Ein Aspekt, der in der aktuellen Elga-Debatte zu kurz kommt: Nur dank Forschung in elektronischen Gesundheitsdaten wurden in Großbritannien problematische Zustände in Spitälern aufgedeckt.

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Öffentliche Datenbanken, darunter auch die elektronische Gesundheitsakte Elga, sollen in Zukunft einfacher für die Forschung zugänglich sein. Das hat der Ministerrat kürzlich beschlossen. Kaum abgesegnet, kam dieses Ermächtigungsgesetz letzte Woche schon unter heftigen Beschuss, sei es vom Koalitionspartner in Person von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein oder SPÖ-Gesundheitssprecherin Pamela Rendi-Wanger. Selbst die Foren dieser Welt scheinen sich einig wie selten: die Freigabe der Elga-Daten gleiche dem Hochverrat am einfachen Bürger, da könne man ja direkt seine Krankenakte an Cambridge Analytica senden. Und die Kritik zeigt Wirkung, die wöchentlichen Abmeldungen von Elga haben sich seither verdoppelt. Befürworter der Novelle können den Kritikern emotional, oft aber sogar sachlich, wenig entgegensetzen. Sie unterstreichen hauptsächlich die Notwendigkeit der "Registerforschung", besonders die Möglichkeit, einzelne Personen über einen längeren Zeitraum zu beobachten.

Was ist das denn nun, diese "Registerforschung"?

Solch nichtssagenden Begründungen sind kaum dazu geeignet, besorgte Bürger zu überzeugen. Ganz im Gegenteil. War es bisher noch nicht der Fall, fühlt man sich spätestens jetzt unangenehm an Orwells gläsernen Menschen erinnert. Dabei wäre es ein leichtes, die Registerforschung zu erklären und ihren Nutzen für die Allgemeinheit aufzuzeigen. Immerhin handelt es sich dabei um eine Praxis, die in vielen anderen europäischen Ländern wie beispielsweise England schon seit Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt wird. Im medizinischen Bereich nennt man sie dort "electronic health records research", und es handelt es sich um die statistische Auswertung von Daten, die während des regulären Arztbetriebs aufgezeichnet werden. So weit, so bekannt. Doch was versteht man denn nun unter dieser "statistischen Auswertung".

2006 deckte man in Staffordshire dank der Forschung in elektronischen Gesundheitsdaten höchst problematische Zustände im lokalen Spital auf. Schwere Vernachlässigungen in der Pflege sollen dort zu bis zu 1.200 zusätzlichen Todesfällen geführt haben. Aufmerksam wurde man darauf aufgrund der statistisch gesehen ungewöhnlich hohen Todesrate des Spitals, auch wenn die genauen Schätzungen im Nachhinein in Frage gestellt wurden. Acht Jahre zuvor wurde in Bristol ein ähnlicher Fall entdeckt: nach Herzoperationen starben dort doppelt so viele Babys wie im Rest des Landes. In beiden Fällen wurde die Patientenversorgung als Folge der Forschung verbessert. Darüber hinaus werden Elga-ähnliche Daten unter anderem dazu genutzt, klinische Richtlinien zu aktualisieren, seltene Nebenwirkungen weitverbreiteter Medikamente zu identifizieren, und um frühzeitig Diabetes und ähnliche chronische Krankheiten zu entdecken. So verschieden diese Anwendungen sind, eines haben sie alle gemeinsam: Sie retten Menschenleben.

Warum sollte auch die Industrie Zugang bekommen?

Die obigen Beispiele wurden von renommierten Forschern an den großen Universitäten des Landes entdeckt. Gewinnorientierten Unternehmen sollte dagegen mit etwas mehr Misstrauen begegnet werden, das sagt bereits der Hausverstand. Die kritische Haltung der österreichischen Bevölkerung in diesem Punkt ist also durchaus verständlich. Es muss allerdings betont werden, dass Industrie nicht gleich Versicherung, Facebook und Cambridge Analytica heißt, wie viele Kommentatoren unterstellen. Die Zauberformel lautet hier "im Interesse der Öffentlichkeit". Denn eben dieses sollte als Maß herangezogen werden.

Ein gutes Beispiel bieten hierbei pharmazeutischen Unternehmen. Während Bayer definitiv keine Daten zu Marketingzwecken erhalten sollte, steht es sehr wohl im Interesse der österreichischen Bevölkerung, dass Unternehmen wie dieses sogenannte Post-Authorization Safety Studies durchführen können. In diesen versucht man, seltene Nebenwirkungen eines Medikamentes zu identifizieren, nachdem es bereits auf dem Markt erhältlich ist. Klinische Trials, welche das Produkt vor der Markteinführung testen, sind nämlich teuer. Ein Ausschluss absolut aller potenziellen Nebenwirkungen vorab ist unmöglich. Dazu braucht es Patienten. Viele Patienten. Wie es sie eben in elektronischen Registern gibt.

Was können wir ändern?

Anstelle der momentanen, undifferenzierten Empörung bräuchte es jetzt konstruktiven gesellschaftlichen Dialog darüber, wie eine sichere und akzeptable Forschung mit Elga aussehen könnte. Internationale Erfahrung dazu gibt es reichlich. Dort sind Datenbanken keine Selbstbedienungsläden, sondern der Zugriff auf jede benötigte Information muss vorab in einem Forschungsprotokoll gerechtfertigt werden. Anstelle des genauen Geburtsdatums wird nur das Geburtsjahr ausgegeben. Und unabhängige Ethikgremien entscheiden über die gesellschaftliche Relevanz der Forschungsfrage. Ist diese nicht gegeben, wird das Ansuchen abgelehnt. Dies und mehr sollte herausgestrichen, offen kommuniziert und sachlich debattiert werden.

Doch statt die Sorgen der Bürger klar zu adressieren, geben sich die Universitäten und Politiker kryptisch. Sie erlauben damit, dass die Ärztekammer unter den Patienten Ängste schürt und ihnen gar zum Austritt aus Elga rät – sehr wahrscheinlich zum gesundheitlichen Nachteil ihrer Patienten. Wie die SPÖ scheinen sie der Meinung, die "Elga wurde im Sinne der Patientensicherheit konzipiert, nicht als Forschungsregister". Diese Aspekte lassen sich jedoch wie aus den Beispielen ersichtlich nur schwer voneinander trennen. (Patrick Rockenschaub, 19.4.2018)