Vor fast einem Jahr bei einem Vortrag des Physikers Werner Gruber über Künstliche Intelligenz: Er schwärmt von Naturwissenschaften und Technik, wird auch nicht müde, deren Überlegenheit über Geisteswissenschaften und Philosophie zu betonen.

Dann jedoch erklärt er plötzlich, möglicherweise sei das Ende der Menschheit gekommen. Ein Krieg mit den Robotern sei vielleicht unvermeidbar, wenn diese einmal intelligent genug seien. Binnen kurzem malt er, und das nicht etwa ironisch, ein Bild der Zukunft, das düsterer nicht sein könnte und an "Matrix" oder den "Terminator" erinnert.

Leider weist ihn niemand aus dem irritierten Publikum darauf hin, wie seltsam diese Doppelbotschaft seines Vortrags ist. Zuerst erklärt er einem, wie super Wissenschaft und Technik seien. Dann erklärt er, zu welchem Desaster sie führen werden.

Die "Schizophrenie" der Technikfetischisten

Werner Grubers doppelbödige Aussagen sind charakteristisch für die eigentümliche "Schizophrenie" – behaupte ich einmal – vieler von der Technik Begeisterten. Sie wissen einerseits genau, was auf dem Planeten läuft. Die Zerstörung der Natur. Das Plastik im Meer. Die Bedrohung des Klimas. Die Bedrohung der Artenvielfalt. Die atomare Bedrohung.

Keiner von ihnen kommt aber auf die Idee, dann vielleicht auch mal jene Technik in Frage zu stellen, die das alles anrichtet. Im Gegenteil: Diese Technikbegeisterten, das weiß ich aus eigener Erfahrung, werden jeden schlechtmachen, der es wagt, die Auswirkungen moderner Technik zu kritisieren. Eine solche verblendete Haltung nenne ich "Technikfetischismus".

Ein Technikfetischist ist unbelehrbar. Von "Schizophrenie" spreche ich vage, weil er, wie der Schizophrene, dissoziiert. Er weiß zwar im Grunde sehr gut, was die Technik alles auf dem Planeten auf dem Gewissen hat. Sobald man ihn aber auf die Schattenseiten des technischen Fortschritts anspricht, wird er erklären, dass alle diese schlimmen Dinge gar nichts mit der Technik zu tun haben. Das sei die Politik, die Wirtschaft, die Gier der Menschen – aber ganz sicher nicht die Technik, die könne ja nichts dafür. Außerdem wird er dieses Thema sowieso immer umschiffen, indem er stumpfsinnig wiederholt: "Aber die Vorteile!"

Argumentationsweisen des Technikfetischisten

Nun hat ja gar niemand die Vorteile der Technik in Frage gestellt. Dass es aber deswegen verboten sein soll, auch über die gigantischen Schattenseiten des technischen Fortschritts zu sprechen, ist doch etwas merkwürdig.

Die Rhetorik des Technikfetischisten ist dabei simpel wie durchtrieben. Er verfolgt eine doppelbödige Kommunikationsstrategie. Wenn etwa mit Hilfe der Technik irgendwo das Leben der Menschen verbessert worden ist oder sogar Menschenleben gerettet worden sind, dann wird er diesen Verdienst umstandslos der Technik zuschlagen.

Wenn man aber beispielsweise auf die hunderttausenden von Toten hinweist, die durch den Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki auf einen Schlag ums Leben gebracht worden sind, – dann wird er einem freilich sofort erklären, dass das mit der Technik nichts zu tun habe. Das war ja dann die Politik.

Sofort hat er außerdem natürlich das altväterische Gleichnis von dem Messer parat, mit dem man Brot schneiden oder töten könne. Aber das Messer, das Messer, das könne ja nichts dafür.

Der Technikfetischist wird selbstverständlich auch jede Mitverantwortung Robert Oppenheimers oder anderer Physiker zurückweisen, die an der Herstellung der Atombombe gearbeitet haben. Er wird sich auf den von dem Philosophen Günther Anders beschriebenen Angestelltenmythos zurückziehen. Man habe ja nur seine Arbeit getan. Was andere dann damit gemacht haben, das gehe einen ja nichts an.

