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Auch Österreich spürt den klimabedingten Rückgang der Gletscher. Der Dachstein in der Ramsau ist zum Beispiel betroffen.

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Wien – "Mission2030": so nennt die türkis-blaue Regierung die lang erwartete Klima- und Energiestrategie, die am Dienstag präsentiert wurde. Sie soll das "Ende der fossilen Energie" einläuten. Die Reduktion der Treibhausgasemissionen soll "ohne Verbote" erfolgen, betonte Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) vor der Presse. Doch das Papier wird nicht nur von Umweltorganisationen, sondern auch von Wissenschaftern kritisiert.

Denn das rund 60-seitige Dokument weist zahlreiche Lücken auf. So fehlt nach wie vor ein konkreter Umsetzungsplan, wie zum Beispiel das notwendige Gesamtbudget. An keiner Stelle finden sich fixe Eurobeträge, um positive Anreize zu schaffen. "Mit dem aktuellen Umweltbudget wird es nicht funktionieren", kommentiert Christiane Brunner, ehemalige Umweltsprecherin der Grünen, die Strategie.

Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb hätte sich "klare Tabellen mit Zielen und Einsparungspotentialen" gewünscht. Denn auch die Frage der Zuständigkeit bleibt meist offen. "Willensbekundungen werden ohne regulatorische Rahmenbedingungen nicht von alleine passieren", sagt Renate Christ, Ex-Mitglied des Uno-Klimarats. Nun folgt eine Evaluierung, bis Juni soll die finale Version vorliegen. (red)

Angela Köppl ist Ökonomin und Umweltexpertin am Wirtschaftsforschungsinstitut.
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Angela Köppl

Mit der Erstellung der Klima- und Energiestrategie wurde ein Versprechen eingelöst, sagt Klimaexpertin Angela Köppl vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Das sei positiv hervorzuheben, denn darauf könnte nun Bezug genommen werden. Dennoch findet die Ökonomin auch einige Kritikpunkte an der Klima- und Energiestrategie: "Der erste Eindruck ist, dass einzelne Bereiche angesprochen werden, aber das Systemdenken dahinter fehlt, wie wir es in den Wifo-Studien immer wieder betonen", sagt Köppl im Gespräch mit dem STANDARD. In dem Papier wurden viele Punkte angesprochen, die aber nicht auf einer Gesamtsicht mit dem Fokus auf Funktionalitäten aufbauen, argumentiert Köppl.

Als wichtig sieht die Expertin hingegen die weitere geplante Förderung im Bereich der thermischen Gebäudesanierung, die bei der Präsentation mehrfach hervorgehoben wurde. "Geplant ist, die Wohnbauförderung stärker in diesen Bereich zu lenken." Ohne die Absprache mit den Ländern sei dieses Vorhaben jedoch nicht realisierbar.

Um die langfristigen Klimaziele zu erreichen, müsste jedoch noch einen Schritt weiter gegangen werden, sagt Köppl. Die alleinige Sanierung im Wohnbau sei nicht ausreichend. "Im Bereich der Geschäfts- und Bürogebäude, wo neue Standards ebenso wichtig wären, müssen effizientere Strukturen geschaffen werden", sagt Köppl.

Die geplante Anhebung der Sanierungsrate hält Köppl für ein notwendiges Ziel, das wiederholt vorgeschlagen wurde.

Dazu sei ein konkreter Umsetzungsplan so bald wie möglich notwendig, der festhält, welche Schritte auf welcher Ebene in der Politik gesetzt werden. Dieser Aspekt ist in der Energie- und Klimastrategie in weiten Schritten nicht konkretisiert, meint die Ökonomin. "Es wird immer schwieriger, je später man anfängt."

