In letzter Zeit lese oder höre ich öfter, dass Personen sich bezüglich ihrer Geschlechtsidentität als "jenseits der binären Geschlechterordnung", also als "nonbinär" bezeichnen. Das ist natürlich eine prima Sache, der ich applaudiere. Aber was ich nicht akzeptiere, ist, wenn der Eindruck erweckt wird, dass sie deshalb keine Frauen mehr wären. Ich meine: Es ist natürlich möglich, dass eine Person, die "nichtbinär" ist, ein anderes Geschlecht hat als das weibliche, sie kann ja auch männlich oder Eichhörnchen oder Frostschnee sein oder auch nichts oder auch alles davon. Aber genauso gut ist es möglich, dass sie eine Frau ist. Denn das eine – ob man binär ist oder nicht – hat mit dem anderen – ob man eine Frau ist oder nicht – nichts zu tun.

Was heißt Frausein?

Freies Frausein bewegt sich selbstverständlich außerhalb binärer Geschlechterkonstruktionen. Sogar weiter außerhalb als das Allermeiste, was ich bisher von queerfeministischer Theorie gehört habe.

Viele Queerfeministinnen und -feministen vertreten zum Beispiel ein Bild von Geschlechterdifferenz, wonach weiblich und männlich die äußeren Enden eines Kontinuums bilden, in dessen Dazwischen es alle möglichen Abstufungen und Kombinationen gibt. Das greift aber zu kurz: Wenn es zwischen Schwarz und Weiß noch alle möglichen Grautöne gibt, dann ist das natürlich nicht so binär wie zwei klar definierte getrennte Kästchen und dazwischen nichts. Aber bei den Grautönen haben wir eben noch nichts Buntes: Das Weibliche kann nichts anderes sein als mehr oder weniger männlich. Die Vorstellung von Geschlechtsidentitäten als Kontinuum mit Zwischentönen bewegt sich immer noch vollkommen innerhalb der binären Logik.

Der Feminismus hingegen – jedenfalls ein großer Teil davon – beschäftigt sich mit dem freien Sinn der weiblichen Differenz. Also mit der Frage, welche Bedeutung Frausein hat und haben soll für uns Frauen, vollkommen unabhängig davon, was Mannsein ist oder nicht ist.

Nichtbinär heißt nicht gleich nichtweiblich.
Foto: https://www.istockphoto.com/at/portfolio/paffy69

Birnen versus Automotoren

Aus der Binarität kommen wir nur raus, wenn Frausein nicht länger über das Mannsein definiert wird. Wenn wir verstehen, dass Frauen weder das Gegenteil noch das Komplementäre der Männer sind – und auch nicht deren Gleiche oder das andere Ende einer imaginären Kontinuums-Schnur.

Frauen sind Frauen, basta. Sie sind mit Männern – und anderen Geschlechtern – nur insofern verbunden, als sie alle derselben Spezies Mensch angehören. Aber aus dem Mannsein lässt sich rein nichts über das Frausein ablesen. Wenn du etwas über Männer weißt, weißt du noch nichts über Frauen. Die Geschlechterdifferenz ist nicht binär. Es ist eine nichtbinäre Differenz, also eine Differenz, die sich nicht in der Logik von hell versus dunkel oder kalt versus warm bewegt, sondern eher so wie Birnen versus Automotoren. Es sind beides Dinge, aber man kann von Birnen nichts über Automotoren lernen und von Automotoren nichts über Birnen.

Nur in einer patriarchalen Logik wird das, was Frauen tun, "binarisiert". In patriarchaler Ideologie wird weibliche Subjektivität nicht betrachtet, sondern unweigerlich auf die Männer bezogen, und zum Beispiel gefragt, ob es anders oder genauso ist. Das ist aber komplett egal, denn: Was Frauen tun, das ist nicht auf Männer bezogen, sondern auf die Welt.

Nichtbinäre Weiblichkeit stärken

Feministische Kämpfe bestehen unter anderem darin, Frauen in dieser ihrer eigenständigen Subjektivität wahrzunehmen. Genau das wird durch einen "binarisierten" Blick auf weibliches Handeln verhindert. Zum Beispiel wird auf wirklich jede einzelne Aussage über Frauen, die ich mache, geantwortet "Aber die Männer machen es doch genauso" oder "Willst du damit sagen, Frauen wären anders als Männer?". Es ist einer Kultur mit patriarchal beschränktem Vorstellungsvermögen sehr schwer, nichtbinär über Weiblichkeit zu sprechen.

Aber genau das, eine nichtbinäre Weiblichkeit zu stärken, tut der Feminismus seit hunderten von Jahren. Denn es hängt unsere Freiheit, die Freiheit der Frauen, davon ab, ob das gelingt: uns als eigenständige Subjekte zu denken, die nicht automatisch auf Männer bezogen sind.

Und deshalb finde ich es ärgerlich, wenn manche Queerfeministinnen und -feministen "Nichtbinarität" mit "Nichtweiblichkeit" gleichsetzen. Denn dadurch verstärken sie im Gegenzug eben die Verknüpfung von Weiblichkeit und Binarität und machen sich damit letztlich zu Komplizinnen und Komplizen einer patriarchalen Ideologie. Sie stellen sich der Freiheit der Frauen in den Weg, indem sie Freisein dem Frausein entgegenstellen. Denn ohne "Nichtbinarität" kann es keine weibliche Freiheit geben.

Deshalb muss immer wieder betont werden: Frausein ist nicht binär. Binär ist das Frausein nur in einer patriarchalen Logik, gegen die freie Frauen seit langem ankämpfen und über die wir – manche, viele von uns – auch schon lange hinaus sind. (Antje Schrupp, 6.4.2018)