Atombombentest auf dem Bikini-Atoll 1954. Sind Physiker für ihre Forschungen verantwortlich?
Foto: US Department of Energy/Public Domain

Die Technikfetischisten und die Macht

Darum ist der Technikfetischist auch den Mächtigen gegenüber meist sehr anschmiegsam. Insbesondere verträgt er sich gut mit dem Kapitalismus. Technikfetischismus und Kapitalismus harmonisieren perfekt, eines bedingt das andere. Beide wollen immer mehr, immer höher, immer weiter, immer rascher – obwohl keiner eigentlich genau weiß, warum. Beiden ist nur wichtig, dass die Dinge funktionieren – weniger, was für einen Sinn das Ganze überhaupt ergibt. (Natürlich werden sie beide, der Technikfetischist wie der Kapitalist, viel vom "Wohl der Menschheit" schwätzen, wenn es erforderlich ist.) Beide wollen keine natürlichen Grenzen akzeptieren, auch wenn der Planet Erde dabei auseinanderbricht, es ist ihnen letztlich gleichgültig.

Technikfetischismus und Kapitalismus verbindet etwas, was ich die "Philosophie der Lemminge" nennen möchte. Man kennt die Sage von diesen kleinen Tierchen in Skandinavien, die sich angeblich gegenseitig so sehr antreiben, bis sie sich dann in einem Massenselbstmord ins Meer stürzen – keiner weiß, warum. Und am Ende trägt keiner die Verantwortung.

Der Hass des Technikfetischisten auf Vernunft und Denken

Kritik ist dem Technikfetischisten dabei natürlich bloß im Weg. Obwohl er in Diskussionen zwar andauernd stolz die Worte "Verstand" und "Vernunft" im Mund führt, weiß er gar nicht, was das überhaupt ist und verabscheut Reflexion, vor allem zu viel davon. Für ihn ist das immer nur "Geschwurble" – so sein Lieblingsetikett, das er auf alles klebt, was er nicht versteht. Das in der Schwebe haltende, zögerliche, umständliche und seinem Eindruck nach ergebnislose Nachdenken des echten Philosophen ist ihm verhasst. Er erkennt nur die reinen "Daten" an.

Wenn er etwa darauf kommt, dass sein technikkritisches Gegenüber Germanistik und Philosophie studiert hat, beginnt er schon zu spotten. Ja, dann, dann dürfe man ja gar nicht mitreden. (Er sagt so etwas freilich nicht, wenn ich die Technik lobe.)

Davon, dass es die Philosophie war, die die modernen Wissenschaften überhaupt erst hervorgebracht und die Idee von Maschine mitgeprägt hat, – davon weiß der Technikfetischist freilich nichts. Denn von der Geschichte und den philosophischen Voraussetzungen seines eigenen Fachs hat er nur ein sehr dürftiges, in der Regel gar kein Wissen.

Und weil ihm philosophisches Denken fremd ist, lässt er sich auch von vornherein darauf gar nicht ein. Er merkt nur irgendwie, dass das etwas ist, was seinen Absolutheitsanspruch in Frage stellen könnte, und darum lehnt er es ab. Und stellt – umstands- wie ahnungslos – philosophische Kritik auch am liebsten gleich in eine Reihe mit Esoterik.

Derselbe Technikfetischist, der einem autoritär erklärt, dass man die Technik nicht kritisieren dürfe, solange man nicht selbst ein Techniker sei, sondern nur ein Germanist und Philosoph, der wäre wohl schockiert, wenn er wüsste, was Philosophen schon alles über Technik geschrieben und gesagt haben – und das alles, ohne bei ihm die Erlaubnis dafür eingeholt zu haben.

Von René Descartes über Karl Marx, Theodor W. Adorno, bis hinauf in die Postmoderne – natürlich ist die Auseinandersetzung mit dem Phänomen moderner Technik sogar ein ganz wesentlicher Bestandteil der Philosophie.

Technikfetischismus als eine Form der Esoterik …

Sein vollkommener Unwille, sich auf andere Denkweisen als seine eigene einzulassen, rückt den Technikfetischisten übrigens selbst in die Nähe von Sektierertum und Esoterik, ohne dass ihm das bewusst ist.

Sein absoluter Wahrheitsanspruch, seine felsenfesten, durch nichts zu erschütternden und von seiner tiefen Denkfaulheit zeugenden "Das ist keine Theorie, das ist Faktum!"-Sätze, das alles hat der routinierte Esoteriker ebenso drauf, hier sind sich beide, der Technikfetischist und der Esoteriker, erstaunlich ähnlich.

Technik und moderne Wissenschaft sind so für den Technikfetischisten zu etwas Unantastbarem, Unkritisierbarem geworden, zu etwas metaphysisch Überhöhtem. (Natürlich wird er das vehement abstreiten und stattdessen jeden Technikkritiker als "Metaphysiker" bezeichnen, ohne dass er, der sich in Philosophie nicht auskennt, überhaupt weiß, was dieses Wort bedeutet.) So wie die Religiösen und Esoteriker oft ihre Eigenverantwortung ablegen und ihr Schicksal in die Hände von Priestern, Gurus oder Schamanen legen, so verlangt also der Technikfetischist, mit dem ich diskutiere, letztlich, dass ich keine eigene Meinung habe, sondern dem Techniker oder Wissenschafter das glaube, was er sagt, und keine Kritik daran übe, einfach weil er der "Experte" ist – und ich ja nur ein einfacher Mensch (oder noch schlimmer: einer, der Germanistik und Philosophie studiert hat …).