Die Steuerung des Verbraucherverhaltens bei Energie über den Preis sei eine sinnvolle Maßnahme in einem Instrumentenmix, sagte Köppl. Aber eine grundlegende Systemänderung brauche Anstöße oder Anreize auf verschiedenen Ebenen, etwa bei der Schaffung der entsprechenden Infrastruktur für den Ausbau des Fahrradverkehrs. (lauf, APA)

Renate Christ, Biologin, leitete in Genf das Sekretariat des UN-Weltklimarats (IPCC).
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Renate Christ

In den vergangenen Jahrzehnten sei zu wenig passiert, sagt Renate Christ. Die Biologin war bereits 1992 bei dem Erdgipfel in Rio de Janeiro dabei. Österreich habe zwar das Kioto-Protokoll unterzeichnet und sich zu einer Reduzierung der Treibhausgase um 13 Prozent verpflichtet. "Aber in den letzten 26 Jahren wurde gerade einmal eine Stabilisierung der Emissionen erreicht", zieht Christ eine Bilanz.

Viele Absätze der Klima- und Energiestrategie zielen auf Maßnahmen ab, die "gut und schön sind", so die Wissenschafterin. Aber ihr fehlen strikte Fristen – auch was eine Bewertung anbelangt: Das Pariser Klimaabkommen sehe zum Beispiel eine Evaluierung alle fünf Jahre vor. Eine Neubewertung nach zehn Jahren, wie in der österreichischen Strategie vorgesehen, erscheint ihr zu lang.

Denn die Willensbekundungen im Papier würden "ohne regulatorische Rahmenbedingungen nicht von selbst" verwirklicht werden. Als Beispiel nennt sie die thermische Sanierung der Gebäude. Wie hier die Förderstruktur aussieht, ist noch unklar. So werde an unterschiedlichen Stellen von einer "Mobilisierung des Privatkapitals" gesprochen. Christ zeigt sich skeptisch, dass das ohne Investitionssicherheit passieren werde. Denn Preis- und Förderungssignale wurden in der Strategie nicht ausformuliert.

Als positiv bewertet die Expertin, dass im Gebäudesektor einiges konkreter ausformuliert wurde als im Regierungsprogramm. So werde bei dem angestrebten Tausch von Ölheizungen nun explizit ausformuliert, dass sie durch erneuerbare Energie ersetzt werden sollen.

Dass die E-Mobilität ausgebaut werden soll, sei ebenfalls ein richtiger Schritt. Aber die Zwischenschritte, um dieses Ziel zu erreichen, seien zu vage. Es fehlten zum Beispiel Schlüssel, ab welcher Größe eine Gemeinde wie viele E-Ladestationen errichten müsse.

Enttäuschend sei, dass das Thema Verkehrsberuhigung nicht vorkomme. "In anderen europäischen Städten gibt es etwa eine City-Maut", sagt Christ.

Insgesamt sind ihr die geplanten Anstrengungen zu wenig. Eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 36 Prozent bezeichnet sie im Vergleich mit anderen Industriestaaten als "sehr moderat". (july)

Helga Kromp-Kolb ist eine österreichische Meteorologin und Klimaforscherin.
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Helga Kromp-Kolb

Zumindest gebe es nun ein Bekenntnis von zwei Ministern ‑ Verkehrsminister Norbert Hofer und Umweltministerin Elisabth Köstinger ‑ zu den Pariser Klimazielen. Zudem werden konkrete Themen angesprochen, wie die Klima- und Energiewende herbeigeführt werden soll. Außerdem wurde erfreulich deutlich hervor gestrichen, dass Klimaschutz nicht nur Zusatzbelastung bedeutet, sondern auch Chancen birgt, sagt Klimaforscherin Helga Kromp‑Kolb als erste Reaktion zur österreichischen Klima‑ und Energiestrategie.

Problematisch sei, dass sich die Ziele nicht wirklich an Paris, sondern an den EU‑Zielen orientieren. "Wir wissen bereits, dass hier nachgebessert werden muss", sagt Kromp‑Kolb.

Dass die Klima‑ und Energiestrategie ohne Verbote, aber mit mehr Förderungen arbeitet, sei prinzipiell ein "gangbarer Weg". Aber dafür würden die Zusagen im Budget fehlen. Mittelfristig sei eine öko‑soziale Steuerreform notwendig, die das Steuersystem in Österreich umweltfreundlicher machen könnte, sagt Kromp‑Kolb. Denn dadurch könnte "das Falsche" unattraktiv gemacht werden, statt langfristig "das Richtige" fördern zu müssen. In erster Linie müssten die fossilen Brennstoffe teurer werden. In der Klimastrategie fehlen auch ihr die Zahlen. Diese seien jedoch notwendig, wenn man den Erfolg der angestrebten Maßnahmen messen will.

