Stephan Bierling, "Nelson Mandela. Rebell, Häftling, Präsident". € 25,- / 420 Seiten. C.-H.-Beck-Verlag, München 2018

C.-H.-Beck Verlag

Überlebensgroßer Vorgänger: Cyril Ramaphosa im Schatten Nelson Mandelas.

Imago/Maurer

Die Nelson-Mandela-Biografie des in Regensburg lehrenden Politologen Stephan Bierling erscheint nicht nur rechtzeitig ein paar Monate vor dem 100. Geburtstag des Anti-Apartheit-Kämpfers und Präsidenten am 18. Juli 2018. Auch der vor kurzem erfolgte Wechsel im höchsten südafrikanischen Amt könnte durchaus angetan sein, nostalgische Reminiszenzen an Mandela zu wecken.

Wenige trauern Jacob Zuma nach, unter dessen Regentschaft Klientelismus und Korruption Urstände feierten: Wer den im Vorjahr erschienenen Buchbestseller The President's Keepers des Enthüllungsjournalisten Jacques Pauw liest, wird "haarsträubend" für eine grobe Untertreibung halten. Auf Zumas Nachfolger Cyril Ramaphosa, der sich als führender Aktivist der Minenarbeiter-Gewerkschaft in den 1980ern einen Ruf als solider Verhandler erworben hatte, ruhten entsprechend große Erwartungen. Sie haben angesichts der Absichtserklärung Ramaphosas, die Enteignung weißer Farmer in Südafrika ins Auge zu fassen, einen Dämpfer erfahren. Zimbabwe ist kein wirklich erstrebenswertes Vorbild.

Umso heller erstrahlt vor diesem Hintergrund Mandelas Ruhm, so etwa bei der ihm gewidmeten riesigen Sonderausstellung, die es heuer, fünf Jahre nach seinem Tod 2013, im Apartheidmuseum in Johannesburg zu sehen gibt. Zu Recht macht der Biograf darauf aufmerksam, dass die kultische Verehrung des "säkularen Heiligen" (Bierling) politisch nicht ganz unschuldig ist, sondern auch die mehr als zwiespältige Bilanz des ANC als südafrikanische Staatspartei bemänteln soll. Und nicht nur in Südafrika, auch in anderen afrikanischen Ländern wird Mandela gern herangezogen, um das enorme postkoloniale Verlangen nach einem schwarzen Superstar zu stillen.

Schillernder Charakter

Die umfangreichen Memoiren von Mandela tragen ebenso wie Anthony Sampsons Biografie deutlich hagiografische Züge. Hier versucht Bierling, bei allem gebotenen Respekt und aller Wertschätzung für den Mann, der 27 Jahre seines Lebens in der Gefängniszelle verbrachte und Südafrika, wie Bierling meint, ein syrisches Schicksal erspart hat, sacht gegenzusteuern und auch die weniger attraktiven Züge von Mandelas schillernder Persönlichkeit zu beleuchten. Dem großen Versöhner der von Jahrzehnten brutaler Apartheidpolitik geprägten Nation steht der frühere Widerstandskämpfer gegenüber, dem Amnesty International 1964 wegen seiner Aufrufe zur Gewalt den Status eines politischen Gefangenen aberkannte. Eine womöglich zu duldsame Haltung zur Gewalt offenbarte auch ein 2005 aufgetauchtes Dokument, in dem Mandela einen Aufruf seiner Gattin Winnie, Polizeiinformanten innerhalb des ANC kurzerhand mit brennenden Autoreifen umzubringen (das berüchtigte "Necklacing"), zu billigen schien.

Bierling hat Mandela bereits 1912 für ein schmales "Wissen"-Bändchen bei C. H. Beck porträtiert. Für diese viel opulentere Darstellung konnte er auf eine Reihe neuer, nach 2013 publizierter Dokumente zurückgreifen, darunter solche über den Rivonia-Prozess, der 1964 mit der Verurteilung Mandelas endete.

Bierling versteht sich nicht nur auf plastische Charakterschilderungen, sondern auch auf die Kunst, komplexe historische Sachverhalte knapp und verständlich darzustellen. Eine kommentierte Bibliografie rundet das Buch ab und lädt zum Weiterlesen ein (My Traitors Heart, Rian Malans moderner Klassiker über das zerrissene Bewusstsein liberaler weißer Südafrikaner, hätte als Empfehlung gut hineingepasst). Für alle, die sich für eine der außergewöhnlichsten Politikerpersönlichkeiten des 20. Jhd. interessieren, ist Bierlings Buch eine ebenso solide wie spannend zu lesende Wahl. (Christoph Winder, 1.4.2018)