Am Donnerstag feiert "Madame Bovary" in der Regie von Anna Bergmann in der Josefstadt Premiere.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

"Regeln verhindern die Kunst nicht": Anna Bergmann.

Foto: Matthias Cremer

Regisseurin Anna Bergmann prescht in der Quotendiskussion an Theaterhäusern vor: Ab Herbst wird sie als neue Schauspielchefin am Staatstheater Karlsruhe ausschließlich mit Regisseurinnen arbeiten. Darüber wird in Deutschland heftig diskutiert. Derzeit inszeniert sie Gustave Flauberts Depressionsstudie Madame Bovary am Wiener Theater in der Josefstadt. Premiere ist diesen Donnerstag.

STANDARD: 100 Prozent Frauenquote – welche Reaktionen bekommen Sie?

Bergmann: Darüber wird sehr hart diskutiert, auch unangenehm. Manche werfen mir vor, ich würde geltendes Recht brechen. Dabei ist das ein Zufall, hat sich so ergeben. Es heißt nicht, dass ich nicht auch mit Regisseuren wieder zusammenarbeiten werde. Ich sehe darin also keine große Besonderheit. Über männlich dominierte Theaterbetriebe wird ja auch nicht debattiert. Es wird ja auch hingenommen, dass auf Hauptbühnen oft nur Regisseure inszenieren.

STANDARD: Hätten Sie diese Ansage auch vor 20 Jahren machen können? Es hat sich in dieser Zeit wenig geändert. Damals waren 19 Prozent aller Intendanten Frauen, heute sind es 22 Prozent.

Bergmann: Das System an sich hat es damals schlichtweg nicht zugelassen, dass Frauen sich in Regiepositionen behaupten konnten. Aber auch heute noch stellt sich für Frauen die Frage nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie anders als für Männer. Das ist ein großes Thema. Die meisten Regiekünstlerinnen von vor 20 Jahren haben ja keine Kinder.

STANDARD: Haben Sie je konkrete Benachteiligungen erlebt?

Bergmann: Ich habe mich immer sehr festgebissen, hatte aber auch immer das Gefühl, ich muss dreimal besser vorbereitet sein als die männlichen Kollegen. Und wenn man als junge Frau auf die Probe geht, wird man natürlich nicht gleich ernst genommen. Da muss man dreifach beweisen, dass man das schafft. Oder die von der Technik, die sagen zuerst mal 'Pipi, was willst'n?'. Viele Frauen geben aufgrund latenter Widerstände leider auf.

STANDARD: Tom Stromberg, Ihr Agent, verhandelt Ihre Gagen und kriegt mehr raus, als Sie selbst erzielen würden. Richtig?

Bergmann: Ganz sicher. Er ist ein sehr erfahrener Theatermann, der das patriarchale System von der Pike auf kennt und der weiß, wie die Strukturen des männlichen Zusammenhalts funktionieren, die gibt's bei uns Frauen nicht.

STANDARD: Männer haben mehr Übung?

Bergmann: Absolut. Männer können sich viel besser verkaufen. Sie treten dort mit Selbstverständlichkeit auf, wo Frauen sich fragen, was ist noch nicht perfekt an mir. Diese Differenz regt mich mega auf. Auch auf der Probe: Die Jungs stellen sich hin und machen, Schauspielerinnen zweifeln. Das ist ein Irrsinn. Ich spitz' das jetzt natürlich zu.

STANDARD: Inwiefern fehlt der weibliche Blick am Theater?

Bergmann: Ich denke, dass Frauen anders erzählen. Sie werfen andere Blicke auf den Stoff, auf Besetzungen, sie haben andere Relevanzgedanken. Das alles gehört schlichtweg vertreten. Zumal die Theaterliteratur ja schon männlich geprägt ist.

STANDARD: Wie viel Sexismus ist auf der Bühne heute noch möglich? Wo zieht man die Grenze – zum Beispiel beim Theater von Frank Castorf und den ihm zugehörigen sexualisierten Frauenbildern?

Bergmann: Das ist immer eine Gratwanderung. Bei den Proben zu Madame Bovary fragen wir uns, wie viel Nacktheit ist gut. Was wollen wir damit erzählen? Castorf ist eben Sexist, das gibt er selber offen zu. Er inszeniert aber auch sehr starke Frauenfiguren. Bedenklich finde ich, dass bei ihm auf der großen Bühne außer Meg Stuart nie Frauen inszeniert haben.

STANDARD: Was halten Sie vom Burgtheater-Brief, der für bessere Sitten in der Theaterarbeit plädiert?

Bergmann: Machtmissbrauch muss öffentlich gemacht werden, das ist wichtig. Damit die Angst vor Repressalien kleiner wird. Schlimm ist nur, dass sich über Leute, die noch in Amt und Würden sind, nie jemand etwas sagen getraut. In Schweden sind Umgangsformen einfach feststehend. Da gibt es die Non-scream-policy, die Non-alcohol-policy. Frauen und Männer werden gleich entlohnt.

STANDARD: Sie arbeiten regelmäßig in Malmö. Wären solche Regeln wie in Schweden auch hier wünschenswert?

Bergmann: Das wäre auf alle Fälle sinnvoll. Es ist angstfreier. Kommunikation hat einen anderen Stellenwert. Aber das haben die sich halt über Jahre erarbeitet.

STANDARD: Da werden jetzt einige die Augen rollen, weil ja Reglementierungen Freiheit einschränken, oder nicht?

Bergmann: Also solche Regeln verhindern ja künstlerisches Arbeiten nicht! Das ist ein Irrglaube. Und wenn mal geschrien wird, sagt ja auch keiner was. Es geht hier schlichtweg um das Bekenntnis zu gewissen Umgangsformen. (Margarete Affenzeller, 10.4.2018)