Hätte es den Holocaust auch gegeben, wenn Adolf Hitler das Talent für eine künstlerische Laufbahn gehabt hätte? Eine oft gestellte, wenngleich sinnlose Frage. Zweimal war er vergeblich zur Aufnahmeprüfung an der der Akademie in Wien angetreten.

Eine Ablehnung, die er allerdings nicht als Scheitern verstand, revidiert Birgit Schwarz eine gängige Fehldeutung. Vielmehr empfand er sich als "verkanntes Genie", ein Selbstschutz angesichts seines "angeschlagenen Selbstbewusstsein", wie die Kunsthistorikerin in ihrem Buch "Geniewahn: Hitler und die Kunst" (2011, 2. Auflage, Böhlau-Verlag) analysiert.

Das Problem seines Geniekonzepts: Ideologisiert und "mit nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Inhalten aufgeladen", bildete es "die Basis seiner Weltanschauung und Selbstkonzeption als 'Führer', Künstler-Politiker und Stratege", so ihr Fazit. Eine Antwort, die den Verlauf der Geschichte und die Ermordung von Millionen nicht ungeschehen macht.

Florierender Hitler-Kult

Umso eigentümlicher erscheint der seit 80 Jahren florierende Handel mit von Hitler gepinselten Werken, angeblich bis zu 3.000, die er zwischen 1904 und 1922 schuf: mehrheitlich Aquarelle, auch Ölbilder. Sie werden im Internet und über kleinere Auktionshäuser in der europäischen Provinz oder in den USA versteigert.

Etwa 1967 erwarb Walter Duyck (1938-2010) das nun in Nürnberg zur Auktion gelangende Gemälde von Adolf Hitler. Die öffentliche Präsentation im Beisein des Hitler-Biografen und geschichtsrevisionistischen Historikers Werner Maser (1922-2007) und des Wiener Illustrators Wilfried Zeller-Zellenberg (1910-1989).
Foto: Auktionshaus Weidler

Der Kult um den "Führer" blüht bis heute, wie die Kaufpreise für die teils von Postkarten abgemalten Aquarellbildchen belegen: 130.000 Euro für das Münchener Rathaus, 100.000 Euro für Schloss Neuschwanstein. An den Kriterien des Kunstmarkts bemessen absurd. Da gäbe es Qualitätsvolleres von Künstlern und für einen Bruchteil. Wertbestimmend ist die Marke "Hitler", womit es sich nicht um Kunst, sondern um Devotionalien handelt.

Keine Verharmlosung als "Kunst"

Würden Institutionen in Wien derlei in einer Ausstellung zeigen? "Wir haben keine 'Kunstwerke' Adolf Hitlers in der Sammlung, würden keine solchen ankaufen und sie auch nicht in einer Ausstellung zeigen", betont Matti Bunzl (Wien-Museum). "Auf keinen Fall!", sagt Hans-Peter Wipplinger (Leopold-Museum). Wozu, fragt Akademie-Rektorin Eva Blimlinger – was sollte dadurch schon "erklärt, repräsentiert oder verstanden werden"? Ein Ja tönt indes aus dem Belvedere, "aber nur im Zusammenhang einer kritischen Auseinandersetzung", so Direktorin Stella Rollig.

Dem 2010 verstorbenen flämischen Industriellen bescherte die Hitler-Devotionalie mediale Aufmerksamkeit, wie hier, mit einem japanischen Fernsehteam. Davon wird auch Dycks Familie profitieren, die das Werk nun versteigern lässt.
Foto: Auktionshaus Weidler

Würden seriöse Auktionshäuser Werke von Adolf Hitler anbieten? "Aus Prinzip nicht" (Christie's). "Nein, keine Objekte, die im Zusammenhang mit dem Dritten Reich stehen" (Sotheby’s). "Nein, aus naheliegenden Gründen: Geschichte und Qualität" (Artcurial). "Nein!" (Hassfurther). "Diese Bilder haben weder einen künstlerischen noch wissenschaftlichen Wert, sie sind NS-Memorabilia", die "kein seriöses Auktionshaus versteigert" (Dorotheum). "Wir haben nie und werden auch in Zukunft keine Werke" von Hitler übernehmen, denn "alles in Verbindung mit dieser Person sollte nicht unter dem Label 'Kunst' reingewaschen oder verharmlost werden" (Im Kinsky).

"Ein Stück Weltgeschichte"

Der ablehnende Tenor ist einhellig. Davon profitieren zugleich andere wie das in Nürnberg angesiedelte Auktionshaus Weidler. Dort werden seit Jahren von Hitler gemalte Bilder versteigert. Der Handel fällt übrigens nicht unter Wiederbetätigung, ist völlig legal, solange keine NS-Symbole (zum Beispiel Hakenkreuze) zu sehen sind.

Laut Weidler kommen die Bilder aus Privatbesitz und Nachlässen aus aller Herren Länder und wandern dann gegen gutes Geld nach Brasilien, Frankreich, Großbritannien, in die Vereinigten Arabischen Emirate, nach Russland oder China ab. Es seien "Käufer, die ein Stück Weltgeschichte im Safe haben möchten", erklärt Kerstin Weidler.

