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Palästinenser setzten Reifen in Brand, um israelischen Scharfschützen die Sicht zu nehmen.

Foto: Reuters / Amir Cohen

Riesenventilator gegen Rauchschwaden

Foto: APA/AFP/JACK GUEZ

Sie hatten sich vorbereitet: Auf der einen Seite des Grenzzauns postierten sich israelische Scharfschützen hinter meterhohen Erdwällen, die Armee erklärte das Gebiet rund um den Gazastreifen zur geschlossenen Militärzone. Wenige Hundert Meter weiter bastelten palästinensische Demonstranten im Gazastreifen aus alten Plastikflaschen Masken, die vor Tränengas schützen sollten. Schon in den Tagen zuvor hatten vor allem junge Männer tausende Autoreifen an die Grenze gekarrt und sie dann am Freitag angezündet. Der dicke, schwarze Rauch sollte die Sicht für die Scharfschützen vernebeln.

Im Laufe des Freitagmittags nahm die Gewalt zu: Demonstranten setzten Steinschleudern ein, warfen Molotowcocktails, die Armee antwortete mit Tränengas, Gummigeschoßen und scharfer Munition. Mindestens FÜNF Palästinenser kamen Berichten zufolge ums Leben, mindestens 1.070 wurden verletzt.

Damit verlief der Protest am Freitag zunächst nicht ganz so blutig wie befürchtet – und blieb kleiner als erwartet: Rund 20.000 Palästinenser nahmen nach Angaben der Armee an fünf Orten entlang der Grenze an den Aktionen teil, erwartet wurden 50.000.

"Marsch der Rückkehr" wird der derzeitige Protest in Gaza genannt, der noch bis Mitte Mai andauern soll. Damit fordern die Palästinenser das Recht ein, in ihre alten Dörfer zurückkehren zu dürfen – auch wenn diese teilweise längst nicht mehr existieren. Heute befindet sich auf jenem Gebiet der Staat Israel.

Besonders blutig hatte der Protest am Freitag vor einer Woche begonnen: Mindestens 20 Palästinenser kamen bei Clashes mit der israelischen Armee ums Leben, hunderte wurden verletzt.

Erst in die Luft, dann ins Bein

Die Armee schoss scharf und wollte daran auch jetzt nichts daran ändern: "Wir werden uns genauso verhalten wie vergangene Woche, sodass jeder, der unsere Souveränität verletzt oder gefährdet, sein Leben riskiert", kündigte Verteidigungsminister Avigdor Lieberman im Vorfeld an. Sollte heißen: Wenn sich ein Demonstrant dem Zaun nähert und eine Gefahr für die Soldaten darstellt, darf auch scharf geschossen werden – erst in die Luft, dann ins Bein.

Für dieses Vorgehen steht Israel nun international in der Kritik: UN-Generalsekretär António Guterres verwies auf das Demonstrationsrecht. Deutschland forderte Israel dazu auf, die hohe Zahl der Getöteten und Verletzten aufzuklären. Und auch aus Israel selbst kam Kritik: Unter dem Titel "Sorry, Herr Kommandant, ich kann nicht schießen", startete die Menschenrechtsorganisation B'tselem dieser Tage eine Kampagne, bei der sie Soldaten dazu aufruft, nicht auf Zivilisten zu schießen, die keine Gefahr darstellen. Dies sei "eindeutig illegal". Kritiker betonen, es sei noch nicht lebensbedrohlich, wenn Palästinenser auf den Zaun zulaufen.

Israels Armee sieht das anders: Eine Annäherung an den Zaun wird als Versuch gewertet, diesen zu durchbrechen – und das bedeute Gefahr. Schließlich befinden sich nahe des Gazastreifens zahlreiche Dörfer und Kibbuzim. Die Armee scheint derzeit keine ausgewogene Alternative parat zu haben. Dabei hat sie in den vergangenen Jahren auf zahlreiche Gefahren mit modernster Technik reagiert: Raketen aus dem Gazastreifen werden vom Abfangsystem "Eiserne Kuppel" gestoppt, gegen die "Terrortunnel", die von der Hamas nach Israel gegraben werden, errichtet die Armee derzeit einen unterirdischen, hochtechnologischen Sicherheitszaun.

Bei den Massenprotesten bleibt das Problem, dass sich nur schwer nachvollziehen lässt, wer von den Opfern tatsächlich eine Gefahr dargestellt hat. Waren es unbewaffnete Zivilisten, wie die Palästinenser sagen? Oder eben doch gefährliche Terroristen? Die Armee zumindest sieht es so: Man habe mit dem Vorgehen vergangene Woche eine Katastrophe verhindert. Sie veröffentlichte eine Liste mit Namen und Bildern von zehn der getöteten Palästinenser, die für Terrorgruppen aktiv sein sollen.

2500 Euro für Angehörige

Sowohl die radikalislamische Hamas als auch der Islamische Jihad bestätigten, dass unter den Opfern auch Mitglieder ihrer Organisationen waren. Die Hamas hatte diese Woche angekündigt, Opferfamilien zu unterstützen: So sollen Angehörige von Todesopfern umgerechnet knapp 2500 Euro bekommen, Familien von Verletzten bis zu rund 400 Euro. Kritiker sehen darin einen Anreiz, sich in Gefahr zu bringen und gewalttätig zu protestieren. (Lissy Kaufmann aus Tel Aviv, 7.4.2018)