Wien – Finster sind die Farbnebel und doch erfüllt von warmem Licht, das von einer unsichtbaren Quelle in das Bild zu strömen scheint. Dieses innere Leuchten, diese Dramatisierung mit Licht, sie beschreibt ein ungewöhnlich kleines Gemälde von Mark Rothko – aber ebenso auch das 300 Jahre ältere Selbstporträt von Rembrandt gleich daneben. Rothkos Granatrot, sein Braun und Preußischgrün, sie sind wie ein stummes Echo jener Farben, die der Kollege im 17. Jahrhundert verwendet hat, ein Nachhall wie ein unterirdisches, Schaudern hervorrufendes Grollen. Zwei zurückhaltende Bilder, große Wirkung.

Rembrandt war für Mark Rothko einer der ersten modernen Maler: Jetzt hängen Werke beider Meister im KHM einträchtig nebeneinander. (Rembrandt Harmensz. van Rijn, Großes Selbstporträt, 1652 aus dem KHM und eine Komposition ohne Titel von Mark Rothko aus dem Jahr 1959/60, eine Leihgabe von Mark Rothkos Sohn Christopher)
Foto: KHM-Museumsverband

Es ist eine ungewöhnliche Paarung über viele Jahrhunderte hinweg, die das Kunsthistorische Museum (KHM) hier präsentiert – und auch wieder nicht. Hat doch Rothko (1903-1970), der mit schwebenden Balken aus Farbe atmosphärische Räume baute, den niederländischen Barockmeister über alle Maßen geschätzt: für dessen Zauberei mit Licht und die Darstellung der Conditio humana. Das war genau das, was auch den abstrakten Expressionisten Rothko in seiner Kunst antrieb: "Mich interessiert nicht das Verhältnis von Farbe oder Form oder irgend so etwas. Mich interessieren nur die grundlegenden menschlichen Emotionen: Tragödie, Ekstase, Schicksal."

Nur selten einverstanden

Und doch richtete Rothko den Blick sehr auf die Wechselwirkung zwischen Bildern – genauer: zwischen seinen Gemälden. Denn Gruppenausstellungen lehnte er ab. Die mit dem Maler befreundete Kunsthistorikerin Dore Ashton sagte einmal, Rothko sei wegen seiner Detailverliebtheit und den hohen Ansprüchen nur selten mit der Präsentation seiner Werke einverstanden gewesen.

Es waren etwa auch seine gesellschaftspolitischen Prinzipien, die 1959 dazu führten, dass er seinen Auftrag für die Ausstattung des berühmten Seagram Building in New York zurückgab: Rothko war davon ausgegangen, dass seine Wandgemälde im Raum einer Cafeteria auch eine einfache Sekretärin erfreuen würden; an der Betrachtung durch die elitäre Kundschaft des dort stattdessen untergebrachten sündteuren Four Seasons Restaurants war er hingegen nicht interessiert.

Experimente mit Epochalem

Ob Rothko, der gerne solo ganze Räume bespielte, sich auch dem aktuellen Intermezzo mit Rembrandt im KHM verwehrt hätte? Vermutlich hätten ihn die Nachbarschaft des alten Meisters und das ruhige Sälchen mit dem dämmrigen Licht milde gestimmt (und vielleicht auch die Aussicht auf die Retrospektive 2019). Denn die meditative, sinnliche Wirkung auf die Rothko es abgezielt hatte, die erfüllt sich hier völlig.

The Shape of Time heißt dieses Epochengrenzen sprengende Experiment des KHM, das für den Betrachter 18 weitere solcher Paarläufe bereithält. Ein Tête-à-Tête, das, so die Hoffnung von Kurator Jasper Sharp, nicht folgenlos bleibt. Sprich, dass die Gäste – von Paul Cézanne und Pablo Picasso bis William Turner und Franz West – nicht nur während ihres Besuchs eine fruchtbare Konversation mit den alten Verwandten pflegen, sondern die Gespräche auch nach ihrer Abreise nachklingen.

