Feminismus und Islam – es gibt kaum andere Begriffe, die zurzeit für mehr Diskussion und Aufruhr sorgen. Mögen sie bei manchen auch ähnliche Emotionen auslösen, so verbindet sie zunächst offensichtlich nichts, ja es scheint sogar so, als würden sie einander ausschließen. Während Feminismus unterschiedlichste Konnotationen haben kann, wird der Islam zumeist als eine Religion verstanden, in der ausschließlich Männer den Ton in Auslegung und Gesetzgebung angeben, während der aktivste Glaubensakt der Frau gerademal das Überziehen der Burka sein darf.

Freilich, die meisten Religionssysteme haben einen patriarchalen Beigeschmack, und eine Theologie, die nicht nur von Frauen betrieben wird, sondern dabei auch die Rolle der Frau zum Zentrum ihrer Auslegung macht, wirkt zunächst immer alles andere als selbstverständlich. Liegt dieses Religionssystem aber auch noch komplett außerhalb des persönlichen Erfahrungskontextes, wie eben für den Westen der Islam, wird das, was in der eigenen Religion schon kaum gesehen wird, komplett unsichtbar, wodurch sich dann ein öffentliches Bild wie das oben beschriebene ergibt.

Feministische Theologinnen und Aktivistinnen – ein weniger bekanntes Phänomen.
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Kaum Unterschiede zwischen Außen- und Innenperspektiven

Bei feministischen Theologinnen und Aktivistinnen handelt es sich also um ein weniger bekanntes Phänomen, besonders in westlichen Gefilden, aber mitunter auch in ihren eigenen Heimatländern. Regimeabhängig wurden ihre Publikationen teilweise verboten oder es wurde generell die weitere Verbreitung verhindert, indem sie beispielsweise kaum in andere Sprachen übersetzt wurden. Aus diesen und anderen, noch hinzukommenden Faktoren, ergeben sich auch die Außen- beziehungsweise Innenperspektiven auf islamische Theologinnen.

Die männlich dominierte innerislamische Perspektive lehnt sie zumeist ab, wenn sie sie nicht einfach nur ignoriert, oder sie in Härtefällen der Apostasie (Glaubensabfall) oder des Atheismus bezichtigt. Interessanterweise unterscheidet sich dies kaum von außerislamischen Perspektiven, welche islamische Theologinnen ebenfalls kaum wahrnehmen. Fallen sie dennoch auch außerislamisch auf, so werden sie zumeist nicht ernstgenommen, da sie aus ihrem Glauben argumentieren und somit für viele, deren Bild vom Islam diesen als grundsätzlich frauenfeindlich und Musliminnen somit als reine Opfer zeichnet, eine Art religiöses Stockholm-Syndrom bedienen.

Emanzipiertes Selbstverständnis abseits des verwestlichen Feminismus

Das Selbstverständnis islamischer Theologinnen unterscheidet sich indessen vehement von den oben beschriebenen Perspektiven. Zumeist möchten sie selbst als aktiv gläubige Musliminnen verstanden werden – schließlich argumentieren sie, genauso wie ihre männlichen Kollegen, aus ihrem Glauben heraus und interpretieren auf ihrer Religiosität basierend die heiligen Schriften. Wo oftmals vermutet wird, die Gesamtheit der Musliminnen sei aufgrund ihres Glaubens automatisch auch mit den sie unterdrückenden Gesetzgebungen einverstanden, führen weibliche Theologinnen diese Idee ad absurdum, indem sie aus denselben heiligen Texten Emanzipation und Gleichberechtigung herleiten. Ihnen aufgrund ihrer Argumentationen, die somit nicht die heiligen Texte, sondern deren Auslegungen hinterfragen, Apostasie oder Atheismus nachzusagen, wäre somit nicht nur komplett verkehrt, sondern zudem auch beleidigend. Den feministischen Theologinnen geht es um eine Systemveränderung aus dem System selbst heraus, nur die Mitglieder der Religion selbst können diese verändern.

