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13. April 1986: Gerhard Hartmann erreicht nach 2:12:22 Stunden das Wiener Marathonziel, dieser Rekord wird bis 2009 Bestand haben.

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Auch in schönen Laufgegenden ist Gerhard Hartmann (63) manchmal in Zivil anzutreffen.

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Linz/Wien – Wieso Gerhard Hartmann jeden Tag läuft? "Ich esse und schlafe ja auch jeden Tag." Der 63-jährige Tiroler kann sich an den letzten Tag, an dem er nicht gelaufen ist, nicht erinnern. Dieser Tag, sagt er, müsse etliche Jahre zurückliegen.

Ist man um neun Uhr in der Früh mit ihm verabredet, hat Hartmann "schon die Fitness geschult", also einen 70-minütigen Lauf und ein Kräftigungsprogramm für Rumpf und Muskulatur hinter sich. "Täglich etwas tun, das ist die bestmögliche Prophylaxe", lautet sein Credo. Wobei er Wettbewerben seit vier Jahren abgeschworen hat. Wenn er morgens und für sich läuft, versuche er sich manchmal "zu entsinnen, wie schnell ich einmal laufen konnte". Um festzustellen: "Die Uhr wird immer schneller, ich kann ihr nicht mehr so folgen, wie ich möchte. Aber das ist kein Problem."

Am 13. April 1986 hätte Hartmann schneller laufen können, wären die Bedingungen für den dritten Wiener Frühlingsmarathon, wie der Vienna City Marathon damals noch hieß, gut gewesen. Doch die Bedingungen waren schlecht, richtig schlecht. In der Früh hatte es leicht geschneit, die Temperatur stieg nur knapp über null Grad an. "Es war so eiskalt", sagt Hartmann, "dass es sehr viel mentale Stärke gebraucht hat, sich an den Start zu stellen und sich einzureden: Augen zu und durch." Als er im Ziel auf dem Heldenplatz die Augen wieder öffnete, wurde er seiner Siegerzeit gewahr: 2:12:22 Stunden. Er hatte seinen eigenen, ein Jahr zuvor in Wien erzielten Rekord um 2:27 Minuten verbessert.

Kein Schluck Wasser

Ab Kilometer 17, man muss sich das vor Augen halten, war Hartmann ein Solorennen ohne Tempomacher gelaufen, und bis ins Ziel hatte er kein einziges Mal getrunken. "Die Finger sind so klamm gewesen, dass ich keinen Becher halten konnte. Einmal hab' ich es versucht, da hab' ich mir alles über die Hose geschüttet, dann ist mir deswegen noch kälter geworden." Bis zum Abend hat es Hartmann an diesem Tag kaum geschafft, den Körper wieder aufzuwärmen, immer wieder hat es ihn gebeutelt, geschüttelt.

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"Ich habe den Marathon nie geliebt", sagt Gerhard Hartmann. "Eigentlich war ich auch gar kein Marathonläufer." In seiner Jugend hatte er leidenschaftlich und passabel Fußball gespielt. Er wuchs "in bescheidenen Verhältnissen" im Tiroler Außerfern auf, der Vater war Buchhalter in einer Baufirma, die Mutter Hausfrau. Gerhard war "ein Sandwichkind zwischen einer älteren und einer jüngeren Schwester", er besuchte in Vils die Volksschule und die Hauptschule in Reutte, wo er dann auch eine Lehre zum Werkzeugmacher abschloss. "Das war mein zweites Standbein, in diesen Beruf hätte ich immer zurückkehren können." Als sich in der Leichtathletik die ersten Erfolge einstellten, hatte er "einen großherzigen Meister", der ihn für Trainings und Wettkämpfe freistellte. "Das war mein großes Glück."

Am liebsten lief er durch die Natur, doch lieber als auf der Straße rannte er stets Runden in Stadien, viele 400 Meter lange Runden, bis zu 25 am Stück. Über die Langstrecken zählte er zur erweiterten Weltspitze, auf nationaler Ebene holte er insgesamt nicht weniger als 58 Meistertitel.

23 Jahre unangetastet

Beim Wintertraining in Portugal, wo es ums Kilometerfressen ging, war die Idee entstanden, einmal einen Marathon anzugehen. Der Plan ging auf, ab dem Frankfurt-Marathon 1983 (2:15:54) war Hartmann im Besitz des Rekords, den er sukzessive verbesserte. 1986 war der Höhepunkt, 1987 sollte Hartmann den Wien-Marathon ein drittes Mal gewinnen, die Zeit (2:16:10) war nebensächlich. "Ich war besser in Form als 1986, aber es hat just am Marathontag unfassbar gestürmt."