"Als Naturwissenschafterin wäre mir eine Tabelle lieber gewesen, die in den einzelnen Bereichen Fristen und Einsparungsziele fixiert", sagt sie.

Hier sei auch der Bereich der Verantwortung wichtig. Die Zuständigkeiten für die Umsetzung müssten festgelegt werden. Das fehlt zu großen Teilen im vorliegenden Papier. "Aber es ist ja noch Zeit, bei diesen Punkten nachzubessern", sagt Kromp‑Kolb in Hinblick auf die Partizipationsphase bis Juni, an der sich hoffentlich möglichst viele Österreicher beteiligen.

Abschließend betont die Forscherin, dass eine verstärkte wissenschaftliche Begleitung des Prozesses notwendig wäre; das Forschendennetzwerk Climate Change Center Austria (CCCA) versammle die dafür nötige österreichische Expertise und die Bereitschaft konstruktiv mitzuarbeiten. Auch im Bereich Bildung verortet sie positive Anzeichen:

So soll der Klimawandel Eingang in der Lehrplan an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen finden. (july)

Karl Steininger leitet die Coin-Studie und ist in der Leitung des Wegener-Centers für Klima und Globalen Wandel tätig.
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Karl Steininger

Eine thematisch derart weite politische Strategie zum Klimaschutz habe es in dieser Art in Österreich noch nicht gegeben, bestätigte Klimaforscher Karl Steininger von der Universität Graz dem STANDARD. Es werde zentral betont, dass die Klimaziele von Paris erreicht werden sollten, dazu fehle allerdings noch die Thematisierung, wie bis 2050 das österreichische CO2-Budget eingehalten werden solle. Denn laut der Studie des Wegener-Centers zu den Paris-Zielen steht Österreich nur noch ein begrenztes Budget an Treibhausgasemissionen bis 2050 zur Verfügung, maximal noch 1500 Millionen Tonnen.

Ein Gegensteuern zum jüngsten Emissionsanstieg sei also dringend notwendig, und der Anfangspunkt sei damit jetzt in Österreich gesetzt. "Selbst die 2030-Ziele der EU reichen jedoch nicht aus, wenn wir unseren Beitrag zu Paris wirklich leisten wollen", sagt der Wissenschafter. Wir müssten letztlich darauf abzielen, über 36 Prozent Emissionseinsparungen und das im Strategiepapier angeführte Ziel von 50 Prozent Anteil der erneuerbaren Energien hinauszugehen.

Das Dekarbonisierungsprogramm in der Strategie fokussiere auf eine große Bandbreite an Aktivitätsfeldern, es seien noch zentrale Punkte im Konsultationsprozess zu ergänzen. Was Steininger unter anderem fehlt, ist die Erwähnung von Wärmenetzen in Gebäuden, um auch Niedertemperaturabwärme effizient zu nutzen. Positiv hebt er hervor, dass die Rolle der öffentlichen Hand als Vorbild betont wird. So befinden sich 60.000 Gebäude im Eigentum des Bundes, hier soll etwa auf erneuerbare Energie gesetzt werden, so die Ankündigung. Die budgetären Folgekosten des Klimawandels werden ebenso angesprochen, mit dem Ziel, diese zu vermeiden.

Hingegen fehlt Steininger eine Budgetierung. So werde einiges konkret angesprochen: das Fallen der Eigenstromsteuer, die Verdoppelung des Radfahreranteils auf 13 Prozent bis 2025, die Erhöhung der Sanierungsrate auf zwei Prozent. Der finanzielle Rahmen werde aber nicht abgesteckt. Insgesamt sei nun ein klarer Prozess für einen Konsens notwendig, denn "es wäre notwendig, dass wir das in Österreich auf die Reihe kriegen". (july, 3.4.2018)