Nach dem Wahlsieg Viktor Orbans herrscht bei unabhängigen bzw. regierungskritischen Publikationen die Angst.

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Budapest – Die Parlamentswahl in Ungarn, die erneut eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Regierung von Viktor Orban gebracht hat, hat bereits erste Opfer gefordert: den Rundfunksender "Lanchid Radio" und die Tageszeitung "Magyar Nemzet". Am Mittwoch verabschiedete sich das 80 Jahre alte regierungskritische Blatt mit bewegten Worten von seinen Lesern.

Der offensichtliche Grund der plötzlichen Einstellung: Eigentümer Lajos Simicska – seinerseits jahrzehntelang Orbans Busenfreund, seit Anfang 2015 jedoch sein Intimfeind – hatte die Fidesz-Regierung durch kritische Berichterstattung und Aufdeckergeschichten stürzen wollen, ist aber offensichtlich gescheitert. Zudem hatten seine Medien durch den "Krieg" mit Orban in den vergangenen Jahren alle staatlichen Werbeeinschaltungen verloren und waren dadurch defizitär geworden.

Unsichere Situation der Presse in Ungarn

Die Einstellung der beiden Medien des Oligarchen spiegelt nur die unsichere Situation wider, in der sich die Presse Ungarns derzeit befindet. Gerade nach der Wahl herrscht bei unabhängigen bzw. regierungskritischen Publikationen die Angst, ihrerseits von der Regierungsmaschinerie "faschiert" zu werden, wie dies in den vergangenen Jahren mit zahlreichen anderen Medien geschehen war.

Ein Rückblick in das Jahr 2002: Die damalige Wahlniederlage der ersten Orban-Regierung soll für den Regierungschef ein regelrechtes "Ur-Trauma" gewesen sein. Er machte dafür unter anderem die "Übermacht der linksliberalen Journaille" verantwortlich und ging mit Fidesz-nahen Unternehmern daran, eine eigene Medienmacht aufzubauen. So gelangte die renommierte Tageszeitung "Magyar Nemzet" in den Einflussbereich des damals noch Orban-nahen Simicska, und Sender wie die ebenfalls zu ihm gehörende Nachrichtensender Hir TV – der vorerst noch nicht geschlossen werden soll – oder Lanchid Radio wurden gegründet.

Alle Medien auf stramme Regierungslinie getrimmt

Nach dem überwältigenden Wahlsieg Orbans 2010 wurden zunächst die öffentlich-rechtlichen Medien MTV, Magyar Radio, Duna TV sowie die Nachrichtenagentur MTI unter das Dach der Holding MTVA gebracht und auf stramme Regierungslinie getrimmt. Das damals eingeführte Mediengesetz, das etwa privaten Sendern eine "ausgewogene" Berichterstattung vorschrieb, sorgte zwar auch international für Proteste, hatte jedoch zunächst wenige offensichtliche Auswirkungen.

Die Orban-Strategie gegen unabhängige Medien ging nämlich nicht mit Verboten oder Strafen vor, sondern über die finanzielle Schiene. So traf etwa den Privatfernsehsender RTL Klub, der im Besitz der Luxemburger RTL Group steht, die Erhöhung der Werbesteuer sehr empfindlich. Gleichzeitig wurden die meisten im ausländischen Besitz befindlichen Medien nach und nach in ungarische – meist regierungsnahe – Hand überführt, etwa 2015 der zweite große Privatsender TV2.

Von Orbans Filmbeauftragtem gekauft

Der zuvor zeitweilig zur deutschen ProSiebenSat.1-Gruppe gehörende Kanal wurde damals von Orbans Filmbeauftragten, dem Hollywood-Produzenten Andy Vajna ("Rambo I-III", "Total Recall", "Evita"), aufgekauft. Selbst bei dem als "linksliberal" geltenden Privatsender ATV sind in jüngerer Zeit deutlich regierungsnahe Stimmen zu vernehmen. Offenbar steht das im Zusammenhang damit, dass der Eigentümer des Senders, die neoprotestantische Kirche "A Hit Gyülekezete" (Glaubensgemeinde), jüngst näher zu Fidesz gerückt ist.

In medialer Hinsicht hat die Abwendung von Simicska Orban Anfang 2015 einen empfindlichen Schlag versetzt. Doch dadurch wurde der mediale Kampf umso heftiger – und das auch mit österreichischen Bezügen. Im Oktober 2016 stellte die Firma Vienna Capital Partners (VCP) des Wiener Investors Heinrich Pecina überraschend die renommierte linksliberale Tageszeitung "Nepszabadsag" ein. Im gleichen Zug wurde der Verlag Mediaworks, zu dem "Nepszabadsag" gehörte, an eine regierungsnahe ungarische Firma verkauft.

Lokale Blätter "auf Linie" gebracht

Bei dem Coup ging es eigentlich um das wertvolle Regionalzeitungsportfolio des Verlages: Die gerade in ländlichen Gegenden viel gelesenen lokalen Blätter wurden in den darauffolgenden Monaten umgehend "auf Linie" gebracht. Die restlichen Regionalblätter des Landes wurden kurz darauf von Vajna bzw. von Pecina (von der Vorarlberger Russmedia) aufgekauft. Damit gelangte der gesamte Markt dieses Bereichs in regierungsnahe Hand.

Der verbliebene Hort der unabhängigen Medien in Ungarn ist nunmehr der Online- und zum Teil der Wochenzeitungsmarkt – wobei dieser zumindest in gedruckter Form vergleichsweise wenige Menschen erreicht. Federführend im Online-Bereich ist das Nachrichtenportal "Index", das 2017 in eine Stiftung überführt wurde, die Simicska nahestehen soll.

Regierungsnahe Portale in der User-Gunst abgeschlagen

Der Oligarch wollte damit offenbar einen Aufkauf des Portals durch regierungsnahe Unternehmer verhindern, wie es einige Zeit zuvor mit dem Konkurrenzmedium "Origo" geschehen war. Tatsache ist, dass heute unter den fünf größten Nachrichtenportalen des Landes allein "Origo" als Fidesz-nah gilt, während in Internet-Statistiken regierungsnahe Portale wie "888.hu" oder "pestisracok.hu" weit abgeschlagen sind, genauso wie die Internetseite der offiziellen regierungsnahen Tageszeitung "Magyar Idök". Diese war nach dem Orban-Simicska-Zerwürfnis von Teilen des früheren Fidesz-treuen "Magyar-Nemzet"-Teams gegründet worden.

Nach der Wahl zittern nun allerdings gerade die Online-Medien vor verstärktem Druck von oben. In der Internet-Ausgabe der renommierten Wochenzeitung "hvg" – dem meistgelesenen Online-Auftritt eines politischen Printmediums – erschien bereits am Tag nach der Wahl ein Aufruf an die Online-Leser, das Blatt durch regelmäßige Spenden zu unterstützen, um dem politischen Druck auf den Werbemarkt Paroli zu bieten. Auch das unabhängige Nachrichtenportal 444.hu setzt schon länger auf "crowdfunding". Es bleibt allerdings offen, was Orban in weiterer Folge mit den noch nicht auf Linie gebrachten Medien vorhat. (APA, 11.4.2018)