Schauen Sie, wie das ist, wenn das Ganze aus den Fugen gerät!" 2015 hatte Heimo Zobernig das geometrische Raster, auf das man ihn abonniert hatte, längst gesprengt. Gekrümmte Linien kurvten über seine Leinwände, Farbe fand in freier Geste auf den Bildgrund. Trotz "spontanen" Ausdrucks hat der Künstler aber alles unter Kontrolle. Präzise und kalkuliert sind auch Zobernigs bildhauerische Konzepte, sein Spiel mit der Wahrnehmung von Raum.

Schiefer Körper auf Sockel: Heimo Zobernig bei seiner Personale 2015 in Bregenz.
Foto: Rudolf Sagmeister © Heimo Zobernig und Kunsthaus Bregenz

Dazu passt seine geradlinige Karriere, konstant immer leicht ansteigend. Schon bevor er 30 ist, kann Zobernig, der Kunst als integrativen Lebensentwurf sieht, in dem es keine echten Pausen gibt, von seiner Arbeit leben. Zweimal war er zur Documenta eingeladen (1992 und 1997), hat 2015 den Kunstolymp der Österreicher, den Pavillon der Biennale in Venedig erklommen und 2016 mit dem Roswitha-Haftmann-Preis Europas höchstdotierte Auszeichnung für Gegenwartskunst eingeheimst. Am 30. April wird der gebürtige Kärntner nun 60. Anlass für Krise oder Zäsur? Weder noch, findet Zobernig. Nächste Frage!

STANDARD: Wien sucht einen neuen Kulturstadtrat, auch der Kulturminister ist relativ neu im Amt. Was erwarten Sie sich als Künstler von deren künftiger Kunst- und Museumspolitik?

Zobernig: Dass sie für eine bessere budgetäre Ausstattung dieser Institutionen sorgen, damit sie ihrem Wissenschafts- und Bildungsauftrag nachkommen können und nicht als Wirtschaftsunternehmen agieren müssen. Die Bedingungen für deren Mitarbeiter müssen verbessert werden, es ist extrem wichtig, dass deren Arbeit mehr geschätzt wird.

STANDARD: 2015 war für Sie – nicht allein durch die Biennale in Venedig – ein unglaublich erfolgreiches, arbeitsreiches Jahr. Was verändert sich dadurch? Gönnt man sich einmal eine Pause und lehnt sich zufrieden zurück?

Zobernig: Durch die Biennale kriegt man eine viel größere Öffentlichkeit. Das ist, wie aus einem Club in ein Stadion zu gehen. Das habe ich allerdings schon so bei der Documenta erlebt.

STANDARD: Und nach einer solch intensiven Zeit gehen einem auch die Ideen nicht aus?

Zobernig: Nein, die kommen ja immer auf mich zu.

STANDARD: Welche Meilensteine warten jetzt noch darauf, von Ihnen passiert zu werden?

Zobernig: Das Moma!? Keine Ahnung, ich mag die Arbeit in meinem Atelier.

STANDARD: Was treibt Sie an?

Zobernig: Etwas zu tun zu haben. Also eigentlich treibt "es" an. Ich muss da gar nicht nachdenken. "Es" möchte tun.

STANDARD: Es?

Zobernig: Es entspringt aus einer Gestaltungslust. Man kann das als einen positiven Zwang sehen. Wir wollen doch alle etwas zu tun haben. So ergibt sich erfülltes Leben.

Foto: Foto: Archiv HZ / courtesy galerie meyer kainer, wien

STANDARD: Gibt es Momente, in denen Sie genug von der Kunst haben?

Zobernig: Ja, doch, wenn eine Produktion ins Finale geht, da gibt es viel Arbeit, viel Stress, da geht es mir wie allen anderen auch, und ich bin erschöpft. Dann suche ich wieder Langeweile und nichts, das finde ich wiederum in der Natur, in der Literatur oder in der Kunst. Ich gehe dann gerne ins Museum. Dabei erhole ich mich. Das Betrachten von Kunst inspiriert und motiviert mich.

STANDARD: Welche Künstler, Museen oder Ausstellungen sind das, die solche Wirkungen haben? Manche Maler suchen immer wieder die Velázquez-Säle im Kunsthistorischen Museum auf.

