Strenggläubige Muslime wird man durch gesetzliche Verbote nicht einsichtig machen, doch das Herz ihrer Kinder kann es zerreißen.

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Keine Frage: Soll das Gemeinschaftliche in Wahrnehmung und Verhalten zwischen Menschen unterschiedlicher Religion, Herkunft oder Hautfarbe gestärkt werden, so muss das Trennende in den Hintergrund treten. Deshalb hat man vor 50 Jahren in den USA "farbige" Kinder aus armen Bezirken mit Bussen in Schulen mit vornehmlich "weißen" Kindern transportiert. Wenn in Österreich Kinder islamischen Glaubens in Kindergärten und Schulen kein Kopftuch tragen, ist das zu begrüßen.

Besser Reden

Aber per Gesetz das Kopftuchtragen zu verbieten und mit Geldstrafen zu drohen, ist nicht zu begrüßen. Man kann Ziele ja auch anders erreichen: Durch Gespräche der Jungendfürsorge mit Betreibern jener islamischen Kindergärten, wo das vielleicht üblich ist (laut Experten extrem selten). In den Volksschulen könnten die Lehrer mit den Eltern und Kindern sprechen, dass das gemeinschaftliche Lernen im Zentrum steht und eine äußerliche Abgrenzung unpassend ist. Es würden dann wahrscheinlich nur so viele "Fälle" übrig bleiben wie das Burkaverbot Anzeigen erbrachte.

Das wird Kinder von strenggläubigen Muslimen betreffen, welche die zwanghafte Einhaltung von Regeln (die fünf Gebete müssen auf die Minute genau begonnen werden, et cetera) zur seelischen Stabilisierung brauchen (dieses Phänomen findet sich auch in anderen Religionen oder in Sekten). Diese Menschen wird man durch gesetzliche Verbote nicht einsichtig machen, doch das Herz ihrer Kinder kann es zerreißen. Würde man in solchen Einzelfällen dem Kind in Not das Kopftuch lassen, und später, wenn Vertrauen und ein Gruppengefühl entstanden ist, darüber sprechen, die unterschiedlichen religiösen Gebräuche austauschen, wäre ein langsam wachsendes, wechselseitiges Verständnis möglich – das und nur das ist Basis gelungener Integration, nicht aber Verbote und Sanktionen. Und früher oder später würde das Kind selber das Kopftuch ablegen.

Keine dumme Regierung

Die Regierung möchte aber gar keine tragfähige Integration erreichen, dann wäre sie ja dumm, und sie ist nicht dumm. Wenn sich das wechselseitige Verständnis immer mehr verbesserte zwischen den "Österreichern" und den "Jugos", den später ins Land gerufenen Türken, den Tschetschenen und anderen schon vor längerem zu uns Geflüchteten, ihren Kindern und Enkeln, den auf Asyl Wartenden und den asylberechtigten Flüchtlingen aus jüngerer Zeit, dann verlöre diese Regierung die Basis ihrer Zustimmung. Sie verdankt ja auch ihren Aufstieg der Flüchtlingskrise.

Daher wird der "Integrationstopf" für die Sprachförderung von Migrantenkindern beseitigt, daher sollen Asylberechtigte (das heißt schon was) mit dem halben Existenzminimum als Mindestsicherung auskommen, daher werden gezielt die AMS-Mittel für die Qualifizierung von arbeitslosen Migranten gekürzt. Dazu passt, dass die Umsetzung des Projekts "Ganztagsschule" mangels Finanzierung verschoben wird und dass die Bundesgarantie für Kredite für den sozialen Wohnbau zurückgezogen wurde.

Gewalt und Durchdrehen

Das alles macht Sinn: Wenn in den Schulen, am Arbeitsmarkt, in den "Problembezirken" Wiens die Integration weiterhin scheitert (daran haben auch die früheren Regierungen gehörig Schuld) und sich die Lage verschärft, dann werden sich die Nicht-Integrierten noch stärker in ihre nationalen Gruppen zurückziehen, sich in Problemzonen wie dem Praterstern treffen, und den meisten "Österreichern" unangenehm auffallen. Wenn sie keine Entfaltungschancen haben, werden Wut und Verbitterung besonderes der Jungen zunehmen (versetzen wir uns probeweise in die Lage eines 20-Jährigen, der es aus Afghanistan, Somalia oder Syrien zu uns geschafft hat, getrieben von falschen Hoffnungen). Manche werden anfällig für die Botschaften fundamentalistischer Prediger, andere werden "durchdrehen" und gewälttätig.

Das alles kann für die Regierung den Ausfall an neuen Flüchtlingen kompensieren: Jede Gewalttat eines Afghanen an Österreichern gibt dem Bundeskanzler die Gelegenheit, den Opfern baldige Genesung zu wünschen, und dem Krone-Heute-Österreich-Konglomerat Gelegenheit, die Richtigkeit von Kanzlers Kurz‘ politischem Kurs in Schlagzeilen zu feiern (und zu berichten, wie sehr selbst Deutschland ihm bereits zu Füßen liegt – Cordoba ist nix dagegen). Umgekehrt nützt die Regierung die Gelegenheit, Dr. Eva Dichand zum Dank für ihr wissenschaftspolitisches Engagement zur Universitätsrätin zu machen.

Krone-Heute-Österreich-Konglomerat

Das Doppelpassspiel zwischen dem Team "Neue ÖVP und alte FPÖ" und Krone-Heute-Österreich läuft auf keinem Gebiet so geschmiert wie auf jenem der deklarierten Integration der Fremden und ihrer praktizierten Des-Integration. Das ist deshalb so wichtig, weil die unteren 40 Prozent der Bevölkerung von den Maßnahmen der Regierung belastet werden (Abschaffung der Aktion 20.000 sowie der Notstandshilfe) oder nicht profitieren (die meisten Landwirte und Ein-Personen-Unternehmen werden vom Familienbonus nix haben, weil sie zu wenig verdienen). Die Gewinner sind der gehobene Mittelstand und insbesondere die Vermögenden wegen der Senkung der Körperschaftssteuer.

Da ein überproportionaler Anteil der unteren 40 Prozent der Bevölkerung Leser von Krone-Heute-Österreich sind, kann ihre Verbitterung als Folge von Langzeitarbeitslosigkeit und Zukunftsangst besonders leicht auf die Flüchtlinge gelenkt werden. Dazu dürfen Letztere aber nicht integriert werden, sondern müssen weiter unangenehm auffallen. Denn so wie die Juden an der Weltwirtschaftskrise schuld waren, so sind die Flüchtlinge an der Krise Österreichs (und ganz Europas) schuld. (Stephan Schulmeister, 5.4.2018)