Während sie somit eine Modernisierung des Islams anstreben, ergibt sich paradoxerweise zugleich eine Abneigung zu dem, was wir als modernen Feminismus verstehen würden. Dabei macht die Abgrenzung zum (westlichen) Feminismus-Begriff durchaus auch Sinn: Wie Riffat Hassan in ihrem Beitrag "Feminist Theology: The Challenges for Muslim Women" aus 1996 schreibt, wird der Begriff in den arabischen Ländern häufig in einen Kontext mit der Verwestlichung, die dort selbst als eine negative Begleitbedeutung von Modernisierung gilt, gesehen. So sei Modernisierung auf zwei Arten zu verstehen: einerseits im Sinne von durchaus positiver Erneuerung, andererseits aber als ein Prozess der Verwestlichung, der (aufgezwungenen) Übernahme westlicher und somit fremd anmutender Wertvorstellungen und Verhaltensweisen. Besonders in den ehemaligen Kolonialländern besteht eine enorm starke Ablehnung gegenüber diesem Begriff – was vollkommen nachvollziehbar erscheint eingedenk der Tatsache, dass dort über lange Zeiträume ebendiese Zwangsverwestlichung stattfand. In diesem Sinne wird eine voll emanzipierte muslimische Frau auch nicht als Symbol für notwendige und positive Erneuerung, sondern als Opfer der Verwestlichung betrachtet. Während also Modernisierung an und für sich eine erstrebenswerte Entwicklung darstellt, sollte diese aber idealerweise zugleich unabhängig von westlichen Einflüssen passieren. So ergibt es sich, dass eine theologische Bewegung, welche die Gleichberechtigung und Emanzipation der unterdrückten Frauen zum Ziel hat, nicht als Feminismus definiert werden kann, auch wenn sie, nach westlichen Definitionen, unter diesen Begriff fallen könnten. Nebenbei ergibt sich so außerdem die bittere Ironie dieses Beitrages, der von einer nicht muslimischen Europäerin verfasst wird, die zudem in Ermangelung eines besseren Begriffes gegen die Wünsche dieser Bewegung verstoßen, und sie als feministisch bezeichnen muss.

Nazīra Zain ad-Dīn – eine historische Vordenkerin der Kopftuchdebatte?

Um auch ein Beispiel für die hier angeführten Informationen zu weiblichen islamischen Theologinnen geben zu können, sei hier das Werk von Nazīra Zain ad-Dīn beschrieben. Die 1908 geborene, libanesisch-syrische Schriftstellerin ist nicht nur eine der bekanntesten feministischen Theologinnen, sie gilt überhaupt sogar als die Wegbereiterin des islamischen Feminismus. Tatsächlich stieß sie in ihren Büchern Diskussionsthemen an, die heute noch kaum an Aktualität eingebüßt haben, wie etwa die Kopftuchdebatte. Mit dieser befasste sie sich im Alter von zwanzig Jahren in ihrem ersten Buch "Enthüllung und Verschleierung" (Al-sufur wa al-hijab). In ihrem Erstlingswerk, das von manchen Interpreten als Reaktion auf ein syrisches Gesetz von 1927 vermutet wird, behandelt Zain ad-Dīn in vier Kapiteln die schon zu ihrer Zeit höchst umstrittene Ganzkörperverschleierung. Dank der Position ihres Vaters, ein Richter am Obersten Berufungsgerichts des Libanon und somit auch islamischer Gelehrter, gehörte sie zur oberen Bildungsschicht und konnte so nicht nur ausgezeichnete Schulen besuchen, sondern auch durch ihren Vater Unterweisungen in Koran, Hadith und Scharia erhalten.

Auf diese Weise ideal ausgerüstet, um sich fachgerecht mit den heiligen Texten und deren Auslegungen auseinandersetzen zu können, argumentiert sie in den vier Kapiteln von Enthüllung und Verschleierung gegen das Gebot der Ganzkörperverschleierung. Während sie im zweiten Kapitel unabhängig von exegetischer Arbeit nach Vernunftgründen sucht, welche für oder gegen die Vollverschleierung sprechen könnten, widmet sie das dritte Kapitel der selbstständigen Neuinterpretation jener Suren, welche allgemein im Kontext mit der Verschleierung ins Feld geführt werden (namentlich Sure 4:34). Aus dieser Methodik ergibt sich ihr Urteil über das Verschleierungsgesetz: es handelt sich dabei um eine geschlechterspezifische Interpretation des Textes, wodurch die Diskriminierung den Frauen auferlegt wird. Diese nüchterne Schlussfolgerung lässt sie aber nicht am Islam zweifeln, im Gegenteil: für Zain ad-Dīn schließen sich Vernunft und Glauben nicht aus, vielmehr könne das eine nicht ohne das andere betrachtet werden. Die selbstständige, auf Vernunft basierende Interpretation der heiligen Texte ist die Pflicht jedes Gläubigen, das ist die Grundaussage von Zain ad-Dīn und zugleich auch der Grund, warum ihr Werk auch 90 Jahre nach dessen Veröffentlichung noch aktuell ist.

