Foto: Jennifer Brandel / Haerken

Perugia – Mit Journalismus der Öffentlichkeit dienen und Gewinn machen? Das geht, sagt Jennifer Brandel. Ihre Organisation Hearken hilft Medien, die Leser in die Entstehung von Geschichten einzubeziehen – um das Vertrauen zu stärken und den Gewinn zu erhöhen. Beim Journalismusfestival in Perugia sprach sie über Chancen und Risiken des "Public-Powered Journalism."

STANDARD: Wie funktioniert "Public Powered Journalism"?

Brandel: Es geht darum, die Öffentlichkeit miteinzubeziehen – bei der Auswahl des Themas und in der Berichtsphase. Unser Modell baut auf Teilhabe auf und darauf, zugänglich zu sein. Man gibt Einblick in seine Arbeit, um die eigenen Geschichten zu formen und zu stärken. Wie wir an Journalismus herangehen, hilft Medien, Geld zu verdienen. Geschichten, die dadurch entstehen, verbreiten sich breiter online und ziehen Sponsoren und Werber an. Die Leser werden eher Abonnenten und Mitglieder des Mediums.

STANDARD: Wer nutzt das Angebot?

Brandel: Die BBC und die ABC in Australien sind unsere Kunden. Wir arbeiten mit regionalen, nationalen und internationalen Nachrichtenorganisationen. Jeder, der eine Gemeinschaft hat, der er besser zuhören möchte kann unsere Dienstleistungen nutzen.

STANDARD: Wie kann sich die Öffentlichkeit einbringen?

Brandel: Wir arbeiten mit einem "Engagement Management System." Medien betten unsere Widgets ein. Diese helfen ihnen, Fragen an die Öffentlichkeit zu stellen. Leser können die Journalisten bitten, ihnen die Informationen zu liefern, die sie selbst nicht finden können. Zum Beispiel wenn ein Medium eine Geschichte zum Thema Brexit bringt und dann seine Leser fragt: "Was wollt ihr noch über den Brexit wissen?" Zur Zeit entscheiden Journalisten, was Leser wissen sollen. Warum nicht den Lesern vertrauen, dass sie wissen, was sie erfahren möchten um ihnen dadurch zu nützen?

STANDARD: Was bedeutet das für die journalistische Unabhängigkeit?

Brandel: Der Journalist kann noch immer frei entscheiden. Er muss nicht jede Geschichte machen, nach der die Leser fragen. Aber der Kontakt hilft dem Journalisten zu verstehen, welche Geschichten relevant sind.

STANDARD: Soll man die Öffentlichkeit auch in den Rechercheprozess miteinbeziehen?

Brandel: Es ist enorm wichtig, die Leser informiert zu halten. Warum man bestimmte Menschen interviewt, über Ziele und Erkenntnisse. Aber auch darüber, was man nicht weiß oder wissen kann. Je offener man seine Karten auf den Tisch legt desto mehr Vertrauen bekommt man.

STANDARD: Damit öffnet man sich auch gegenüber kritischen Stimmen.

Brandel: Das ist eine gute Sache. Warum haben wir Angst davor, dass die Öffentlichkeit uns sagt, was sie wissen muss? Medien sollen einen Nutzen für die Bürger bringen. Sie müssen in Kontakt mit ihnen treten, um die Information zu bekommen, die sie brauchen, um ihren Job zu machen. Die Welt zu verändern ist nicht die Aufgabe von Medien. Deren Aufgabe ist, Bürgern und Gemeinschaften zu helfen Entscheidungen zu treffen und etwas zu verändern.

STANDARD: Wie geht man mit Frustration um, wenn Geschichten nicht umgesetzt werden?

Brandel: Das Medium kann den Lesern erklären, warum die Geschichte nicht gebracht wurde – etwa aus Ressourcenmangel, oder weil sie nicht für genug Menschen relevant wäre. Dann könnte die Person das an die Öffentlichkeit tragen, Menschen für die Sache interessieren oder selbst aktiv werden. Es ist gut, dass die Öffentlichkeit Nachrichtenorganisationen hilft, Lücken in der Berichterstattung aufzudecken. Je offener der Austausch ist, desto mehr Möglichkeiten gibt es, etwas zu ändern.

STANDARD: Was ist die größte Herausforderung für Medien?

Brandel: Es gibt so viele. Ich glaube das größte Problem ist Aufmerksamkeit. Medien sollten sich auf die Dinge konzentrieren, die sie ändern können, anstatt auf die, die sie nicht ändern können. Die größte Herausforderung ist, die Rolle der Medien zu überdenken. Warum überlegen wir uns nicht neue Wege mit den Ressourcen, die wir schon haben? Journalismus ist derselbe, der er vor dem digitalen Zeitalter war. Vor allem in Bezug darauf wer die Macht über die Themen hat. Hier müssen Medien schnell aufholen.

STANDARD: Wie zerstört man das Vertrauen seiner Leser?

Brandel: Es gibt viele Wege. Einer ist, unzugänglich für die Öffentlichkeit zu sein. Warum sollen Menschen jemandem vertrauen den sie nicht kennen? Ein weiterer Weg ist es, nur dann in Kontakt zu treten, wenn man etwas braucht. Oder irrelevant zu sein indem man Geschichten erzählt die nur für einen selbst wichtig sind.

STANDARD: Was bedeutet das für Journalisten?

Brandel: Sie müssen genauso gut zuhören, wie sie Geschichten erzählen können. Je weniger man zuhört, desto mehr spekuliert man und desto öfter liegt man falsch. Journalisten können gut zuhören, wenn sie eine Geschichte vor Augen haben. Dann finden sie Menschen, mit denen sie sprechen können und hören ihnen zu. Es geht darum, breiter zuzuhören. Um herauszufinden, welche Geschichten erzählt werden sollen und was die Gemeinschaft braucht, um aktiv zu werden.

STANDARD: Wenn Journalisten das verinnerlichen, bräuchte es eure Dienstleistungen nicht mehr.

Brandel: Dann suche ich mir ein anderes Problem, das ich lösen kann. Ich will, dass Journalisten zugänglich sind, egal, ob sie unsere Dienstleistungen nutzen oder nicht. (Laura Anninger, 17.4.2018)

"Tools for Trust": Panel mit Brandel in Perugia

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