Edmonton/Wien – Als 2012 russische Wissenschafter bei Bohrungen bis zum Wostoksee vordrangen, war die Aufregung nicht nur in der Fachwelt groß: Der fast 4.000 Meter unter dem antarktischen Eisschild verborgene See gilt als größte vermutlich seit Jahrtausenden völlig von der Außenwelt getrennte Wasseransammlung der Erde. Man hoffte unter anderem auf die Entdeckung unbekannter Mikroben, doch blieb diese weitgehend aus.
Rund 400 subglaziale Seen konnten bisher rund um die Pole unseres Planeten ausfindig gemacht werden, die meisten davon in der Antarktis, und sie alle bestehen aus Süßwasser. Nun jedoch haben kanadische Forscher unter dem arktischen Eispanzer erstmals zwei gleichfalls isolierte Wasserkörper aufgespürt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit außerordentlich salzig sind. Womöglich herrschen dort dadurch für Bakterien, die nirgendwo sonst auf der Welt vorkommen, bessere Bedingungen als im antarktischen Wostoksee.
Namenlose Gewässer
Die beiden subglazialen Seen liegen rund 550 und 750 Meter unter dem Devon-Eisschild im Nordosten Kanadas – einer der größten Eiskappen der kanadischen Arktis – und wurden von einem Team um Anja Rutishauser von der University of Alberta in Edmonton anhand von Radarmessungen aufgespürt. Die vorerst noch namenlosen Gewässer T1 und T2 mit einer Ausdehnung von fünf und 8,3 Quadratkilometern und ohne eine Verbindung zu oberflächlichem Schmelzwasser liegen in einer Zone, in der höchstens zehn Grad Celsius unter null herrschen.
Dass die Radardaten der Nasa und der University of Texas hier dennoch flüssiges Wasser anzeigen, lässt nach Ansicht der Forscher darauf schließen, dass es sich um äußerst salzhaltiges Wasser handelt: Mindestens 140 Gramm Salz pro Kilogramm Wasser müssten dort vorhanden sein, um den Schmelzpunkt des Wassers entsprechend herabzusetzen, schreiben die Forscher im Fachjournal "Science Advances". Zum Vergleich: Die Weltmeere enthalten im Schnitt 35 Gramm Salz pro Kilogramm Wasser.
Exotische Bedingungen
"Es muss sich um hypersalines Wasser handeln, anders lässt sich die Existenz der Seen bei diesen Umgebungstemperaturen nicht erklären", meint Rutishauser. Als Quelle des Salzes vermuten die Wissenschafter geologische Strukturen unterhalb des Eises, die große Mengen an Steinsalz enthalten. Damit könnten in den beiden Seen Bedingungen herrschen, wie man sie auch auf einigen Monden um die Gasriesen unseres Sonnensystems annimmt.
"Wir glauben, dass diese Seen jenen Gewässern gleichen, die wahrscheinlich auf dem Jupitermond Europa vorhanden sind", sagt Rutishauser. Falls es in den beiden Wasseransammlungen Leben geben sollte, dann dürfte es mindestens 120.000 Jahre vom Rest der Welt isoliert gewesen sein, so die Wissenschafter. Ein solches exotisches Ökosystem könnte wichtige Hinweise darauf liefern, wie Leben unter dem Eispanzer von Europa aussehen könnte.
In den kommenden Wochen sollen weitere detaillierte Radarmessungen die Erkenntnisse über die Ausdehnung der beiden Seen verfeinern. Möglicherweise, so Rutishauser, sind die beiden Seen in der Arktis keine Ausnahmeerscheinung: Die Wissenschafter haben den Verdacht, dass sich ein ganzes Netz von Salzseen unter dem kanadischen Eis erstreckt. (tberg, 17.4.2018)