Zobernig: Das ist bei mir ganz offen. Ich spaziere gerne ganz absichtslos durch die Räume, bis ich irgendwo hängenbleibe. Das kann eine antike Skulptur, ein barockes Möbel oder ein holländisches Landschaftsbild sein.

STANDARD: In Ihrer Malerei haben Sie sich mit Fragen des Rasters, der schönen, der gekrümmten Linie und mit der großen Geste beschäftigt. Worum geht es Ihnen aktuell?

Zobernig: Das wächst weiter, also die Linien krümmen sich immer mehr, und die monochromen Flächen zerreißen. Beides zusammen ergibt ein Durcheinander von Figur und Grund.

STANDARD: Ich hatte Assoziationen mit Landschaften ...

Zobernig: Was die räumliche Illusion, erzeugt durch einen Farbverlauf, ergibt, ist nicht eigentlich perspektivisch, irgendwie wie eine Walze ...

STANDARD: Und mit den Linien stören Sie diesen Eindruck wieder?

Zobernig: Störung, Geste, Text oder Textur, dabei muss ich gegen die eigenen Manieriertheiten, die sich einstellen, arbeiten.

STANDARD: Muss man sich als Künstler immer wieder überlisten?

Zobernig: Ja, wenn Sie so wollen, aber der Zufall und die Laune kommen einem da immer wieder zu Hilfe.

STANDARD: Sie sagen, die Spontaneität der großen expressionistischen Geste existiere nicht, sondern sei Kalkül. Wie das?

Zobernig: Man kann dieser Naivität, dass es eine Unmittelbarkeit des Ausdrucks gäbe, nicht wirklich anhängen. Das ist geradezu paradox. Wir kennen ja die Werke expressionistischer Künstler, die von ihrer Jugend bis ins hohe Alter ihre Gesten immer wieder wiederholen. Aber gerade in der Wiederholung liegt der Gegenbeweis zur Unmittelbarkeit des Ausdrucks. Die basiert auf Wissen und Methode.

Foto: Archiv HZ / courtesy galerie meyer kainer, wien

STANDARD: Und das Scheitern? Gibt es den Moment, wo Sie sagen: Das war nix, die Leinwand grundiere ich neu?

Zobernig: Diese Momente gibt es, zwar selten, aber ich lasse nicht ab. Es sind dann Umwege, durch die ich zum Ende komme. Korrektur darf durchaus sein. Aber dafür muss ich zurücktreten, ablassen, damit ich in einem neuen Anlauf das ganze Bild neu denken kann. Im Misslingen liegt ja was Spannendes: mich zu fragen, woran es liegt und was ich tun muss, damit Vorstellung und Ergebnis wieder zur Deckung kommen.

STANDARD: Gegenwärtig ist jegliche Form der Malerei denkbar, gegenständlich, abstrakt, eher geometrisch oder gestisch. Ist das für Maler auch verunsichernd?

Zobernig: Für junge Künstler mag das irritierend sein, nicht zu wissen, worauf sie vertrauen sollen. Mich kümmert das wenig, das eigene Werk sagt mir, wie es weitergehen soll.

STANDARD: Wenden sich Ihre Studierenden mit solchen irritierenden Unsicherheiten an Sie?

Zobernig: Selbstverständlich. Ich sage ihnen, dass man das Nichtwissen zulassen darf. Nicht zu entscheiden geht auch.

STANDARD: Was ist Ihnen in Ihrer Lehre wichtig?

Zobernig: Gemeinsam zu versuchen zu verstehen, was die Studierenden machen, damit ich mögliche Hinweise zur Entwicklung ihrer Arbeit geben kann.

STANDARD: Seit dem Jahr 2000 unterrichten Sie an der Akademie. Ist das ein Job, mit dem man in Pension geht?

Zobernig: Pension? Irgendwann ist Schluss. Ich denke, dass es Zeit ist, daran zu denken. Manchmal vergesse ich, dass Lehre auch Wiederholung bedeutet. Die Annahme, dass das eigene Wissen möglicherweise eh im Gegenüber existiert, ist natürlich ein Irrtum. Aber in der Wiederholung liegt jetzt nicht der Reiz des Unterrichtens.

STANDARD: Was steht als nächstes Projekt an?

Zobernig: Als nächstes? Weitermachen! (Anne Katrin Feßler, 20.4.2018)