Ein schöner Gedanke

Dass sich unser Blick auf die uns scheinbar so vertrauten Bilder der Gemäldegalerie dauerhafter ändern könnte, diese Idee folgt einem Gedanken von T. S. Eliot: "Das Vergangene erfährt durch das Gegenwärtige eine genauso große Umwandlung, wie das Gegenwärtige seine Richtlinien von dem Vergangenen her empfängt." Ein schöner, romantischer Gedanke, dem man Zeit schenken muss, um sich zu entfalten.

Im Rembrandt-Saal den Widerschein seines Kolorits in einem Bild von Rothko zu erinnern, das scheint sehr wahrscheinlich. Aber das Glücken dieses Unterfangens hängt sicher auch von der Intensität der individuellen Seherfahrung ab: Wenn also keines von beiden Bildern zum Betrachter spricht, etwas in ihm anrührt, so bleibt der Bilderdialog ein Geplapper und Geschnatter, das schon morgen vergessen ist.

Irritation oder Harmonie

Im besten Fall vergrößert sich aber der Resonanzraum, und so wird man wohl nie vergessen – noch hätte man es für möglich gehalten -, wie zart Rubens üppiges "Pelzchen" auch wirken kann. Maria Lassnigs beigestellter robuster, selbstbewusster Akt Iris stehend (1972/73) macht es möglich. Weniger konfrontativ, sondern eher in der Körperauffassung der flämischen Meister des 15. Jahrhunderts aufgehend ist Ron Muecks dem Hyperrealismus verpflichtete Plastik seines toten Vaters. Dessen in seiner Zartheit so anrührender Körper, hingelegt zwischen den Sündenfall Evas (Hugo van der Goes) und der Beweinung Christi (Geertgen tot Sint Jans) verwandelt den Saal in eine stille Kapelle der Andacht.

Mal lenken die illustren Zeitreisenden (u. a. aus dem Metropolitan Museum oder der Tate) den Blick auf übersehene Details, mal zeigen sie die Kontinuität von Themen und Bildauffassungen. Der Spaß liegt im Entdecken dieser Spannungen und Gleichklänge. Für solche Besuche sollte sich im KHM doch ein permanentes Gästezimmer finden lassen. (Anne Katrin Feßler, 4.4.2018)

Bis 8. Juli

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Kunsthistorisches Museum

2018 wie 1989 als Franz West als erstem lebenden Künstler eine Intervention im Kunsthistorischen Museum gestattet war: Auch damals waren Wests "Liegen (Caravaggio)" vor Caravaggios "Rosenkranzmadonna" (um 1601) aufgestellt.

Foto: KHM-Museumsverband

Peter Paul Rubens Bildnis seiner zweiten Gattin Helena Fourment (genannt: "Das Pelzchen") folgt einem Schönheitsideal des 17. Jahrhunderts. 1972/73 als Maria Lassnig ihre Nachbarin Iris als Akt darstellt, ist der Körper bereits Schauplatz feministischer Fragestellungen geworden.

Foto: KHM-Museumsverband

Die lüsternen Alten, die Susanna nicht nur begaffen, sondern in ernste Gefahr bringen, fallen in Jacopo Robustis (gen. Tintoretto) Gemälde "Susanna im Bade" (um 1555/56) kaum auf: In der Gegenüberstellung mit dem 2018 entstandenen Bild von Kerry James Marshall verschärft sich der Aspekt des Voyeurismus.

Foto: KHM-Museumsverband

Stürmisch die See, stürmisch der Drang des Jünglings mit der Flöte: Des Schäfers Spiel für die Nymphe malte Tiziano Vecellio, genannt Tizian, um 1570/75; das Seestück von Joseph Mallord William Turner aus der Tate Modern entstand knapp dreihundert Jahre später, genauer 1856.

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