Bild nicht mehr verfügbar.

Bäume kühlen, filtern Feinstaub und erfreuen besonders nach einem langen Winter. Hätten sie Beine, würden sie aber vor allem in der Stadt oft davonlaufen, sagt ein Experte.

Foto: Reuters / Heinz-Peter Bader

Wien – Endlich Frühling. Die Bäume lassen mit ihren frischen Blättern und Knospen vergessen, dass an ihnen schon Mitte Juli, also in drei Monaten, die ersten Anzeichen von Stress und Krankheit sichtbar sein werden und es scheinbar herbsteln wird.

Dabei sollten die Bäume gerade im Hochsommer ihre temperaturreduzierende Wirkung entfalten – zur Linderung des Urbane-Hitzeinsel-Effekts. Aber auch gegen Feinstaub, den sie auf den Blattoberflächen binden, als Schadstofffilter und als Lärmdämpfer wirken sie. Studien belegen zudem, dass das Risiko für Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen im Sommer dort signifikant sinkt, wo ausreichend Grün vorhanden ist.

Der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter vom Institut für Umwelthygiene und Umweltmedizin an der Medizin-Uni Wien hebt hervor, dass gerade in Hitzeperioden die Empfindlichkeit gegenüber Schadstoffen ansteigt. Kinder und beeinträchtigte Personen sind besonders betroffen. Schutzvorkehrungen in dichtverbauten Gebieten zu treffen liege in der Verantwortung der Politik.

Baumkataster online abrufbar

Die Stadt Wien erfasst seit circa 1985 die Bäume im Straßenraum und in den städtischen Anlagen. Seit 2003 ist ein Baumkataster auch online verfügbar. Durch ihn sind die Kerndaten wie Art, Alter, Größe und Kronendurchmesser zu jedem Baum öffentlich einsehbar. Dazu gibt es zu jedem Baum ein Tagebuch mit Informationen wie Wurzelzustand, Standortbeschaffenheit. Das ist die Grundlage für den jährlichen Sicherheitscheck. Rund 100 Baumkontrolleure und -pfleger sind täglich unterwegs um den Gesundheitszustand der Bäume zu prüfen und erhalten.

Aktuell gibt es in Wien 188.000 Bäume in Parks, dazu kommen jene in waldähnlichen Strukturen wie etwa im Prater. Sie sind nicht erfasst. Deshalb kann ein weit mehr als doppelt so hoher Bestand angenommen werden.

Sommerhitze und Wintersalz

Die Zahl der Allee- und Straßenbäume ist dagegen exakter: Es sind rund 92.000 Stück. Wolfgang Orasche, Projektentwickler und Referatsleiter der Abteilung Straßengrün der Wiener Stadtgärten (MA 42), kennt viele der in den vergangenen 20 Jahren gepflanzten persönlich. Für ihn sind Bäume in der modernen Stadt "Überlebenskünstler, die – hätten sie Beine -sicher davonlaufen würden". Es ist der Mix von Stressfaktoren, der es für Bäume in der Stadt so unwirtlich macht. Sommerliche Hitze und winterliches Salz sowie Hundeurin, Luftverschmutzung und Bodenverdichtung durch die permanente vom Autoverkehr verursachte Erschütterung gefährden das Überleben der Bäume.

Orasche erzählt, dass der einst klassische Alleebaum der Stadt heute nicht mehr nachgepflanzt werden kann. Kein junger Spitzahorn überlebt die herrschenden Bedingungen. Auch die alten Exemplare zeigen deutliche Anzeichen von Krankheit, weshalb ein vorzeitiges Entfernen immer wieder notwendig ist.

Es werde alles versucht, sagt Orasche, Stadtbäume so alt und voluminös wie möglich werden zu lassen. Gegen die Bodenverdichtung werden speziell entwickelte Substrate eingesetzt. Bewässerungssysteme und Schutzhüllen sollen jungen Stämmen helfen. Auch die Auswahl der Baumarten wird sorgfältig getroffen. Sie müssen dem Extremstandort Stadt besser gewachsen sein. Hier steht die MA 42 in Austausch mit Städten, Baumschulen und Forschungseinrichtungen.

Dabei setzt man zum Beispiel große Hoffnungen in den südlichen Zürgelbaum (Celtis australis), der mit heißen Sommern sowie kalten Wintern gut zurechtkommt und darüber hinaus auch salztolerant ist. Man müsse nachdenken, welche Stressfaktoren reduziert werden können. Den Stressfaktor Streusalz zu reduzieren sei einfacher als den Klimawandel komplett zu stoppen. Man stehe aber auch hier vor Schwierigkeiten. So ergebe sich aus der österreichischen Gesetzeslage eine Judikatur, die den Wegeerhalter in die Streupflicht nimmt.

Beim Thema Streusalz reduziert die Stadt selbst durch den Einsatz von Sole den winterlichen Salzverbrauch auf den Fahrbahnen auf ein Minimum. Ob sich das jeodch weiter reduzieren lässt, hängt von vielen Faktoren ab wie der Bereitschaft der Hauseigentümer teureres Kaliumkarbonat zu verwenden und solche Firmen zu engagieren, die kleinteilig streuen.

Baum gegen Parkplatz

Obwohl die Stadt in ihrem 2015 erstellten Strategieplan gegen sommerliche Hitzeinseln die Stadtbäume als extrem wirkungsvoll einstuft, gibt es kein eigenes zentrales Baumbudget analog zum zentralen Budget, das zum Beispiel für das Hauptradwegesystem der Stadt eingerichtet wurde. Bezahlt werden Baumpflanzungen aus den jeweiligen Bezirksbudgets. Und das kann ein limitierender Faktor für Neupflanzungen sein. Denn im Strategiepapier wird auch die "Flächenkonkurrenz von Bäumen mit anderen Funktionen und Einrichtungen im öffentlichen Raum" hervorgehoben. Im Kern heißt das: Autos versus Bäume, denn eine Baumscheibe benötigt einen Stellplatz. (Reinhilde Becker, 19.4.2018)