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"Um relevant zu bleiben, muss man sich verändern": Lucy Küng, Professorin für Medieninnovationen an der Universität Oslo.

Foto: Reuters Institute

Perugia/Wien – Die Digitalisierung fordert ein Umdenken in der Medienbranche. Alte Geschäftsmodelle halten den erschwerten Bedingungen nicht mehr stand. Zu lange lag der Fokus auf den Inhalten, zu wenig Energie ist in neue Geschäftsmodelle geflossen.

Lucy Küng ist Professorin für Medieninnovationen an der Universität Oslo und arbeitete als Google Digital News Senior Visiting Research Fellow beim Reuters Institute. Sie ist Verwaltungsrätin der NZZ-Mediengruppe und Expertin für Strategie, Innovation und Leadership. Sie hält regelmäßig Vorträge auf internationalen Konferenzen und ist Autorin zahlreicher Bücher und Forschungsarbeiten. In ihrem jüngsten Bericht "Going Digital – A Roadmap for Organizational Transformation" gibt sie Antworten auf die wichtigsten Fragen der Branche. Vorige Woche sprach sie beim internationalen Journalismusfestival in Perugia über ihre Erkenntnisse.

STANDARD: Sie haben die Digitalisierung und organisatorische Transformation von Medien mit dem unsichtbaren Monster aus der zweiten Staffel von "Stranger Things" verglichen. Warum?

Lucy Küng: (lacht) Ganz genau! Es ist ein Phänomen, das wir in vielen Organisationen beobachten. Es gibt immer eine Gruppe von Menschen, die verstehen, welche Herausforderungen auf sie zukommen. Und auf der anderen Seite gibt es Menschen, die es entweder nicht verstehen oder es lieber nicht verstehen wollen. An dieses Problem musste ich denken, als ich mir die zweite Staffel von "Stranger Things" angeschaut habe. In der Serie gibt es jemanden, der das Monster am Himmel sehen kann und deshalb angsterfüllt ist. Die anderen aus der Gemeinschaft sehen es nicht und machen ganz normal mit ihrem Leben weiter. Das "Burning Platform Concept" geht davon aus, dass man alle in Panik versetzen muss, um Veränderungen zu erzielen. "Wenn wir jetzt nicht reagieren, passiert eine Katastrophe." Allerdings befinden sich Menschen, die Angst haben, meist nicht in der Position, neue, innovative Lösungsansätze zu entwickeln. Trotzdem müssen wir alle verstehen: Das ist eine existenzielle Krise für den Qualitätsjournalismus!

STANDARD: Medien sind in einem stabilen Umfeld aufgewachsen. Heute ist Veränderung unser stetiger Begleiter. Was müssen Medienunternehmen lernen?

Küng: Medienschaffende müssen erst die Komplexität der Situation erfassen und akzeptieren, dass die Industrie vor großen Herausforderungen steht und es keine einfachen Lösungen gibt. Wettbewerbsmäßig gesehen arbeiten Qualitätsmedien mit großen strategischen Nachteilen: schrumpfende Einnahmen, ein großer Bedarf an Investitionen in Tech-Systeme und verglichen mit ihren Tech-Konkurrenten schlechte Daten darüber, wie und wo ihre Inhalte konsumiert werden. Weil der Weg zur Nachhaltigkeit wirklich nicht klar ist, müssen diejenigen, die im Journalismus arbeiten, unvermeidlich für einen kontinuierlichen Wandel bereit sein, und ich fürchte, die Arbeitsbelastung und die Unsicherheit werden zunehmen. In dieser schwierigen ökonomischen Situation muss man das Produkt, des Service, die Strategie verändern. Innovation vorantreiben, obwohl gleichzeitig die Ressourcen weniger werden.

STANDARD: Wie können wir Qualitätsjournalismus in Zukunft finanzieren?

Küng: Durch die Digitalisierung entstehen neue Möglichkeiten der Finanzierung. In den letzten fünf Jahren konnte man eine klare Verschiebung hin zu Abonnementmodellen für Qualitätsjournalismus in vielen Ländern beobachten. Seitens der Leserschaft scheint auch die Zahlungsbereitschaft für qualitativ hochwertigen Journalismus zu wachsen. Das ist eine gute Entwicklung. Allerdings können Abonnements den Verlust der Werbeeinnahmen, die die zentrale Säule von Qualitätsjournalismus-Geschäftsmodellen darstellen, niemals vollständig kompensieren. Um den journalistischen Motor am Laufen zu halten und in neue Technologien investieren zu können, werden wir uns andere Einnahmequellen ansehen müssen. Die meisten Herausgeber experimentieren mit einer Reihe von möglichen Optionen, von Veranstaltungen bis zum E-Commerce, aber das sind im Wesentlichen neue Unternehmen, die erst eingerichtet werden müssen. Sie brauchen Investitionen, neue Kompetenzen, und die meisten von ihnen sind ziemlich gut etablierte Segmente, sodass es existierende Akteure gibt, die möglicherweise nicht bereit sind, neuen Marktteilnehmern nachzugeben. Das Geschäftsmodell muss also angepasst werden, und das ist ein komplizierter Prozess. Wir reden schon Jahrzehnte darüber, aber jetzt wird es langsam ernst.

