Weil die Sprachkenntnisse vieler Schüler unzureichend sind, setzt die Regierung auf separate Deutschklassen. Damit würde alles nur noch schlimmer, warnen Experten.

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Wien – Bereits ab Herbst will Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) mit den von der Regierung angekündigten Deutschförderklassen Ernst machen, der dazugehörige Gesetzesentwurf ist noch bis Donnerstag in parlamentarischer Begutachtung.

Vorgesehen ist darin, dass Kinder, die nicht ausreichend Deutsch können, höchstens vier Semester lang in separaten Klassen unterrichtet werden – 15 Stunden pro Woche in der Volksschule, im Umfang von 20 Wochenstunden in der Sekundarstufe I. In welchen Fächern die Kinder gemeinsam mit den Kollegen aus der Stammklasse lernen sollen, wird nicht näher definiert, und die Frage lässt damit Raum für Spekulationen.

Was Kritikern als "Ghettoklasse" gilt, soll ab einer Anzahl von sechs Schülern Realität werden. Wer in einer solchen Klasse landet, entscheidet künftig der Direktor – samt standardisiertem Test für Kinder, die beim Aufnahmegespräch Sprachdefizite aufweisen.

ÖVP und FPÖ geben als Ziel an, dass mit dieser Maßnahme der "Zugang zur Bildung für Kinder und Jugendliche mit Deutschförderbedarf erleichtert" werde.

Letzteres wird in neun von zehn Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf entschieden in Abrede gestellt – und auch sonst geht die interessierte Öffentlichkeit mit dem Vorhaben hart ins Gericht:

  • Ausgrenzend: So dürften Initiativen zur Deutschförderung "nicht zur Benachteiligung und Ausgrenzung von Kindern führen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist", kommentiert man bei SOS Mitmensch. Schüler würden zudem weitgehend von der Teilnahme am Fachunterricht ausgeschlossen, kritisiert man im ÖVP-geführten Landesschulrat Tirol und stellt mit Verweis auf zahlreiche Studien fest: Was die Regierung plane, wirke sich nicht nur "negativ auf den Spracherwerb" aus, sondern "erschwert auch den Integrationsprozess".

  • Organisationschaos: Nicht nur bleibe offen, was die Klassenschülerhöchstzahl für die Deutschförderklassen sei, auch die "Organisation des Schulalltags" sei bei aktuell rund 75 Prozent der Schülerinnen und Schüler "mit mangelnden Deutschkenntnissen" praktisch "undurchführbar", erklären die zehn Volksschuldirektorinnen der oberösterreichischen Stadt Wels in ihrer Stellungnahme. Auch verfüge man nicht über die nötigen Räume.

    Eine Befürchtung, die der Wiener Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky teilt. Er rechnet damit, dass fast alle Volksschulen in Wien von den Deutschförderklassen betroffen seien. In Pflichtschulen seien 15.000 Kinder, die schon bisher Deutschförderung erhalten hätten. Die Schulleitungen würden damit vor "unlösbaren" Herausforderungen stehen. So brauchte es allein in Wien rund 500 zusätzliche Räume, um die Klassen unterzubringen. Wien geht davon aus, dass die Kosten erheblich steigen, diese Mehrkosten will man dem Bund verrechnen – über den sogenannten Konsultationsmechanismus des Finanzausgleichs.

    Im Tiroler Landesschulrat vermisst man eine Klärung der Frage, was mit der "Restklasse" passiere: "Bleibt diese eine eigenständige Kleinklasse?" Und die Lehrerinnen der Volksschule 1 in Freistadt sorgen sich, dass drei Deutschstunden täglich "eine massive Überforderung" der Kinder seien. Für den Verein Bildung Grenzenlos und dessen Vorsitzende Heidi Schrodt ist die Qualifikation der Lehrkräfte ungeklärt – "sie sollten selbstverständlich eine Ausbildung in 'Deutsch als Zweitsprache' haben sowie eine Ausbildung in interkultureller Kompetenz".

  • Qualitätsverlust: Die Gewerkschaft der Pflichtschullehrer (APS) unter dem Vorsitzenden Paul Kimberger ortet zudem einen "Qualitätsverlust" für Kinder mit bestehenden, aber verbesserungswürdigen Deutschkenntnissen, da der Sprachförderkurs von elf auf nur sechs Stunden gekürzt wird. Auch der Verein Bildung Grenzenlos kritisiert, dass "SchülerInnen, die bereits Deutschkenntnisse haben, aber noch Förderbedarf haben, künftig mit sechs (statt bisher elf) Wochenstunden auskommen müssen".

  • Längere Schullaufbahn: Die Koppelung der Schulreife an die Kenntnis der deutschen Sprache sieht man nicht nur bei Bildung Grenzenlos besonders kritisch. Das sei "wissenschaftlich gesehen völlig abzulehnen". Dass Kinder damit "bis zu zwei Jahre ihrer Schullaufbahn" verlieren könnten, sei "eine erhebliche Diskriminierung".

    Ähnlich sehen das SOS Mitmensch und der Tiroler Landesschulrat. Die Behörde geht sogar davon aus, dass Schülerinnen von Deutschförderklassen "kaum die Möglichkeit haben, in die nächsthöhere Schulstufe aufzusteigen", fehlendem Fachunterricht sei Dank. So erschwere die Maßnahme der Regierung letztlich den Zugang zu Bildung.

    Auch die Kritik der APS-Pflichtschullehrer in der GÖD geht in diese Richtung: Die Deutschklassen könnten einen "Bildungslaufbahnverlust von ein bis zwei Jahren zur Folge haben", heißt es in der Stellungnahme. Klassenlehrer hätten "große Anstrengungen zu leisten", um bis zu zwei Jahre ältere Schüler in einen Klassenverband zu integrieren. Dadurch, dass alle sechs Monate Tests zum Ein- und Austritt bei den Deutschklassen stattfinden sollen, erwartet die Gewerkschaft eine "weitere Belastungssituation für Kinder und Lehrpersonen".

  • Autonomieunverträglich: Nicht nur die Wiener AHS-Direktoren bemängeln, dass das vorgeschlagene System "nicht flexibel genug" sei. Es widerspreche dem gerade erst beschlossenen Schulautonomiepaket, sind sich alle Experten, bis auf die Behindertenanwaltschaft, einig.

  • Unpräzise: "Unklar", "verwirrend" und "unpräzise" sei der Entwurf zudem, weshalb auch der Verfassungsdienst zahlreiche legistische Anmerkungen hat. Da "personelle, infrastrukturelle und ressourcenmäßige Details" nicht geklärt sind, ist für die APS ein Start mit dem Schuljahr 2018/19 al "höchst problematisch" anzusehen.

  • Verfassungswidrig: Die Wiener haben sogar "verfassungsrechtliche Bedenken". Durch die strikten Vorgaben des Bundes, wann welche Deutschklassen verpflichtend sind, werde den Schulleitern die Möglichkeit genommen, die Einteilung und Klassengröße selbst zu bestimmen. "Die Länder werden in der Ausgestaltungskompetenz beschnitten", argumentiert Czernohorszky.

  • Fehlende Einbindung der Eltern: Sowohl SOS Mitmensch als auch Bildung Grenzenlos vermissen eine Strategie zur Einbindung der Eltern, denen "eine maßgebliche Rolle im Integrationsprozess" zukomme. Heidi Schrodt schickt dieser Forderung sicherheitshalber nach: "Explizit meinen wir dabei nicht Strafmaßnahmen, sondern etwa aufsuchende Elternarbeit und Ähnliches." (Oona Kroisleitner, Karin Riss, 11.4.2018)