... und als demokratiepolitisches Problem

Darum begreift der Technikfetischist auch nicht das tiefgehende demokratiepolitische Problem, das sich hier abzeichnet, und seine eigene Selbstwidersprüchlichkeit, die ich hier kurz skizzieren möchte.

Denn der Technikfetischist wendet sich ja andererseits gegen jede Form von "Glauben" und geht im Feuereifer des Diskutierens mit dieser fanatischen Abscheu tatsächlich häufig sogar so weit, dass er auch jemanden angreift, der dieses Wort gerade bloß zufällig in seiner ganz unreligiösen, allgemeinen Bedeutung von "Meinen, Vermuten, Annehmen" gebraucht hat. (Das habe ich wahrhaftig selbst schon oft in der Diskussion mit Technikfetischisten erlebt. Mit demselben irrationalen Fanatismus werden sie einen übrigens einschüchtern und mobben, wenn man das Wort "Seele" in den Mund nimmt. Dass dieser Begriff auch eine unreligiöse Bedeutung hat, werden sie nicht akzeptieren.)

"Wissen, nicht Glauben!" trompetet er dann. Dennoch verlangt der Technikfetischist gleichzeitig ja selbst von mir den "Glauben", ohne dass er es begreift. Das ergibt sich aus dem verzwickten Umstand, dass leider eben der Großteil der Menschen nicht aus Wissenschaftern und Technikern besteht und daher unmöglich alles selbst nachprüfen kann, was ihm die Wissenschaft sagt – sondern es erst recht wieder glauben muss.

So fordert also paradoxerweise jener Technikfetischist, der mir das Recht zur Kritik an der Technik abspricht, weil ich ja bloß Germanist und Philosoph sei, dabei einen Glauben an Technik und Wissenschaft von mir, der doch gleichzeitig seiner eigenen Weltanschauung widerspricht.

Dazu wird er mich allerdings nicht bringen können. Ich glaube einem Experten schon deswegen nichts automatisch, weil ich selbst einmal einen solchen erlebt habe, bei einem Schulausflug im Atomforschungszentrum Seibersdorf, im Jahr 1985. Und der "Fachmann", der dort im weißen Kittel auftrat, erklärte uns Kindern vollmundig, dass in einem Atomkraftwerk nie etwas passieren könne, ein Unfall sei unmöglich, ganz unmöglich, und er bewies uns das in allen Details – es könne, es könne nichts passieren, wiederholte er immer wieder, das sei unmöglich. Ganz unmöglich. Wenige Monate später flog Tschernobyl in die Luft.

Der Zynismus des Technikfetischisten

Und wenn schon, wird uns hier der hartgesottene Technikfetischist antworten. Für ihn ist das alles immer nur eine Frage der "Verbesserung". Deswegen etwas an seinem Weltbild in Frage zu stellen, liegt ihm ganz fern.

Sowieso kann man sich bei ihm, wenn man die Vernichtung von Tieren und Pflanzen auf dem Planeten bedauert, rasch die Antwort abholen, dass man ein "Moralapostel" sei. Oder noch besser, ein "Naturromantiker". Man habe wohl zu viele Disney-Filme gesehen, höhnt er. Die Tiere brächten sich ja gegenseitig auch um. Das liege im Gesetz der Natur selbst, dass der Mensch alles tue, was in seinem Vorteil liege, das sei auch Natur, erklärt einem der Technikfetischist.

Dass er mit dieser Berufung auf die Gesetze der Natur unversehens selbst zum Naturromantiker geworden ist, der zu sein er dem anderen gerade vorgeworfen hat, entgeht ihm selbstverständlich. Überhaupt ist er – mag er sich auch noch so sehr für einen Rationalisten und Realisten halten – in Wahrheit gefühlsgetriebener Romantiker. Ein zynischer Romantiker freilich. Ein zynischer Fortschrittsromantiker.

