Auf dem Tisch des Youtube-Sternchens stehen zwei Tassen Tee und eine Duftkerze. Hinter einem großen Mikrofon sitzt Brittany Pettibone und strahlt in die Kamera. Die Kalifornierin ist 25 Jahre alt, attraktiv, die langen braunen Haare hat sie zu perfekten Wellen gedreht, die Fingernägel rot lackiert, in den Ohren trägt sie Perlenstecker. "Heute sitze ich hier mit Franziska", stellt sie auf Englisch die junge Deutsche vor, die neben ihr Platz genommen hat und schüchtern dreinblickt – schulterlanges Haar, blumenbestickter Pullover, kräftiger Lidstrich. Die 22-jährige Germanistikstudentin aus Tübingen nennt ihren Nachnamen nicht. Die kommenden 22 Minuten wird sie erzählen, dass sie vom deutschen Verfassungsschutz beobachtet wird. Und dass frühere Freunde sie heute "Nazi" nennen.

Hinter ihnen hängt ein Poster, auf dem der Ausschnitt eines schwarzen Lambdas auf gelbem Hintergrund zu sehen ist, des Symbols der Identitären Bewegung. Franziska ist Mitglied der Identitären Deutschland, Brittany Pettibone der Star der amerikanischen Rechten. Und sie sind beide Beispiele für ein weltumspannendes Phänomen: Die radikale Rechte hat ihr Gesicht verändert. Es ist nicht nur jünger und hipper, sondern vor allem auch weiblicher. Nach und nach zeigen die patriotischen und nationalistischen Männerbünde Frauen in den ersten Reihen von Demonstrationszügen, auf Fotos, in den sozialen Netzwerken, im Marketing.

Giorgia Meloni, die weibliche Vorsitzende der rechten "Brüder Italiens", zählt zu den beliebtesten politischen Figuren des Landes.
Foto: Screenshot

Gezielt entdeckt

Andrea Röpke, langjährige deutsche Expertin zum Thema Rechtsextremismus, hat schon 2011 in ihrem Buch Mädelsache! Frauen in der Neonazi-Szene darauf hingewiesen, dass weibliche Mitglieder rechter Gruppierungen bewusst sichtbar gemacht werden.

"Man hat Frauen ganz gezielt für das Netz entdeckt, um Sympathisanten zu gewinnen", erklärt Röpke. Eine junge Frau senke die Hemmschwelle merklicher als ein pöbelnder Skinhead oder alter Nazi: "Frauen geben dem ganzen einen vermeintlich harmloseren, weniger radikalen Touch." Wobei der Eindruck täusche, denn: "Frauen denken ebenso radikal und fanatisch wie Männer."

Die radikale Rechte ist nicht nur jünger und hipper geworden, sondern auch weiblicher. Spürbar ist das vor allem in den Sozialen Netzwerken.
Foto: Screenshots Youtube/Instagram

Franziska ist Gründerin des Blogs radikal feminin, einer antifeministischen Bewegung in Deutschland. Früher habe sie versucht, sich dem feministischen Zeitgeist anzupassen. Aber sie wolle eben Kinder kriegen und heiraten und habe keine Angst davor, sich von einem Mann abhängig zu machen. Ihre Freundinnen hätten für diese Lebenseinstellung kein Verständnis gezeigt. Sie hätten ihr vorgeworfen, zu zerstören, was Frauen in den vergangenen hundert Jahren erkämpft haben, erzählt Franziska in Interviews. Irgendwann wandte sie sich von ihren Freundinnen ab und den Identitären zu, einer Gruppe, die das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) als rechtsextrem einstuft.

Im Vergleich zu Franziska ist Pettibone bereits eine Größe in der Szene. Ihre Videos werden mehr als 50.000-mal geklickt. Gemeinsam mit Tara McCarthy betreibt sie außerdem einen Podcast, auf dem in höflichstem Umgangston über westliche Werte, den Islam oder darüber diskutiert wird, "warum Frauen Nationen zerstören". Pettibone ist die Lebensgefährtin des österreichischen Identitären-Sprechers Martin Sellner. Auf ihrem Kanal beschäftigt sie sich mit Freundschaft und Liebe genauso wie mit Islamisierung und "Genozid an den Weißen".

Betreibt gemeinsam mit Brittany Pettibone einen Podcast, auf dem in höflichstem Umgangston darüber diskutiert wird, "warum Frauen Nationen zerstören": Tara McCarthy.
Foto: Screenshot Twitter

Weiterhin Männerbünde

"Es wäre ein gefährlicher qualitativer Sprung, wenn Frauen sich in großem Ausmaß dem organisierten Rechtsextremismus zuwenden würden", sagt Bernhard Weidiger vom DÖW. "Trotz wichtiger Funktionen im Hintergrund handelt es sich bei rechtsextremen Gruppe in aller Regel nach wie vor um Männerbünde."

Nach außen hin bleibt die Wahrnehmung, dass Frauen mitbestimmen. Dabei spielen sie im Rechtsextremismus dieselbe von Männern zugeordnete Rolle wie schon seit Jahrzehnten, führt die Autorin Röpke aus: "Es ist eine Inszenierung, eine Scheinemanzipation. Diese Szene ist alles andere als emanzipiert und will es auch nicht sein." Die weiblichen Aushängeschilder verkörpern Femininität statt Feminismus, sie fordern eine hohe Geburtenrate der heimischen Bevölkerung statt Einwanderung. Von traditionellen Parteien fühlen sie sich nicht mehr vertreten, ihr Ziel ist der fundamentale Umbruch.

