Bild nicht mehr verfügbar.

"Ungarn bestimmt" plakatiert die regierende Fidesz. Wenn es um künftige Milliardeninvestitionen geht, bestimmt aber Brüssel.

Foto: Reuters / Bernadette Szabo

Wien – Am Sonntag schreiten die Ungarn an die Wahlurnen. Egal, wer die nächste Regierung stellt, muss das Land voraussichtlich durch ökonomisch turbulente Zeiten führen. Die Wirtschaft steht vor Engpässen bei Investitionen und Arbeitskräften. Das beachtliche Lohnwachstum der vergangenen Jahre kam bei vielen Ungarn nicht so an wie angepriesen. Trotzdem war Wirtschaftspolitik kaum Thema im Wahlkampf, wie der Ökonom Sandor Richter vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) kritisch feststellt. Der amtierende Premier Viktor Orbán machte Stimmung gegen Migranten und die EU, die weitgefächerte Opposition schoss sich mit Korruptionsvorwürfen auf die regierende Fidesz ein.

Starkes Wachstum

Das hat einen guten Grund: In der Momentaufnahme steht Ungarns Wirtschaft so gut da wie seit Jahren nicht. Die Wirtschaftsleistung ist im Vorjahr um vier Prozent gewachsen, heuer soll dieser Wert ebenfalls knapp erreicht werden. Die Investitionen sind nach einem Rückgang 2016 im Vorjahr heuer wieder deutlich angesprungen. Und politisch am besten zu vermarkten: Die Reallöhne sollen bis Ende 2018 binnen drei Jahren um fast 30 Prozent steigen, wie das WIIW schätzt.

Allerdings könnte diese Fassade eines robusten Wachstumskurses schon bald bröckeln. Mehr als in anderen Ländern Osteuropas stützen Investitionen der EU die Konjunktur in Ungarn. Förderungen aus Brüssel machen rund 2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung aus, schätzten Analysten von Oxford Economics. In Spitzenjahren hätten die EU-Gelder das Bruttoinlandsprodukt um 2,7 Prozent erhöht. Das Problem: Die Regierung Orbán hat die EU-Mittel beinahe ausgeschöpft – auch einige der Korruptionsvorwürfe drehen sich um Veruntreuung solcher Gelder.

Budgetiert wird in Brüssel auf sieben Jahre. Der nächste Fördertopf beginnt erst 2021. Ungarn steht somit vor mageren Jahren, in denen sich das Wachstum mehr als halbieren soll, schätzt das WIIW.

Fetten Jahre sind vorbei

Dass mit dem nächsten Förderzyklus EU-Gelder wieder so üppig nach Budapest fließen, bezweifelt Richter. Der Konfrontationskurs der Regierung mit der EU über die Verteilung von Flüchtlingen dürfte Brüssel die Spendierlaune vertreiben. Außerdem debattieren die EU-Staaten gerade, wie der Einnahmeausfall durch den Brexit zu kompensieren ist. Länder wie Österreich fordern Einsparungen.

Eine Wachstumsbremse sehen Ökonomen auch im Fachkräftemangel. Die niedrige Arbeitslosigkeit im Land ist zum Teil auf starke Abwanderung zurückzuführen. In Umfragen nennen Firmen den Mangel an Arbeitskräften als wichtigstes Hindernis für Expansion. Die Abschottungshaltung der Regierung hilft in der Situation nicht, das Interesse von Migranten, in Ungarn zu bleiben, ist, abgesehen von Angehörigen ungarischer Minderheiten aus den Nachbarländern, ohnehin beschränkt.

Im Geldbörserl wenig Zuwachs

Auch das hohe Wachstum der Reallöhne schlägt sich nicht in höherem Konsum nieder, der die Wirtschaft stimulieren könnte. Der Grund dafür ist, dass seit Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes viele Arbeitgeber Gehaltskomponenten offiziell melden, die zuvor schwarz ausgezahlt wurden. Für viele Ungarn hat sich im Geldbörsel weniger verbessert, als die Statistiker verkünden.

Was bedeutet das alles für die nächste Regierung? Die Oppositionsparteien sehen durchaus die Chance, zusammen eine Mehrheit im Parlament zu gewinnen. Allerdings verfolgen die einzelnen Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum keine kohärente Politik.

Zudem haben Reformen der Fidesz in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass an wichtigen Angelpunkten im Staatsapparat Orbán-Treue das Sagen haben. Das würde jede neue Regierung hemmen.

Sollte hingegen Orbán an der Macht bleiben, sind die vergangenen Jahre ein guter Indikator, wie es wirtschaftspolitisch im Land weitergeht. Obwohl einige Reformen der Fidesz den Standort weitergebracht haben, fehlen bisher die Antworten auf zwei wichtige Fragen: Wer wird künftig in Ungarn investieren? Und wer kann neue Aufträge dann noch stemmen? (Leopold Stefan, 7.4.2018)