Der Technikfetischist ist dabei so selbstbezogen, dass er seine eigenen Träume für den Nabel der Welt hält. Wenn er etwa ganz begeistert davon spricht, dass vielleicht bald die ersten Menschen zum Mars fliegen werden, dann glaubt er natürlich, das sei nicht sein persönlicher Spleen, sondern er fühlt sich dabei als Vertreter des "Fortschritts". Wenn aber jemand nicht so viel von einer Reise zum Mars hält, dann ist derjenige natürlich folglich für ihn gleich einer, der "gegen den Fortschritt" ist. Ohne dass er es bemerkt, wird er hier selbst plötzlich zum "Moralapostel". Denn er verlangt, dass der andere sich seinen Wertvorstellungen anschließt.

Die Reise zum Mars als ein ultimativer Fortschritt der Technik. Im Bild die israelische Negev-Wüste.
Foto: REUTERS/Ronen Zvulun

Der Technikfetischist würde vor Begeisterung auszucken über die Nachricht, dass man irgendwo am fernen Mars eine einzelne Mikrobe gefunden hat. Wenn aber jemand bedauert, dass am nahen Stadtrand schon wieder eine ganze Wiese voll blühenden Lebens einem neuen Parkplatz oder Supermarkt hat weichen müssen – ja mehr noch, dass es überhaupt bald keine echte Wildnis mehr auf der Erde geben wird, weil sie sukzessive durch eine künstliche, von Menschen gemachte Umwelt ersetzt worden ist –, dann versteht er gar nicht, was man für ein Problem damit hat – solche Sentimentalitäten sind ihm fremd und unverständlich.

Am Schluss, wenn die Erde nur mehr eine Asphaltwüste sein und es bloß noch Menschen und Roboter auf ihr geben wird, so dass es hier tatsächlich fast schon wie auf dem Mars aussieht, dann wird er einem, womöglich mit der nun notwendigen Sauerstoffmaske im Gesicht, immer noch röchelnd erklären: "Aber die Vorteile!"

Das Totschlagargument des Technikfetischisten

Natürlich hat der Technikfetischist gegen all solche Ausführungen stets das Totschlagargument par excellence parat, das er ohnehin immer und überall als erstes voll Spott zückt: Ich wolle wohl in die Steinzeit zurück, erklärt er mir. Solange ich das alles an einem Computer schreibe und nicht ohne alle technische Hilfe in die Wildnis gehe und auf alles verzichte, könne er meine Kritik an der Technik nicht ernst nehmen.

So zu argumentieren, ist natürlich ein geschickter Schachzug. Denn konsequent gedacht bedeutet das einmal mehr, dass man damit die Technik gegen jede Kritik immun macht. Die Logik dieses Arguments muss man sich aber einmal auf der Zunge zergehen lassen: Also deswegen, weil ich in einem System drin hänge, darf ich es nicht kritisieren? Nun, das ist in der Tat eine seltsame Logik, denn wenn ich außerhalb des Systems bin, dann brauche ich es ja auch nicht zu kritisieren. Gerade deswegen, weil ich Teil des Systems bin und mit drin hänge, nehme ich mir doch gerade erst so etwas wie ein Recht auf Kritik heraus.

Und wenn man mich darauf hinweist, dass ich ja selbst am Computer schreibe, dann hat man mich damit keineswegs widerlegt. Damit fängt das Problem ja vielmehr an. Das allein zeigt ja schon die perverse Übermacht der Technik über uns Menschen an: dass man sich ihr gar nicht mehr entziehen kann. Dass sie einem gar keine Wahlfreiheit mehr lässt. Und dass selbst ein jeder, der anderen seine kritischen Gedanken zu Computern mitteilen will, das auch nur mehr mit der Hilfe von Computern tun kann.

Ab zum Mars!

Spotten die Technikfetischisten über die Ideen romantischer Aussteiger auch, so sind sie ihnen mit ihren Träumen von einer Menschheit, die den Mars besiedeln soll, gleichzeitig viel ähnlicher, als ihnen bewusst ist.

Nun gut, sage ich dann umgekehrt, wenn ihr es dort so toll findet und ihr für die Erde ohnehin nur Spott und Hohn übrig habt, - warum geht ihr dann nicht wirklich endlich dorthin? Ich persönlich hätte nichts dagegen, wenn ihr allesamt auf den Mars auswandert und dafür den Planeten Erde in Ruhe lasst. Aber bitte sofort! (Ortwin Rosner, 23.4.2018)

Anmerkung: Die obskuren Aussagen, die der Verfasser hier immer wieder dem oder den "Technikfetischisten" in den Mund legt, sind leider nicht seine Erfindung. Nicht bloß hat er sie aus den Reaktionen auf seinen letzten Blogbeitrag destilliert, sondern auch aus beinahe zehn Jahre Diskussionserfahrung im STANDARD-Forum, offenbar ein Tummelplatz für Technikfetischisten.

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