Die Bloggerin Cecilia Davenport, Mitglied der Alt-Right-Bewegung, was für "Alternative Rechte" steht und die äußerste amerikanische Rechte meint, erklärte dem Economist: Auf der Suche nach intellektuellen Gegenentwürfen auf die liberale moderne Welt sei sie auf Richard Spencer gestoßen. Der 39-Jährige ist der prominenteste Alt-Right-Vertreter, der den Mythos von Niedergang und Rettung des "weißen Amerikas" beschwört, seit dem Sieg Donald Trumps aber eine Wende vollzogen sieht.

Bis zu 20 Prozent der Alt-Right-Bewegung machen Frauen aus, schätzt George Hawley, Autor des Buches Making Sense of the Alt-Right. Seyward Darby, ebenfalls Expertin auf dem Gebiet, sagt, die meisten von ihnen entschieden sich bewusst dafür, im Hintergrund zu bleiben, da weibliche Stimmen in diesem misogynen Umfeld in der Regel kein Gehör finden und sie ihre Rolle ohnehin nicht an vorderster Front, sondern zu Hause sehen würden.

Traditionelle Frauenrolle

Die wenigen, die in den Vordergrund treten, unterstützen dieses tradierte Konzept ebenfalls. Cecilia Davenport, die gezielt Frauen für die Alt-Right-Bewegung rekrutiert, fasst es in einem Beitrag so zusammen: "Aus den gebrochenen Versprechen des Feminismus haben Frauen ihren Platz neben ihren Brüdern, Partnern, Ehemännern, Kindern gefunden, um von dort aus ihre Rolle als Frau neu zu definieren." Lana Lokteff, Amerikanerin russischer Abstammung, erinnert in ihren Video- und Radiobeiträgen auf der nationalistischen Plattform Red Ice (Leitspruch: "Die Zukunft ist die Vergangenheit", 150.000 Abonnenten) daran, dass es weiße Frauen waren, die Trump zum Wahlsieg verholfen haben. Lokteff, die sich auf ihrem Twitter-Account als "Queen Bee of White Supremacy" vorstellt, also in etwa als "Königin der weißen Vorherrschaft", warnt vor Kinderlosigkeit und davor, dass die weiße Bevölkerungsschicht bald nicht mehr die Mehrheit stellen könnte.

Der österreichische Identitären-Sprecher Sellner wirbt aktiv um Frauen. Er dreht Youtube-Videos mit der Antifeministin Franziska. Die heimische rechte Frontfrau im Netz, Alina Wychera, die sich auch Alina von Rauheneck nennt, modelt für Sellners Onlineshop in taillierten Shirts mit Aufdrucken wie "Still not loving Antifa" oder Damenpolos mit dem Identitären-Logo. Auch in Österreich wird der Anteil weiblicher Mitglieder bei den Identitären auf höchstens ein Fünftel geschätzt.

Eine Stärke der Social-Media-Stars ist ihre Vernetzung: Brittany Pettibone trat schon mehrmals in Österreich auf – unter anderem beim Kongress "Verteidiger Europas" – oder debattiert via Videokonferenz mit dem kanadischen Alt-Right-Star Lauren Southern. Verbindungen bestehen auch zu Parteien: Die 21-jährige Marie-Thérèse Kaiser etwa gibt den regelmäßig in ganz Deutschland stattfindenden "Merkel muss weg"-Veranstaltungen einen bürgerlichen Anstrich. Die 21-Jährige ist auch Mitglied der Alternative für Deutschland (AfD), die seit der Bundestagswahl 2017 als größte Oppositionspartei im Parlament sitzt. Kaiser studiert in Hamburg Luxusmarkenmanagement, sie ist Model, teilt auf Instagram und Facebook Fotos ihrer Shootings und auf Twitter Inhalte der AfD.

Marlene Svazek, Social-media-erfahren, wurde kürzlich von der FPÖ zur Generalsekretärin bestellt, am 22. April geht sie als Spitzenkandidatin für die Salzburg-Wahl ins Rennen.
Foto: Screenshot Instagram

Etablierte Politikerinnen

Die Strategie, Social-Media-erfahrene Frauen an die Spitze zu setzen, ist längst auch im rechten politischen Mainstream angekommen. Die FPÖ bestellte kürzlich die 25-jährige Marlene Svazek zur Generalsekretärin und schickt sie als Spitzenkandidatin für die Salzburg-Wahl am 22. April ins Rennen. Auf Instagram postet sie Fotos von sich, ihrem Frühstück, ihrem Hund. Die als FPÖ-TV-Moderatorin und aus Straches Rap-Videos bekannte Petra Steger ist inzwischen Nationalratsabgeordnete für die Freiheitlichen.

Marion Maréchal-Le Pen, die 28-jährige Nichte der Front-National-Chefin, ist mit ihren betont radikalen Aussagen zum eigentlichen Star der französischen Rechten aufgestiegen. Und Giorgia Meloni, die weibliche Vorsitzende der rechten "Brüder Italiens", zählt zu den beliebtesten politischen Figuren des Landes.

Frauen wählen bis heute seltener im rechten Spektrum, sie sind weniger bereit zu rassistischem Aktionismus, auf der Einstellungsebene – das belegen Studien – sind sie aber genauso rassistisch und antisemitisch wie Männer. Die Rechtsextremismusexpertin Röpke formuliert es so: "Das ist das Markenzeichen rechter Frauen. Sie brandstiften eher nicht selbst, sondern betreiben vorher die Hetze. Dafür sind das Internet und Social Media ideal." (Anna Giulia Fink, Katharina Mittelstaedt, 15.4.2018)