Wien – "Ich will keine Panik verbreiten", sagt Karl Frank, ein 63-jähriger Mindestpensionist, "ich hätte vor 30 Jahren auch nicht gedacht, dass ich einmal in dieser Situation bin, aber niemand ist davor gefeit, krank zu werden, und die zweite Risikofalle ist das Älterwerden." Frank erkrankte nach Jahrzehnten der Arbeit in der Stahlindustrie psychisch. Trotz erfolgreicher seelischer Rehas konnte er danach nicht mehr in den Beruf zurückkehren. Heute trainiert der leidenschaftliche Fußballer bei der Organisation Pro Mente, die Hilfe für psychisch Erkrankte in allen Lebensbereichen von Betroffenen für Betroffene anbietet, eine Fußballmannschaft.

"Der Fußball hat mir das Leben gerettet", sagt er am Dienstag bei einer Pressekonferenz mit dem Sprecher der Armutskonferenz, Martin Schenk. Die Armutskonferenz, ein Netzwerk von mehr als 40 Vereinen und Organisationen gegen Armut und soziale Ausgrenzung, präsentierte am Dienstag ihre neue Kampagne "Wir gemeinsam". In ganz Österreich will man damit über Drucksorten (etwa Freecards in Lokalen) und soziale Medien den Sozialstaat und eine positive, verbindende Wertedebatte ins Zentrum rücken.

Arm und Reich

Auf acht verschiedenen Sujets, auf denen jeweils ein und dieselbe Person, grafisch in zwei Hälften – eine wohlhabenden und eine ärmere – aufgespaltet, dargestellt wird, wird auf die gemeinsamen Grundbedürfnisse aller, also Essen, ein Dach über dem Kopf, Bildung, Freunde, medizinische Versorgung, aber auch Freizeit, hingewiesen. "Wir haben 20 Jahre auf das hingewiesen, wo wir korrigieren müssen", so Schenk, " jetzt schauen wir uns einmal unsere Stärken an."

Eine Stärke Österreichs ist der Sozialstaat, der die Mitte "schützt und stützt", so Schenk. Die Gruppen, die besonders armutsgefährdet sind, sind bekannt: "Alleinerziehende, chronisch Kranke, Verschuldete und Personen, die etwa vor Gewalt in ein Frauenhaus fliehen", listet Schenk auf.

Die untere Mitte

Vor allem die untere Mitte sei es, die durch ein soziales Netz geschützt werde. Als untere Mitte definiert man jene, die sich nichts ansparen konnten und die über keinen Besitz verfügen, mit dem sie "Einschnitte wie Krankheit und Arbeitslosigkeit" abfangen könnten. Diese Menschen haben zwar einen gewissen Lebenstandard, solange alles gut läuft, aber um etwas zu sparen, würden sie diesen Lebensstandard "vernichten", so Schenk.

Auch wenn Schenk die Regierung nur auf Nachfrage von Journalisten direkt ansprach, waren aktuelle Studien des Wirtschaftsförderungsinstituts (Wifo) und der Statistik Austria, die er präsentierte, wohl für diese gedacht: Sie zeigen, dass Staaten mit gut ausgebauten Sozialschutzsystemen auch in der Wettbewerbsfähigkeit und in der Arbeitsproduktivität vorn mit dabei sind. Ganz anders als das Argument für Kürzungen im Sozialbereich oft lautet.

Bedingungen der Arbeitswelt

Judith Pühringer vom Netzwerk Arbeit plus, in dem 200 soziale Unternehmen rund 30.000 Langzeitarbeitslose durch Beratung und Beschäftigung begleiten, betonte bei der Pressekonferenz, dass man Menschen nicht gegeneinander ausspielen dürfe. Natürlich bereiten Streichungen von Arbeitsmarktinitiatven, wie etwa jene der alten Regierung, der Aktion 20.000, oder die Diskussion über die Mindestsicherung Sorgen. Und: "Menschen wollen arbeiten, aber nicht alle können das zu den Bedingungen, die die Arbeitswelt verlangt."

Ein Beispiel dafür ist Vera Hinterdorfer. Die 33-Jährige ist wegen eines Gendefekts zeitlebens auf den Rollstuhl angewiesen, hat aber trotzdem lange gearbeitet: Als Beraterin bei zwei der größten Unternehmen Österreichs. Doch ihr Zustand verschlimmerte sich. Nach langwieriger Physiotherapie und einigen Monaten Rückkehr in die Arbeit ist sie nun Frühpensionistin.

Scham und Isolation

Nichts für die Gesellschaft zu tun ist für sie aber keine Option, weswegen sie sich auch bei der Initiative Sichtbar Werden der Arbeitskonferenz engagiere. Armut heiße auch Scham und Isolation, warnt Hinterdorfer. Sie wolle ein "Bewusstsein dafür erzeugen, dass wir alle zusammengehören". Den Sozialstaat vergleicht Hinterdorfer mit einem Reserverad im Auto: "Gut, dass es da ist. Noch besser, wenn man es nie braucht." (Colette M. Schmidt, 10. 4. 2018)