Ich habe den erst kürzlich veröffentlichten Text "Die Freiheit, frei zu sein" von Hannah Arendt, der wohl um 1966 oder 1967 entstand, gelesen. Sie schreibt darin über Revolutionen und die Frage, was und wer sie warum macht. Dabei wählt sie auffällig oft – eigentlich dauernd – die Formulierung: "Die Männer der Revolution".

Die Französische Revolution, schreibt Arendt, scheiterte, weil die "Männer der Revolution" mit der Idee von der Gleichheit aller Menschen sehr viel mehr eingeläutet hatten, als nur, wie sie dachten, einen Wandel der Regierungsform. Die Frauen mit ihrem Marsch auf Versaille (le peuple) hätten vielmehr sichtbar gemacht, dass Freiheit nur möglich ist, wenn Menschen auch die Freiheit haben, frei zu sein. Oder anders: Es reicht nicht, keine Furcht (vor denen da oben) zu haben, man braucht auch was zum Essen. Damit hoben die Frauen, le peuple, die Idee der Revolution auf ein neues Level: auf das der sozialen Verhältnisse.

Scheitern – aber die Idee ist in der Welt

Die Französische Revolution ist an der Größe dieser Aufgabe gescheitert, aber die Idee war in der Welt. Deshalb, schreibt Arendt, wurde die Französische Revolution trotz ihres Scheiterns zur Blaupause für weitere Revolutionen. Die Amerikanische Revolution hingegen blieb eine lokale Angelegenheit, obwohl sie erfolgreich war und in einer stabilen Demokratie mündete. Aber sie stellte die soziale Frage nicht.

Warum nicht? Arendts Antwort ist interessant: Während die revolutionäre "Gleichheit" sich in Europa auf alle Menschen bezog, was die bittere Not der Armen zum demokratischen Skandal machte – der Ausschluss der Frauen aus dem Konzept setzte sich erst im Lauf des 19. Jahrhunderts durch –, existierte in Amerika die Institution der Sklaverei. Der Bereich des Elends menschlicher Ausbeutung war also ausgelagert auf die Versklavten, die qua Rassismus nicht als Gleiche galten – weshalb ihr Elend dem gelingenden Abschluss der Revolution der (weißen) Männer nicht im Weg stand.

Hannah Arendt (1907–1975).
Foto: apa/dpa

Ich finde das angesichts der gegenwärtigen Debatten über die schwindende Autorität der "weißen Männer" auf der Bühne des Politischen und der zunehmenden Autorität, die den Worten und der Präsenz von Frauen und Schwarzen und anderen Anderen zugesprochen wird – nicht von allen natürlich, nicht überall im Mainstream, aber doch von uns – interessant. Es lohnt sich, Arendts Revolutionsanalyse vor diesem Hintergrund zu lesen.

Gescheitert ist bekanntlich auch die Russische Revolution. Bini Adamczak, deren anderes Revolutionsbuch ich hier schon empfohlen habe, denkt in "Der schönste Tag im Leben des Alexander Berkman" darüber nach, wie sie hätte gelingen können. Das ist interessant zu lesen, kenntnisreich und überzeugend argumentiert. Aber man muss sich schon für die Russische Revolution interessieren, sonst ist es eher eine historische Erzählung. Ich jedenfalls dachte beim Lesen oft: Hätte hätte Fahrradkette. Geschichte wiederholt sich ja nicht, und heute sind die Verhältnisse doch sehr anders.

Aus Revolutionen lernen?

Inwiefern man von vergangenen Revolutionen etwas lernen kann? Ein drittes Buch in dem Kontext: Eine kleine Biografie sowie Texte von Amparo Poch y Gascon, einer spanischen Ärztin, die eine von drei Gründerinnen der Mujeres Libres war, einer autonomen anarchistischen Frauenorganisation im spanischen Bürgerkrieg. Aber auch hier gelang es mir nicht wirklich, außer einer generellen Inspiration und Bewunderung für weiblichen Mut und Entschlossenheit etwas "ins Heute" zu holen. Lesenswert ist das Buch natürlich, denn das Projekt, unsere Imagination der Vergangenheit, mit der Erinnerung an Frauen und Aktivistinnen zu füllen, ist ja noch lange nicht abgeschlossen. Einer der dokumentierten Texte ist auch ein fieser Rant gegen den (bürgerlichen) Feminismus.

Eugène Delacroixs "Die Freiheit führt das Volk" (1830), Sinnbild für die französische Revolution.
Foto: Public Domain

"Das Hauptproblem besteht natürlich darin, dass erfolgreiche Revolutionen so selten sind", schreibt Arendt. Ja genau. Von den gescheiterten kann man leider nur bedingt etwas lernen, weil Ursachen immer komplex und Umstände schlecht übertragbar sind. Und ohnehin sind Revolutionen keine punktuellen Ereignisse, sondern längerfristige Entwicklungen. (Antje Schrupp, 15.4.2018)