März 2016: der türkische Ministerpräsident Davutoğlu, Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionschef Juncker mit dem EU-Türkei-Pakt.

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Angela Merkel konnte von Anfang an wissen, dass sie bei der Einhaltung ihrer Versprechen bezüglich der Flüchtlingskrise in Europa ziemlich allein sein werde. Mit den Worten "Wir schaffen das!" hatte die deutsche Kanzlerin ihren Landsleuten am 31. August 2015 Mut gemacht. Die zeigten sich verzückt von der humanitären Einstellung ihrer Kanzlerin.

Eine Woche davor hatte das Außenamt in Berlin erklärt, dass man die EU-Asylregeln von sich aus aussetzen werde. Das bedeutete, dass irregulär einreisende Menschen in Deutschland einen Asylantrag stellen können – also nicht dorthin gebracht werden, wo sie EU-Boden betraten, in Griechenland und Italien, in Ungarn. Deutsche Geheimdienste und solche in Frankreich, Italien und den USA hatten längst Alarm geschlagen: Nicht 200.000, wie prognostiziert, sondern 800.000 Migranten würden kommen. Am Ende waren es fast eine Million. Die Zahlen wurden in Berlin nicht bestätigt, ähnlich in Österreich. Der damalige Außenminister Sebastian Kurz hatte zwar im Mai in Brüssel angedeutet, dass in seinem Land gut 80.000 statt der (offiziell) erwarteten 30.000 Flüchtlinge um Asyl ansuchen würden. Aber nicht nur Merkel, auch Kanzler Werner Faymann ließ die Dinge trotz Warnungen treiben. Es gab Landtagswahlen in der Steiermark, im Burgenland, in Wien.

Die Bürger quer durch die EU waren ohnehin schwer verunsichert. Mitte 2015 dominierte der Grexit, die drohende Pleite Griechenlands, mögliche Einbrüche für den Euroraum die Schlagzeilen.

"EU-Lösung"

Merkel, die "Königin Europas", dominierte das politische Geschehen, auch in Sachen Migration. Hatte sie jahrelang die Vorschläge der Kommission auf Harmonisierung der EU-Migrationspolitik zurückgewiesen, setzte sie nun ganz auf eine "europäische Lösung". Gemeint ist eine von Berlin konzipierte EU-Lösung. Das führte im wichtigsten Partnerland, Frankreich, und beim sozialistischen Präsidenten François Hollande zu Verärgerung. Er sprach von "einer deutschen Angelegenheit", als es darum ging, was mit hunderttausenden Migranten geschehen solle.

Hinter vorgehaltener Hand sahen das die meisten EU-Partner ebenfalls so. Hollande hatte der Kanzlerin die kalte Schulter gezeigt, als sie am 4. September ihr Land für Flüchtlinge aus Ungarn öffnete, nachdem Premier Viktor Orbán seine Drohungen, die Grenzen zu öffnen, wahrgemacht hatte. Merkel ließ in Paris anfragen, ob man bereit sei, tausend Flüchtlinge aufzunehmen. Antwort: "Ja, ein Mal, ausnahmsweise." Die Regierungschefs beschlossen beim EU-Gipfel die Aufteilung von Asylwerbern aus Italien und Griechenland per Länderquoten. Die Umsetzung klappte nicht. Nur knapp 35.000 Personen wurden bis Anfang 2018 umgesiedelt – von geplanten 160.000.

Anfang 2016 setzte auf EU-Ebene ein Umdenken hinsichtlich der "Balkanroute" ein. Ratspräsident Donald Tusk war der Erste, er brachte beim EU-Gipfel Anfang März die Formulierung "Die Route auf dem Westbalkan wird geschlossen" ein – unabhängig von einem EU-Türkei-Deal. Merkel sagte Nein. Sie setzte ganz auf den Pakt mit Ankara. Tusk und Kommissionschef Jean-Claude Juncker durften diesen in Brüssel präsentieren. (Thomas Mayer aus Brüssel, 12.4.2018)