Yannick Nézet-Séguin

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Paavo Järvi

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Philippe Jordan

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Gustavo Dudamel

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Andrés Orozco-Estrada

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Vladimir Jurowski

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Als kürzlich Dirigent Zubin Mehta Tourneetermine mit den Wiener Philharmonikern canceln musste, war mit Daniel Harding und Andrés Orozco-Estrada schnell juveniler Ersatz gefunden. Die Konzertmaschine muss weiterlaufen, umso mehr als das CD-Geschäft seit Jahren – für alle – einbricht und Liveaktivitäten auch im Klassikbereich zum Überlebensfaktor mutieren.

Die philharmonische Rochade hat Symbolwert, weist sie doch auf einen Generationenwechsel hin. Im Edelklub der relevanten Orchesterleiter wurden und werden Positionen vakant, Jugend rückt nach. Teil der Aura der jungen Maestri ist das ewige Versprechen, Klangkörper ins Reich des Besonderen führen zu können. Oder mit Arturo Toscanini gesprochen: "Jeder Esel kann Takt schlagen, aber Musik machen ist schwierig."

Lebensgesetze befeuern diesen Generationenwechsel: Pierre Boulez, Claudio Abbado, Nikolaus Harnoncourt und Lorin Maazel sind nicht mehr. Riccardo Muti, Mariss Jansons und Daniel Barenboim sind Nestoren des Genres. Längst geben sie sich "monogam", konzentrieren ihre Chefkräfte. Muti in Chicago, Jansons in München, Barenboim in Berlin. Auch deshalb herrscht Bedarf an neuen Köpfen, und ein Abgang löst schnell Kettenreaktionen aus: Der Brite Sir Simon Rattle verlässt die Berliner Philharmoniker, ihm folgt der Russe Kirill Petrenko nach, bisher Musikchef der Bayerischen Staatsoper. Mit Wladimir Jurowski steht aber schon Petrenkos Münchner Nachfolger fest; Ähnliches bei der New Yorker Met: Während sich der wegen sexueller Belästigung seines Jobs enthobene James Levine mit dem Opernhaus juristische Duelle liefert, ist die Nachfolge längst fixiert: es ist der Kanadier Yannick Nézet-Séguin.

Ein Engpass an Maestri

Auffällig ist, dass unter den Jungstars wahre "Orchestersammler" zu finden sind. Auf sie passt ein Karajan-Witz: Steigt der Maestro ins Taxi und wird vom Fahrer gefragt, wohin es gehen soll: "Vollkommen egal", so Karajan, "man braucht mich überall!" Nun denn: Der zukünftige Münchenchef Jurowski ist an das London Philharmonic Orchestra gebunden wie auch ans Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin.

Auch Nézet-Séguin ist ein Weltreisender: Als Direktor des Philadelphia Orchestra lenkt er auch die Rotterdam-Philharmoniker und des Orchestre Métropolitain. Auf Flughäfen begegnet er womöglich Paavo Järvi: Der Este ist Chef der Kammerphilharmonie Bremen, des NHK Symphony Orchestra. Auch tourt er mit seinem Estonian Festival Orchestra und wird demnächst Chef des Tonhalle-Orchesters Zürich. Huch. Nicht unwahrscheinlich, dass er im Flieger Kolumbianer Andrés Orozco-Estrada trifft. Der zukünftige Chef der Wiener Symphoniker betreut das Houston Symphony und das hr-Sinfonieorchester.

Das bringt die Gefahr einer gewissen Oberflächlichkeit mit sich: Paavo Järvi hätte zwischendurch gern mehr Zeit, "neue Partituren zu studieren". Und Andris Nelsons (Boston Symphony und Gewandhausorchester Leipzig) fragt sich schon auch, wie viele Orchester er inspirieren kann.

Andererseits betont etwa Orozco-Estrada, dass "es zu falscher Routine führt, zu lange mit einem Orchester zusammen zu sein. Abwechslung ist gut!" Selbst Petrenko kann flüchtigen Orchesterbegegnungen Reize abgewinnen: "Es ist schön zu improvisieren, denn manchmal hat man so geprobt, dass man improvisieren muss ..."

Mag sein. Die Rezeptionsgeschichte lehrt allerdings, dass bleibende Ergebnisse oft aus Kontinuität erwachsen. Karajan wäre ohne die ewige Bindung an die Berliner nicht denkbar. Die Münchner Philharmoniker erinnern sich womöglich wehmütig an Sergiu Celibidache. Er setzte Maßstäbe, die Waleri Gergijew (auch Intendant des Mariinski-Theaters) noch erreichen muss.

Schließlich zeitigt auch die Arbeit von Franz Welser-Möst – der als Musikchef der Wiener Staatsoper zurücktrat – mit dem Cleveland Orchestra edle Ergebnisse. Und auch Christian Thielemann reüssiert quasi monogam mit der Staatskapelle Dresden. Sein Sommerjob – als Bayreuther Musikchef – steht dem nicht wirklich im Wege. Solch orchestrale Monogamie garantiert natürlich nicht für Qualität, Glanzmomente sind ja auch eine Talentfrage. Carlos Kleiber etwa, von den meisten Kollegen als Wunder gerühmt, reüssierte ohne fixe Orchesterbindung.

Bildung ist wichtig

Natürlich ist nicht jeder solch ein übersensibles Genie. Außerdem ist mittlerweile auch Bildung wichtig: Ein historisch informierter Zugang zum Repertoire ist unerlässlich, will ein Talent nicht schnell als profilloser Luftmasseur entlarvt werden. Gut also, dass ein Jungstar wie Gustavo Dudamel beim Los Angeles Philharmonic Orchestra verweilt. Gut, dass der gefeierte Grieche Teodor Currentzis an seinem Orchester, Music Aeterna, festhält. Gut auch, dass sich Mirga Gražinytė-Tyla auf das Birmingham Symphony Orchestra konzentriert. Einer ihrer Vorgänger war, über zwei Jahrzehnte hinweg, ein gewisser Sir Simon Rattle. Danach zog er den Jackpot und ging nach Berlin.

Kontinuität kann sich also auszahlen. Und sie verhindert wohl auch Witze, in denen gefragt wird, was die Gemeinsamkeit zwischen Kondom und Dirigent ist: Mit sei es sicherer, ohne sei es schöner. (Ljubiša Tošić, 18.4.2018)