Gesellschaften haben das Recht, innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums ihren Sitz in einen anderen Staat zu verlegen, ohne dabei ihre Rechtspersönlichkeit zu verlieren.

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Wien – Der Europäische Gerichtshof hat eine lange Tradition darin, die Flexibilität von Unternehmen im europäischen Raum zu fördern. Insbesondere die Entscheidungen Überseering (2002), Cartesio (2008) und Vale (2012) betreffen im Kern das Recht von Gesellschaften, innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums ihren Sitz in einen anderen Staat verlegen zu dürfen, ohne dabei ihre Rechtspersönlichkeit zu verlieren.

Schon die Cartesio-Entscheidung des EuGH hat die Frage aufgeworfen, ob eine österreichische Privatstiftung unter Wahrung ihrer Rechtspersönlichkeit in ein anderes EU-Mitgliedsland "übersiedeln" kann. Dabei wäre zwar eine (Rechtsform-)Umwandlung in eine im Zuzugsstaat anerkannte Stiftungsform notwendig, die Stiftung würde aber als Rechtssubjekt erhalten bleiben, was aus vielen, unter anderem steuerlichen Gründen regelmäßig wünschenswert ist.

Steuerlicher Vorteil

Fraglich war jedoch, ob sich Privatstiftungen überhaupt auf diese Judikatur zur Niederlassungsfreiheit berufen können. Dies ist auch aus steuerlicher Sicht interessant: Viele Staaten heben im Fall des Wegzugs von Vermögen eine – oft drakonische – Wegzugssteuer ein.

Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung haben die Mitgliedsstaaten bei Gesellschaften, die der Niederlassungsfreiheit unterliegen, bei der Wegzugsbesteuerung zumindest eine Ratenzahlung oder Stundung zu ermöglichen.

Einer Gesellschaft ähnlicher

Nunmehr hat der EuGH im vergangenen Jahr (Panayi Trusts, C-646/15 vom 14. 9. 2017) klargestellt, dass ein englischer Trust in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fällt und ebendiese Aufschiebungsmöglichkeiten für die Wegzugsbesteuerung anzuwenden sind.

Wenn der EuGH davon ausgeht, dass sogar ein Trust, der viel weniger als Körperschaft organisiert ist als eine österreichische Privatstiftung, in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fällt, dann muss die von ihm ausgesprochenen Erwägung umso mehr für die Privatstiftung gelten. Denn diese entspricht in vielen wesentliche Eigenschaften mehr einer klassischen Gesellschaft als der englische Trust.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass alle Fragen für wegzugswillige Privatstiftungen geklärt sind: Das österreichische Privatstiftungsgesetz regelt, dass Privatstiftungen ihren Sitz im Inland haben müssen. Versucht nun eine österreichische Privatstiftung ihren Sitz in einen anderen Mitgliedsstaat zu verlegen, so muss gleichzeitig eine Rechtsformumwandlung stattfinden.

Hürden für den Wegzug

Folgt man den vom EuGH zu Cartesio und Vale entwickelten Vorgaben, so muss der Aufnahmestaat diese rechtsformumwandelnde Sitzverlegung jedoch nur dann anerkennen, wenn eine solche Rechtsformumwandlung nach der Rechtsordnung des aufnehmenden Staates überhaupt möglich ist. Ein solcher Wegzug wäre daher immer noch mit rechtlichen Hürden und zu klärenden Fragen verbunden.

Mit einem vermehrten Wegzug von Privatstiftungen aus Österreich ist aufgrund der EuGH-Rechtsprechung demnach (noch) nicht zu rechnen. Die Judikatur des EU-Gerichtshofs zur Niederlassungsfreiheit führt aber jedenfalls vermehrt dazu, dass in Europa ein grenzüberschreitender Wettbewerb der Rechtsformen stattfindet. (Paul Rizzi, 23.4.2018)