchs in Nord-London und galt als begnadeter Tennisspieler. Den Traum einer Profikarriere machten seine Körpergröße und Pfeiffersches Drüsenfieber jedoch jäh zunichte.
Rechtskonservatives Rhetoriktalent
An der Universität von Essex glänzte der exzellente Rhetoriker mit Bestnoten, fiel jedoch auch wegen seiner harten rechtskonservativen Ansichten auf. Später gab er sogar Rhetorikunterricht. Nach Anfängen in der Lokalpolitik wollte er kurze Zeit später zum ersten Mal als MP in das britische Unterhaus einziehen. Er sollte sowohl 1987 und 1992 daran scheitern, bis es ihm 1997 zum ersten Mal auf einem Ticket der konservativen "Tories" gelang.
Tatsächlich in die Räumlichkeiten des Westminsterpalastes einziehen konnte er, als er 2009 zum Speaker des "House of Commons" gewählt wurde. Der Speaker genießt nämlich das Recht auf eine Wohnung im prestigeträchtigen Hauptstadtgebäude – Big Ben als morgendlicher Wecker inklusive. Nach seinem Einzug sorgte er mit einer opulenten Renovierung der Wohnung auf Steuerkosten sowie dem Kauf eines Entertainmentcenters um mehrere Tausend Pfund gleich einmal für einen ersten kleineren Skandal.
Unbeliebt in der eigenen Partei
Pikanterweise waren es nicht die Stimmen der eigenen Partei, die Bercow damals in das prestigeträchtige Amt hievten. Während seiner Zeit als Abgeordneter wurden seine politischen Ansichten zusehends liberaler und moderater, was viele spekulieren ließ, dass er zur sozialdemokratischen Labour-Partei wechseln könnte. Viele Konservative gaben ihm deshalb nicht ihre Stimme, Bercow wurde aber vor allem von vielen Labour-Abgeordneten gewählt, nachdem "deren" Speaker Michael Martin 2009 zurücktrat. Bercow wechselte jedoch nie offiziell zu Labour, wohl wissend, dass er als Speaker seine Parteimitgliedschaft traditionell ohnedies ruhend stellend muss.
Bercow setzt sich sowohl als MP als auch als Speaker speziell für die Rechte der LGBTI-Community und staatliche Hilfen für Kinder und Jugendliche mit Sprach- und allgemeinen Kommunikationsproblemen ein. Eines seiner drei Kinder leidet selbst an Autismus, was es zu einer Herzensangelegenheit für ihn mache. In rein parlamentarischen Kreisen setzt sich Bercow stets für eine ausgewogene Repräsentanz der Abgeordneten ein, wovon besonders die Hinterbänkler im britischen Unterhaus seit seiner Regentschaft auf dem mit grünem Leder gepolsterten Stuhl profitieren.
John Bercow wurde mittlerweile zum dritten Mal zum Speaker gewählt, 2015 und 2017 jeweils ohne Gegenstimme. Nichtsdestotrotz musste er 2015 kurz vor der Parlamentswahl kurzzeitig um seinen Job fürchten. Die Tories hatten versucht ein Gesetz zu verabschieden, welches die Wahl zum Speaker von einem offenen zu einem geheimen Urnengang machen hätte sollen. Ihnen wurde vorgeworfen, Bercow so durch die Hintertür absetzen zu wollen. Bei einer offenen Wahl hingegen, so der Vorwurf der Opposition, hätten sie sich aus Angst vor Repressalien des Speakers, der immerhin entscheidet wer, wann reden darf, gefürchtet. Nach zum Teil heftigen und emotionalen Debatten, entschlossen sich doch einige Konservative nicht für das Gesetz zu stimmen, und Bercows Wiederwahl war nur noch Formsache.
Tradition und Reform
Seit der Begründung der Position des Speakers im Jahre 1377 soll der Sprecher als unabhängige Instanz für Ordnung und Kontrolle im Unterhaus sorgen. Einige mussten dabei bereits ihr Leben lassen, weil sie zu unparteiisch waren und von Königen geköpft wurden. In den letzten Jahrzehnten gab es unter den Speakern dabei durchaus spektakuläre Charaktere – auch die einzige Speakerin der Geschichte, die vormalige Labour-Abgeordnete Betty Boothroyd.
Dennoch muss sich der Speaker, wie alle anderen MPs auch in den Regionalwahlkreisen zur Wahl stellen, zumeist verzichten die Großparteien jedoch auf Gegenkandidaten. Nigel Farage von der Ukip trat trotzdem 2010 gegen den amtierenden Speaker an und verlor. Diskussionen rund um einen Sonderwahlkreis für den Parlamentssprecher kommen in Großbritannien immer wieder auf, um diese Schere aus Überparteilichkeit und Wahlkampf zu vermeiden. Sobald die Wahl des Speakers im Unterhaus geschlagen ist, besinnen sich die Speaker jedoch wieder auf ihre Überparteilichkeit.
"Ich bin der Schiedsrichter des Spiels. Ich spiele weder für das eine noch für das andere Team", sagte Bercow einst in einem BBC-Interview über seine Rolle. Auch wenn er viele ungeschriebene Gesetze, wie etwa das Klatschverbot im Parlament, mit Vehemenz einfordert, zeigt er sich offen für Reformen. So verzichtet er beispielsweise auf die altehrwürdigen Kostüme des Speakers, die an Richter erinnerten, und trägt einen modernen Anzug mit oftmals auffälligen Krawatten. Er sehe keine Notwendigkeit für die Roben und betrachte sie zudem als eine "Art Barriere zwischen dem Parlamentssprecher und dem britischen Volk", sagt er dazu.
Außerdem setzte er einige Reformen wie versprochen bereits um. Familienfeindliche Nachtsitzungen wurden seltener, und auch Regierungsvertreter müssen öfter Rede und Antwort stehen. Zwischenrufe von MPs duldet er sowieso nur sehr ungern.
Diskussionen um Überschätzung der Kompetenzen
Bercows war zuletzt in die Schlagzeilen gekommen, als er sich in die Debatte rund um eine Rede von US-Präsident Donald Trump im britischen Unterhaus einmischte. Er lehnte einen solchen ab, denn das Unterhaus sei vereint "gegen Rassismus und Sexismus, es unterstützt die Gleichheit vor dem Gesetz und die Unabhängigkeit der Justiz". Die Opposition jubelte, Theresa Mays Regierungspartei schwieg betreten.
Der jüdisch aufgewachsene Agnostiker Bercow hat bei seiner letzten Wahl angekündigt, dass er insgesamt neun Jahre lang Speaker sein möchte. 2018 könnte daher sein letztes Jahr werden. Potenzielle Nachfolger werden nicht nur humortechnisch in große Fußstapfen treten. (Fabian Sommavilla, 1.4.2018)