Die Kritik für diese Argumentation, die immerhin die Auslegungsherrschaft von der männlichen Autorität wegfordert und in die Hände der Allgemeinheit gibt, ließ logischerweise nicht lange auf sich warten. Auch wenn Zain ad-Dīn so weitsichtig war, im vierten Kapitel von Enthüllung und Verschleierung Fragen zu stellen und zu beantworten, von denen sie ahnte, dass ihre Kritiker sie stellen würden, so schützte sie dies dennoch nicht vor der folgenden Entrüstungswelle. Neben ihren Aussagen wurde sie auch aufgrund ihrer Angehörigkeit zum Drusentum (maḏhab at-tauḥīd, "Lehrrichtung der göttlichen Einheit"), einer schiitischen Ausprägung, welche nur von wenigen islamischen Gruppierungen anerkannt wird, zur Atheistin erklärt, während ihr Buch verboten wurde. Dies hinderte sie allerdings nicht an weiterer schriftstellerischer Tätigkeit, so schrieb sie im selben Jahr noch ihr zweites Buch, "Die junge Frau und die Scheichs" (Al-fatat wa alshuyukh), eine Antwort auf die Reaktionen von Seiten der männlichen Theologen. Danach wurde es allerdings bald still um Zain ad-Dīn, nach fünf Jahren zog sie sich aus dem öffentlichen Diskurs zurück, bis zu ihrem Tod 1976 hörte man nichts mehr von ihr. Auch wenn ihre aktive Einflussnahme nur von kurzer Dauer war, so lebt die Wirkung ihres Werkes noch immer weit über ihren Tod hinaus. Bis heute gilt Zain ad-Dīn als wichtiger Einfluss nicht nur auf die arabische Frauenbewegung, sondern auch als Inspiration für viele muslimische Frauen, die aktive Kontrolle nicht nur über ihr Leben selbst, sondern auch über die Auslegung ihres Glaubens übernehmen möchten.

Moderne Auseinandersetzung und die Vorteile des Web 2.0

Wie die saudi-arabische Historikerin und Aktivistin Hatoon Ajwad al-Fassi schreibt, ist die schriftstellerische Tätigkeit das wichtigste Medium für Frauen, um sich mit ihrer Position auseinandersetzen zu können. Die vielseitigen Möglichkeiten des digitalen Zeitalters haben in diesem Sinne der Frauenbewegung wohl den größten Gefallen getan. 

Das Kopftuch-Emoji gibt es seit 2017.
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Von Twitter über Facebook bis zum Gestalten eigener Websites und dem Veröffentlichen aktivistischer Videos auf Youtube: dem modernen islamischen Aktivismus sind keine Grenzen gesetzt. Wenn sie auch ihren Vordenkerinnen einiges zu verdanken haben und sich in vielen Punkten auf diese berufen, so haben die Teilnehmerinnen der modernen Frauenbewegung ihren Vorgängerinnen doch eines voraus: Das Internet erlaubt ihnen eine ungeahnte Verbreitung und Vernetzung, was zugleich auch globale Aufmerksamkeit generiert – und somit auch die Möglichkeit, mit dem Bild der religiös bedingt mundtoten islamischen Frau, das sich so lange schon in den westlichen Gefilden eingenistet hat, endgültig zu brechen. (Raphaela Hemet, 4.4.2018)

Weiterführende Literatur
  • Riffat Hassan: Feminist Theology: The Challenges For Muslim Women, in: Critique (Journal for Critical Studies on the Middle East) 9 (1996), 53–65.
  • Hatoon Ajwad al-Fassi: Saudi Women and Islamic Discourse, Selected Examples of Saudi Feminisms, in: Journal of Women of the Middle East and the Islamic World 14 (2016), 187–206.

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