Laut dem Hitler-Biograf Maser habe Hitler hier 1916 auf Jute seine französische Geliebte gemalt. Die Erwartungen des Auktionshauses belaufen sich auf wenigstens 60.000 Euro.
Foto: Auktionshaus Weidler

Am Samstag wird ein Porträtgemälde versteigert, das laut Hitler-Biograf Werner Maser eine Geliebte Hitlers darstellen soll, die er während des Ersten Weltkriegs in Frankreich gemalt habe. Es stammt aus dem Besitz des flämischen Industriellen Walter Duyck, der sich, wie Fotoaufnahmen aus den 1960er-Jahren zeigen, im Beisein eines japanischen Fernsehteams in Hitlers posthumem Ruhm sonnte.

Werkverzeichnis Hitler-Bilder

Seinen Nachfahren soll der Verkauf wenigstens 60.000 Euro einbringen. Laut Weidler werden derzeit weltweite Anfragen bearbeitet. Nachsatz: Ein Gutachten bestätigt die Echtheit des Bildes und verweist auch auf das Werkverzeichnis. Es erschien 1983 unter dem Titel "Adolf Hitler als Maler und Zeichner" in den Verlagen Gallant (Zug) und Amber (München), ist längst vergriffen, nur noch bei Antiquaren erhältlich und kostet zwischen 120 und 500 Euro.

Auf aktuelle Anfrage erklärt Sotheby’s keine Objekte zur Versteigerung zu übernehmen, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem Dritten Reich stünden. 1970 war das noch anders, wie Korrespondenz aus dem Besitz der Duyck-Familie belegt.
Foto: Auktionshaus Weidler

In Österreich findet sich diese Publikation in zahlreichen Bibliotheken, etwa in der Nationalbibliothek. Wie oft diese entlehnt wird? Dazu könne man mangels Aufzeichnungen keine Auskunft geben, da Aushebungen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht erfasst werden, heißt es auf Anfrage.

Hobbyhistoriker

"Etwas von der Substanz seines Lebens selbst liegt in all den Bildern", heißt es in der Einleitung des 252 Seiten umfassenden Verzeichnisses. Die darin berücksichtigten Arbeiten waren demnach Mitte der 1980er-Jahre in Privatsammlungen in Österreich (unter anderem Johannes von Müllern-Schönhausen), Deutschland, den USA und Großbritannien (Marquess of Bath) verteilt.

Als Herausgeber fungierte der Texaner Billy Price, der Anfang der 1950er-Jahre bei der amerikanischen Armee in Ulm diente. Der "autodidaktischer Historiker" war selbst ein Sammler von Hitler-Bildern. Bei den Autoren handelte es sich um den Deutschen August Priesack und den Österreicher Peter Jahn, die beide in die systematische Suche der NSDAP nach Werken Hitlers ab 1935 involviert waren.

NSDAP ließ Fälschungen produzieren

Zuständig war die Historische Abteilung des Hauptarchivs der NSDAP, in der laut Werkverzeichnis sogar "eigene Fälschungen" produziert wurden, "um bestmögliche Reproduktionen einiger interessanter Bilder herstellen zu können".

Dafür sei der Künstler Fritz Mühlbrecht engagiert worden, der sie "auf Aquarellpapier oder verstärktem Fotopapier von Agfa kopieren musste", samt Hitlers Signatur freilich. Solche "Qualitätskopien" seien mit einem winzigen Loch "in der oberen rechten Ecke" gekennzeichnet worden, um sie vor "missbräuchlicher Verwendung zu schützen".

Schicksal seiner Wiener Händler

Mit der systematischen Suche waren auch zahlreiche Rückkäufe verbunden. Bis zu 6.000 Reichsmark waren der NSDAP die Kleinformate der Postkartenmotive wert. Dazu nahm man auch Kontakt zu jenen Wiener Händlern auf, über deren Ankäufe Hitler von 1909 bis 1913 seinen Lebensunterhalt finanzierte: da sich Rahmen mit Ansichten der Minoritenkirche, des Karlsplatzes oder des Belvedere leichter verkaufen ließen als ohne.

Deren Kooperation blieb angesichts ihres Schicksals ungewürdigt. Die drei Geschäftsniederlassungen des Rahmenfabrikanten und Kunsthändlers Jakob Altenberg wurden Akten im Archiv des Bundesdenkmalamts zufolge Anfang 1939 arisiert. Der Deportation entging er nur knapp und nur, weil er mit einer "Tochter reichsdeutscher Eltern und Vollarierin" verheiratet war.

Samuel Morgenstern hatte unter Verweis auf die ehemalige Geschäftsbeziehung vergeblich interveniert. Auch sein Geschäft wurde arisiert. Eine Flucht war mangels Kapitals nicht finanzierbar. Im Oktober 1941 wurde das Ehepaar Morgenstern nach Polen deportiert: Emma wurde im KZ Auschwitz ermordet, Samuel kam im Mai 1943 im Ghetto Litzmannstadt um. Dass ihn der "Führer" sogar als seine ehemalige Haupteinnahmequelle bezeichnete, war ohne Belang – nur eine Fußnote in der Biografie des "verkannten Genies". (Olga Kronsteiner, Album, 14.4.2018)