STANDARD: Welche Rolle wird branchenübergreifende Zusammenarbeit in Zukunft spielen?

Küng: Alle Formen der Zusammenarbeit werden in Zukunft wichtiger sein. Der Begriff "Masse" wurde neu definiert. Qualitätsmedien wurden in den Wettbewerb der größten Unternehmen auf dem Planeten gezogen, und diese setzen jetzt Standards in Schlüsselbereichen wie Daten und Nutzererfahrung. Es ist schwierig für alle geworden, insbesondere aber für kleinere Märkte, das notwendige Ausmaß zu erreichen, um Tech-Investitionen zu finanzieren oder eine AI-basierte Strategie umzusetzen. Auf diese Situation können wir nur durch Zusammenarbeit über Branchen hinweg reagieren. Dieser Prozess findet bereits statt, wird wachsen und ist der intelligenteste Weg, diese Herausforderung zu meistern.

STANDARD: Bei Ihrem Panel erwähnten Sie auch die wichtige Rolle von Führungskräften in diesem Prozess. Welche Art von Führungskraft hilft bei der organisatorischen Transformation von Medien?

Küng: Die Herausforderung für Führungskräfte in der Medienbranche ist groß und sehr schwer. Auch hier wird es mehr Zusammenarbeit und vernetzte Strukturen innerhalb der Medienunternehmen brauchen. Es werden Führungskräfte aus unterschiedlichen Expertenkreisen zusammenfinden. Neben der journalistischen Expertise, die immer zentral bleiben wird, braucht es Experten der Technologie, der Ökonomie und jene, die es verstehen, Geschichten digital zu erzählen. In diesem Prozess der organisatorischen Transformation sind es am Ende die Führungskräfte, die die Innovation vorantreiben und kommunizieren müssen. Sie müssen es schaffen, die ganze Organisation für die Veränderung zu begeistern. Führungskräfte und ihre Lösungsansätze müssen glaubwürdig genug sein, um die gesamte Organisation von dem Prozess zu begeistern. Journalisten sind schlau und darauf trainiert, Fragen zu stellen, und sie reagieren allergisch auf den Management-Jargon. Das bedeutet, dass die Kommunikation der Führungsebene besonders intelligent sein muss. Führungskräfte in Medienunternehmen müssen heute viel mehr Fähigkeiten aufweisen.

STANDARD: Aus JournalistInnenperspektive: Expertise und Können ist nicht länger an die Zeit gebunden, die jemand in einem Unternehmen, einer Branche verbringt. Müssen wir die Digital Skills aller MitarbeiterInnen verbessern?

Küng: Man kann nicht von allen MitarbeiterInnen verlangen, dass sie sich alle neue Fähigkeiten aneignen. Nicht jeder muss Datenjournalismus oder Storys für Instagram beherrschen, aber jeder mauss verstehen, warum sie wichtig sein könnten. Die Medienunternehmen, die sich in diesem Transformationsprozess gut schlagen, setzen auf die Zusammenarbeit von Menschen aus dem Digital-, Redaktions- und Datenbereich. Haben sie die Art und Natur der Herausforderung erst einmal verstanden, so neigen sie dazu zusammenzuarbeiten. Durch diese Kollaboration entstehen instinktiv neue Lösungsansätze und Fähigkeiten. Das ist eine Art, bessere Strategien zu finden. Voraussetzung dafür: Man muss physisch mehr Möglichkeiten für Menschen schaffen, sich zu treffen und Ideen und Expertise auszutauschen. Orte, wo man zusammenkommt, redet und ein gemeinsames Verständnis für die Themen und Herausforderungen der Zukunft entwickelt.

STANDARD: Sie haben den Report "Going Digital" für das Reuters Institute geschrieben – Ihrer Meinung nach haben wir uns zu sehr auf die Transformation der Inhalte konzentriert?

