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Muss hilflos zusehen, wie die WTO von den USA lahmgelegt wird: WTO-General Roberto Azevêdo.

Foto: REUTERS/Adnan Abidi

Aus dem Delegiertensalon der Welthandelsorganisation bietet sich ein grandioser Blick. Dutzende Eichen, der Genfersee und der schneebedeckte Mont Blanc bilden ein kitschig-schönes Ensemble. Doch der adrett gekleidete Herr, Ende 50, achtet nicht auf die Natur. Er vertieft sich in die Presseschau der Welthandelsorganisation (WTO), schüttelt den Kopf und murmelt: "This guy ..."

Wen er meint? US-Präsident Donald Trump. Je mehr der Handelsdiplomat über die amerikanischen Attacken auf die WTO und andere Handelspartner liest, desto finsterer wird sein Gesicht.

Die Furcht des Diplomaten teilen Experten in der WTO bis hinauf zu Generaldirektor Roberto Azevêdo: "Ich bin tief besorgt", sagt der Brasilianer angesichts der Trumpschen Handelspolitik der New York Times. Der frühere WTO-General Pascal Lamy hat für Trumps Politik gar nur ein Wort übrig: "mittelalterlich".

Alarmstimmung

Tatsächlich: In der WTO-Zentrale am Stadtrand von Genf, dem Centre William Rappard aus den 1920-iger Jahren, herrscht Alarmstimmung. Der "mögliche" internationale Handelskrieg, vor dem Azevêdo warnt, ist nach Meinung von Unterhändlern längst ausgebrochen. Und die von Trump losgetretene Konfrontation könnte gar das Ende der WTO und des internationalen, auf Regeln basierenden Handelssystems einläuten. Verlierer wären alle, auch die europäischen Länder. "Die WTO wird belagert, und wir sollten uns alle zusammenschließen, um sie zu verteidigen", verlangt Chinas Botschafter bei der WTO, Zhang Xiangchen. Trump schießt auf die WTO. Sie sei eine "Katastrophe" und "schrecklich" für die USA.

Noch nie hat ein US-Präsident die 1995 gegründete Organisation so wüst attackiert. Immerhin wurde die WTO auch auf Betreiben des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton ins Leben gerufen. Sie ging aus dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (Gatt) hervor, bei dessen Zustandekommen die Amerikaner 1947 eine entscheidende Rolle spielten. "Das Gatt und die auf 164 Mitglieder angewachsene WTO verfolgen dieselben Ziele: Den internationalen Warenaustausch fördern und so den Wohlstand der Menschen mehren", erklärt Globalisierungsexperte Rolf Langhammer vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. "Die wirtschaftliche Verflechtung soll dazu beitragen, die Kooperation der Staaten zu vertiefen."

Kooperation ein Fremdwort

Doch Kooperation scheint für den 45. US-Präsidenten ein Fremdwort zu sein. Das zeigte Trump mit der Verhängung und der Ankündigung empfindlicher Handelssanktionen. Trumps Team scherte sich dabei nicht um die ungeschrieben WTO-Gesetze und die Prozeduren des WTO-Handelsgerichts. Es ist eines der wenigen funktionierenden internationalen Gerichte. Die Verfahren ziehen sich zwar oft in die Länge, garantieren aber letztlich Stabilität des Welthandelssystems. Alle möglichen Handelskonflikte kommen zur Sprache: vom Autoimport über die Einfuhr von Zigaretten bis zum Export von Holz. Azevêdo warnt denn auch vor den "unilateralen Aktionen": Kein WTO-Mitgliedsland dürfe "einfach damit beginnen, die Sache in die eigenen Hände zu nehmen".

Zunächst belegte Trump Stahl- und Aluminiumimporte mit Strafzöllen, ohne die WTO zu konsultieren, und begründete dies mit einer Gefährdung der nationalen Sicherheit, was zwar legitim ist, aber nur in Ausnahmefällen Sanktionsgrund sein sollte.

Büchse der Pandora

"Trump hat mit dem Argument der gefährdeten nationalen Sicherheit die Büchse der Pandora geöffnet", erklärt ein frustrierter WTO-Funktionär. Der Mitarbeiter der Handelsorganisation, ein US-Amerikaner, steht im lichtdurchfluteten Innenhof der WTO-Zentrale. Während er an einem Cola nippt, verweist er auf einen anderen Konflikt, der vielerlei Befürchtungen auslöst: Trumps Clinch mit China. Auch hier, warnen Genfer Unterhändler, umgingen die USA de facto das Streitschlichtungssystem der WTO. Und legten so die WTO-Justiz lahm. Washington blockiert die Neubesetzung frei werdender Richterstellen beim WTO-Berufungsgericht, der entscheidenden Instanz. Die Zahl der Berufungsrichter schrumpfte von sieben auf vier. Geht es so weiter, ist Ende 2019 nur noch einer übrig und die WTO kann dann keine Konflikte mehr schlichten. (Jan Dirk Herbermann aus Genf, 31.3.2018)