Dass sein Rekord so lange Bestand haben würde, hätte Hartmann seinerzeit nicht gedacht. "Rekorde sind dazu da, gebrochen zu werden. Kein Rekord ist für die Ewigkeit. Mir war klar, wenn jemand kommt, der 5000 Meter und 10.000 Meter so schnell läuft wie ich, dann wird er auch meinen Marathonrekord brechen, wenn er gut trainiert."

Gut 23 Jahre hat es gedauert, bis so einer kam. Der Oberösterreicher Günther Weidlinger hatte zuvor schon Dietmar Millonigs Rekorde über 5000 Meter und 10.000 Meter aus dem Jahr 1982 verbessert, bis heute haben landesweit nur Weidlinger und Millonig diese Strecken flotter als Hartmann absolviert. Am 25. Oktober 2009 nahm Weidlinger den Frankfurt-Marathon unter die Beine, nachdem er zuvor in Wien den Hartmann-Rekord um nur 17 Sekunden verpasst hatte. In Frankfurt kam Weidlinger als Zehnter und klar in Rekordzeit an – 2:10:47 Stunden. Hartmann sagt, er habe erst in den ORF-Fernsehnachrichten am Abend vom Weidlinger-Rekord erfahren. "Dann hab' ich den Günther angerufen und ihm herzlich gratuliert."

Dabei hat der Ex-Rekordler nicht die Spur von Neid empfunden. "Es hat für mich keine Rolle gespielt", sagt Hartmann. "Mein Glück war nie von Rekorden oder Erfolgen abhängig. Wichtig ist für mich, was ich aus meinen Erfolgen gemacht habe. Ich hab fast die ganze Welt bereist, und mir sind viele Türen offengestanden. Aber ich habe auch früh gewusst, es ist nicht gut, durch alle Türen durchzugehen." Er ist keiner, der besonders gern im Mittelpunkt steht. "Ich habe nie die Öffentlichkeit gesucht."

Gerhard Hartmann sagt, er sei "im Grunde Pensionist", sein Leben sei allerdings "sehr ausgefüllt". Es dreht sich fast alles um den Laufsport und um die Gesundheit, im Idealfall führt das eine zum anderen, Hartmann hält dazu seit Jahren gut besuchte Vorträge. "Ich bin jemand, der Menschen zu begleiten versucht auf einem Weg, der zu einem gesünderen Leben führt."

Man trifft sich laufend

Hartmann, der Begleiter, Hartmann, der Berater, Hartmann, der Coach. An ihn haben sich schon viele gewandt, die einen Marathon in einer bestimmten Zeit laufen wollten. Doch lieber hilft er Menschen mit gesundheitlichen Problemen und Menschen, die Stress abbauen wollen. So ist Hartmann etwa mit Franz Gasselsberger unterwegs, dem Direktor der Oberbank, der laufend Ausgleich sucht.

Linz ist neben Reutte sein zweiter Stützpunkt geworden. Gerhard Hartmann ist seit zwölf Jahren geschieden, seine Tochter und sein Sohn haben den gemeinsamen Dreißiger schon hinter sich, er sieht die Zwillinge praktisch wöchentlich, meist trifft man sich zum Laufen. Und in Linz hat es sich getroffen, dass die Oberbank den Marathon sponsert, der gestern zum 17. Mal in Szene ging. Während der Vorbereitung hat Hartmann oft dutzende Ambitionierte bei längeren Trainingsläufen begleitet. Was ihm wichtig ist: "Alle sollen nachher sagen können, es hat ihnen gefallen."

Dem Vienna City Marathon und seiner 35. Auflage am kommenden Sonntag ist der dreimalige Wien-Sieger vergleichsweise lose verbunden. Es ist gut möglich, dass er Bekannte in Wien besucht, sich mit ihnen an die Strecke stellt und applaudiert. Er wird in sich hineinhorchen und froh sein, dass er sich selbst die Belastung und den Stress nicht mehr antut. "Mein Körper hat mir viele Jahre etwas vorgestreckt", sagt Gerhard Hartmann. "Jetzt will ich ihm etwas zurückgeben." (Fritz Neumann, 16.4.2018)