Küng: Um relevant zu bleiben muss man sich verändern. Die Menschen müssen verstehen, dass sich die Technologie und ihr Einsatz verändert hat. Früher war sie ein Werkzeug, das es uns erlaubt hat, Dinge zu tun, die wirklich wichtig für das Unternehmen waren. Heute sind sie Teil von dem, was wirklich wichtig ist. Zusammenfassend sind guter digitaler Content, ein erweiterter Dialog mit der Leserschaft und das Verstehen der Rolle der Technologie von enormer Wichtigkeit. Das sind die großen Themen unserer Zeit, und wir müssen lernen, sie auch zu kommunizieren. Wir befinden uns seit fast 20 Jahren auf der Reise durch die Digitalisierung. Das ist eine lange Zeit, und die Veränderung ist unaufhaltsam. Wir sind alle ein bisschen müde und müssen trotzdem besser werden in dem, was wir tun. Mehr als je zuvor.

STANDARD: Medien müssen vorsichtig sein. Sie sollten nicht jede Innovation übernehmen. Also Finger weg von "shiny new Things", wie Sie sie nennen?

Küng: Die Industrie wurde in den letzten zwanzig Jahren von einer Reihe technologiegetriebener Innovationen überschwemmt. Es war unglaublich schwierig, die Art von tiefer Analyse durchzuführen, die notwendig ist, um einen Wettbewerbsvorteil zu finden und zu halten. Was bei den stärkeren Akteuren, die ich analysierte, wirklich auffiel war, wie streng sie in Bezug auf den Umgang mit diesem Strom von "glänzenden neuen Dingen" sind. Sie werden fast alles ernsthaft in Betracht ziehen – Artificial Intelligence (AI), Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR), Snapchat, was auch immer. Ein kontrolliertes Experiment. Martin Baron von der "Washington Post" hat etwas sehr Interessantes zu dem Thema gesagt: Wenn wir uns selbst als JournalistInnen respektieren und damit auch unsere Fähigkeit, Geschehen zu analysieren und zu respektieren, dann können wir nicht auf die Veränderungen, die uns umgeben, einfach nicht reagieren. Wir müssen sie analysieren, verstehen, was passiert, und versuchen sinnvolle Lösungen zu finden.

STANDARD: Um bei der Leserschaft relevant zu bleiben, müssen Medien in den sozialen Netzwerken vertreten sein. Aber das bedeutet auch weniger Geld.

Küng: Google und Facebook gehören definitiv zum digitalen Ökosystem. Es ist ein guter Weg, mit dem erweiterten Publikum in Kontakt zu treten, das man sonst vielleicht nicht erreichen kann. Soziale Medien sind Instrumente, die wir nutzen sollten. Diese Plattformen sind aber aus einer anderen Motivation heraus in diesem System. Sie sind nicht geschaffen worden, um den Journalismus zu retten, und das sehe ich auch nicht als ihre Aufgabe. Sie sind ein Teil des großen Ganzen, und wir müssen sehr klug sein, wenn wir sie verwenden.

STANDARD: Was zeichnet den Qualitätsjournalismus der Zukunft aus?

Küng: Mich fasziniert die Schnelligkeit, und ich glaube, dieses Thema wird wichtiger werden. Dabei geht es nicht um die Geschwindigkeit beim Publizieren. Die echte Herausforderung im digitalen Zeitalter: Wenn man konkurrenzfähig bleiben will, muss man schneller mit einer ersten, tiefgreifenden Analyse der Veränderung sein. Das bedeutet auch nicht, jeder Innovation zu folgen. Wie schnell können und sollen wir sein? Während meiner Recherche bin ich auf einen weiteren wichtigen Punkt gestoßen: Erklärende Details in der Berichterstattung werden wichtiger. Die Transparenz bei Quellen ist also sehr wichtig. Die Leserschaft ist oft sehr gut informiert und hat Zugriff auf wichtige Online-Quellen, die der Journalist vielleicht benutzt. Daher haben sie ein relativ hochentwickeltes Wissen und eine Meinung über Entwicklungen, bevor eine Nachrichtenorganisation ihren Artikel veröffentlicht hat. Organisationen wie die "Washington Post" und die "New York Times" haben festgestellt, dass der Journalismus immer mehr zum Dialog mit den Lesern wird. LeserInnen wollen auf Augenhöhe mit den Journalisten sein und über künftige Themen und Recherchen sprechen. Der Trend ist klar: mehr Kommunikation mit der Leserschaft und ein besseres Verständnis ihrer Bedürfnisse, um die Qualität auch in Zukunft zu sichern. (Juli Marie Bali, 18.4.2018)