Ärgert sich über die Pflegepolitik der Bundesregierung: Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner.

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STANDARD: Welche Folgen hat die Abschaffung des Vermögensregresses durch die Bundesregierung?

Wallner: Es entstehen Veränderungen, die Ungerechtigkeiten schaffen. Die für den Staat teuerste aller Pflegemöglichkeiten, die stationäre Pflege, wird nun für die Betroffenen zur günstigsten, obwohl ein Pflegeplatz zwischen 4.000 und 5.000 Euro monatlich kostet. Dadurch entstehen bei der ambulanten Pflege Ungleichheiten. Es ist auch eine Art von Verlagerung, die wir nicht wollen: nämlich weg von zu Hause und rein ins Pflegeheim. Stationäre Pflege soll dann in Anspruch genommen werden, wenn sie wirklich nötig ist. Zudem wissen wir, dass 80 Prozent der Betreuten die Pflege zu Hause bevorzugen.

STANDARD: Soll man den Vermögensregress wiedereinführen?

Wallner: Das wird politisch nicht möglich sein, und das will auch niemand. Ich verstehe aber, dass Menschen es nicht nachvollziehen können, wenn im Pflegeheim nicht mehr regressiert wird, für die 24-Stunden-Betreuung aber weiterhin auf das Vermögen zurückgegriffen wird.

STANDARD: Warum wird auf das Vermögen zugegriffen?

Wallner: Wenn Pension, Pflegegeld und der Zuschuss für die 24-Stunden-Betreuung nicht ausreichen, kann man in Vorarlberg um Mindestsicherung ansuchen. In diesem Zusammenhang wird in beschränktem Umfang auf das Vermögen zugegriffen.

STANDARD: Wie wollen Sie diese Ungerechtigkeit beseitigen?

Wallner: Wir werden den Vermögensregress bei der 24-Stunden-Betreuung abschaffen, daran führt kein Weg vorbei. Unsere Legistik lotet nun aus, was wir gesetzlich tun müssen. Wir müssen die Diskussion aber noch erweitern. Diese Ungerechtigkeit gehört auch bei den Behinderten beseitigt, wo wir und auch andere Bundesländer immer noch regressieren. Zudem müssen wird die ambulante Pflege stärken, die Hauskrankenpflege, die mobilen Hilfsdienste, den gerontopsychiatrischen Bereich, Kurzzeit- und Urlaubsbetten zur Entlastung Angehöriger.

STANDARD: Wird Vorarlberg all das allein finanzieren können?

Wallner: Ich hielte es für angebracht, dass der Bund den direkten Zuschuss zur 24-Stunden-Betreuung, der jetzt 550 Euro monatlich beträgt, erhöht. Auch das Pflegegeld sollte man valorisieren.

STANDARD: Was wird die Abschaffung des Regresses kosten?

Wallner: Die zusätzlichen Kosten nach Wegfall des Regresses bei der 24-Stunden-Betreuung haben wir noch nicht errechnet. Bei der stationären Pflege kennen wir die Zahlen. Wir werden sicher zehn Millionen Euro Ausfall bei den Einnahmen haben und das von einem Jahr auf das andere. Dann kommen noch die Selbstzahler dazu, die in die Mindestsicherung gehen. Der Bund hat den unmittelbaren Einnahmenausfall und die Selbstzahlerwirkung zur Gänze zu ersetzen. Da reichen die geplanten 100 Millionen Euro für die Bundesländer nicht. Daran glaubt niemand in dieser Republik. Dazu kommen die mittel- und langfristigen Folgewirkungen, zusätzliche Pflegeplätze, mehr Personal.

STANDARD: Bemerken Sie bereits einen Run auf die Altenheime?

Wallner: Wir spüren im Moment einen gewissen Druck auf die Pflegebetten. Wir haben die häusliche Pflege allerdings stärker forciert als andere Bundesländer. Unsere jahrelange Strategie, den ambulanten Bereich zu stärken, wird nun leider durchkreuzt. Das stört uns natürlich.

STANDARD: Wie geht es nun weiter?

Wallner: Im April muss mit dem Finanzminister noch geklärt werden, welche Kosten die Länder einreichen können. Der Regressausfall muss bundesweit einheitlich definiert werden. Bis Juni werden die Länder auf dieser Basis ihre Forderungen anmelden. Dann wird es zähe Verhandlungen geben, weil die Zahlen weit über den kalkulierten 100 Millionen Euro liegen werden. Den Regress bei der 24-Stunden-Pflege und bei Behinderten wollen wir bis Ende des Jahres abschaffen. Ein Paket für die ambulante Pflege muss 2019 stehen.

STANDARD: Das klingt nach einem Wahlzuckerl für die Landtagswahl 2019.

Wallner: Wahl hin oder her. Wir sind gut beraten, dieses Problem rechtzeitig zu klären. Ich habe nicht vor, einen Wahlkampf auf dem Rücken Pflegebedürftiger zu führen. Mich stört ohnehin massiv, dass die Republik Pflege allein unter dem Kostenaspekt diskutiert. So geht man nicht mit älteren Menschen um. Wir sollten vielmehr signalisieren: Wir schaffen das schon. Alte und Gebrechliche haben nicht verdient, täglich zu hören, dass Bund und Länder nicht wissen, wie sie die Pflege finanzieren sollen. (Jutta Berger, 9.4.2018)