Wien – Ruben A. hat insofern Glück, als Elisabeth Reich, Vorsitzende des Schöffengerichts im Vergewaltigungsprozess gegen den 22-Jährigen, ein ausgeglichenes Wesen hat. Bei anderem richterlichem Personal hätte es in der Verhandlung nämlich durchaus laut werden können, da sich der Senat möglicherweise etwas auf den Arm genommen gefühlt hätte.

Die Vorwürfe gegen den unbescholtenen Armenier wiegen schwer: Am 14. November soll er in Wien-Landstraße versucht haben, eine Frau im Hausflur zu vergewaltigen; einen guten Monat zuvor soll er innerhalb einer Stunde gleich vier Frauen bedrängt und/oder unsittlich berührt haben, wie ihm die Staatsanwältin vorhält.

"Wie kommt es dazu?", will die Vorsitzende von A. wissen. "Ich habe nach dem Deutschkurs Frauen auf der Straße beobachtet und verfolgt", lässt der eher schmächtige Angeklagte übersetzen. Zum ersten Opfer, das er um 18.45 Uhr attackierte, sagt er: "Ich wollte die Frau kennenlernen, konnte aber nicht ausreichend Deutsch. Da habe ich ihr mit beiden Händen auf den Po gegriffen." – "Um sie kennenzulernen?", ist Reich überrascht.

Angriffe im Zehnminutentakt

Das "Kennenlernen" brachte nicht den gewünschten Erfolg, die Frau schrie, A. lief davon. Nur um zehn Minuten später die nächste Frau anzugreifen – er griff ihr zwischen die Beine. Zunächst versucht der 2016 nach Österreich Gekommene zu argumentieren, er habe wieder nur das Hinterteil des Opfers berühren wollen. "Was ist zwischen den Beinen einer Frau?", fragt Reich daher. "Ihr Geschlechtsorgan." – "Haben Sie das berührt?" – "Nur ihre Kleidung." – "Haben Sie schon einmal eine Frau gesehen? Unten? Die Geschlechtsorgane? Wissen Sie, was man berührt, wenn man die Hand zwischen die Beine steckt?" – "Ja."

Da auch dieses Opfer um Hilfe schrie, flüchtete der Angeklagte und griff zehn Minuten später die Nächste an. "Was wollten Sie von der Frau?", probiert die Vorsitzende es erneut. "Ich wollte sie kennenlernen. Ich habe einen Fehler gemacht." – "Herr A., wie lernt man Frauen kennen?", nimmt sich Reich von dem jungen Mann, der in seiner Heimat ein Studium begonnen hatte, nicht ganz ernst genommen.

Sexuelle Belästigung und sexuelle Nötigung

"Normalerweise spricht man sie an." – "Und wann wäre die Kennenlernphase überwunden gewesen?" – "Das braucht sicher einige Zeit." – "Was war damals konkret Ihr Plan?" – "Ich habe mir keine Gedanken gemacht damals, erst jetzt in Haft." – "Herr A., jetzt rennen drei Frauen vor Ihnen weg, und Sie denken sich in der Situation nix?", reagiert die Vorsitzende ungläubig. Denn auf den dritten Angriff folgte um 19.45 Uhr ein vierter, bei diesem soll er wie schon beim dritten versucht haben, das Opfer auch in eine Ecke zu drängen – die Anklage lautet in diesen Punkten daher auf versuchte sexuelle Nötigung.

Einen guten Monat später kam A. wieder vom Deutschkurs. "Ich bin in der Straßenbahn gesessen und habe eine Frau gesehen. Ich habe sie nach ihrem Namen und ihrer Adresse gefragt, habe aber ihre Antwort nicht verstanden", begründet der Angeklagte wieder mit der Sprachbarriere, warum er dem Opfer bis in den Hausflur folgte.

Vorsitzende ringt einmal um Fassung

Er berührte sie zunächst auf dem Gesäß, nach seiner Darstellung stolperte sie, er legte sich auf sie, hielt sie fest und betastete ihre Scheide. "Was wäre der nächste Schritt gewesen? Und sagen Sie bitte nicht 'kennenlernen'!", ringt Reich ein einziges Mal merkbar um Fassung. "Ich habe schon an Sex gedacht", sagt der Angeklagte leise.

Die Opfer werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit einvernommen, in seinem Schlusswort bittet der von Martin Mahrer verteidigte 22-Jährige "nochmals aufrichtig um Entschuldigung bei den Frauen, denen ich Leid zugefügt habe".

Seine Mutter, auf deren Anraten hin er sich nach medialer Fahndung bei der Polizei gestellt hat, schluchzt laut auf, als nach der Beratung das Urteil verkündet wird: Bei einem Strafrahmen von einem bis zehn Jahren erhält A. dreieinhalb Jahre Haft für versuchte Vergewaltigung, versuchte sexuelle Nötigung und sexuelle Belästigung. "Weniger ist keinesfalls gerechtfertigt", begründet Reich, "Sie sind auch sehr gefährlich." (Michael Möseneder, 17.4.2018)