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Eine Textilfabrik in Savar nahe Dhaka, wie es sie in Bangladesch zu Tausenden gibt und in denen geschätzt 3,5 Millionen Menschen arbeiten. Trotz zahlreicher Inspektionen kommt es zu Zwischenfällen.

Foto: AP / A. M. Ahad

Vier Tage lang war Rubina Begum unter Trümmern begraben. Unter einer Maschine eingeklemmt, umgab sie ein "Geruch des Todes", wie sie der Thomson Reuters Foundation dieser Tage erzählt hat. Sie betete, noch einmal ihre Mutter sehen zu dürfen. Und die Rettung kam. Nun aber, fünf Jahre später, gibt es Tage, da wünscht sich die 35-Jährige, in der Ruine des Rana Plaza gestorben zu sein.

Rana Plaza ist zum Synonym geworden für eine globale Textilindustrie, die in Billiglohnländern Arbeitskräfte ausbeutet. Zum Synonym für katastrophale und mitunter tödliche Arbeitsbedingungen. Als am 24. April 2013 das achtstöckige Gebäude nahe Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, einstürzte, befanden sich – neben anderen Menschen – mehr als 3.000 Textilarbeiter darin. Sie wurden von den Fabrikbetreibern zur Arbeit gezwungen, obwohl einen Tag zuvor Risse am Gebäude festgestellt worden waren. Mehr als 1.100 Menschen starben, fast 2.500 wurden verletzt. Die Weltöffentlichkeit blickte auf das Land, das nach China der zweitgrößte Textilhersteller der Welt ist. Und es wurde reagiert.

Lohnerhöhung

"Es gab neue Gesetze und Initiativen. Vieles hat sich rasch gebessert", sagt Christie Miedema von Clean Clothes Campaign (CCC), einer NGO, die sich für Arbeiter in der Textilindustrie einsetzt. Zahlreiche Gewerkschaften wurden gegründet, auch ist kurz nach der Katastrophe der Mindestlohn in der Branche von 3.000 auf 5.000 bangladeschische Taka erhöht worden, rund 48 Euro. "Es musste die Denkweise im Land geändert werden, dass Sicherheit keine Last ist, sondern eine Investition", erklärt Anne-Laure Henry-Gréard vom Büro der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Bangladesch.

Über 200 Marken, darunter H&M, Mango, Esprit und Benetton, einigten sich im Mai 2013 mit Gewerkschaften auf den Bangladesh Accord, ein rechtlich bindendes Abkommen, um die Sicherheit in jenen Fabriken zu verbessern, die für die betreffenden Marken Kleidung herstellen. Das betrifft etwas mehr als 2.000 der geschätzt 4.000 bis 5.000 Textilfabriken im Land, sagt Joris Oldenziel, stellvertretender Direktor des Bangladesh Accord, für dessen Umsetzung ein von Textilunternehmen finanziertes 200-köpfiges Expertenteam arbeitet.

Einsturzgefahr bei 50 Fabriken

"Wir haben bei unseren Inspektionen mehr als 150.000 Sicherheitsprobleme identifiziert. Davon wurden 84 Prozent gelöst", erklärt der Niederländer. Vorwiegend ging es um blockierte Fluchtwege oder elektrische Risiken, die schon oft zu Bränden geführt haben. "Mehr als 50 Fabriken mussten 2014 evakuiert werden, weil die Gefahr eines Zusammenbruchs bestand", ergänzt Oldenziel. Mittlerweile seien sie alle saniert. Außerdem wurde in jeder Fabrik ein Sicherheitskomitee mit Vertretern aus Arbeitern und Management installiert, um Beschwerden nachzugehen. Hier, so Oldenziel, sei das Ziel eine "Kultur der Zusammenarbeit", in der beide Seiten einander vertrauen. Doch das sei nichts, was über Nacht geschehe. Das benötige Zeit.

Bittet man die Textilmarken um Statements über ihre Bemühungen in Bangladesch, verweisen sie alle auf den Accord oder die Alliance for Bangladesh Worker Safety, in der vorwiegend nordamerikanische Marken vertreten sind. Und das zu Recht. "Besucht man eine Fabrik, hat sich die Sicherheit sehr verbessert", sagt Humaira Aziz von der NGO Care, die sich in Bangladesch für gerechte Arbeitsbedingungen und die Stärkung von Frauen einsetzt.

Bangladesh Accord läuft aus

Doch damit ist nicht alles gut im Staate Bangladesch. Offen ist etwa, wie es in jenen Fabriken aussieht, die nicht von den Initiativen überprüft werden. Die Behörden haben nicht die Infrastruktur, um sich darum zu kümmern. Das zeigt sich am Beispiel des Bangladesh Accord. Der läuft nämlich im Mai nach fünf Jahren ab. Im vergangenen Oktober wurde ein Folgeabkommen beschlossen, der Transition Accord. Vereinbart wurde, so Joris Oldenziel, "dass wir unsere Arbeit fortsetzen, bis die Regierung sie übernehmen kann". Das sei aktuell nicht der Fall, es fehle an Inspektoren, an Sanktionsmechanismen, an Transparenz. Dabei "läge diese Verantwortung beim Staat", so Christie Miedema von CCC. Allerdings, betont sie, bleiben auch die Textilunternehmen für die Sicherheit in ihrer Lieferkette verantwortlich.

Doch es gib noch andere Probleme, fernab der Sicherheit. Eines davon hat mit Rubina Begum zu tun, der Verletzten des Rana Plaza. Ad hoc gab es für die Opfer der Katastrophe Kompensationszahlungen und Trainingsprogramme. "Das meiste habe ich für die Behandlung meiner Verletzungen gebraucht. Jetzt habe ich keinen Job und kein Einkommen mehr", klagt sie. Bangladesch, moniert Miedema, sei eines der wenigen Länder, in denen Betroffene von Berufsunfällen nicht sozial abgesichert seien.

Das führt zum nächsten Streitpunkt, dem der Gehälter. Der Mindestlohn blieb seit der Erhöhung 2013 unverändert, viele Textilarbeiter kommen mit ihrem Gehalt nicht aus. Im Dezember 2016 gingen deshalb tausende Textilarbeiter in Bangladesch für höhere Löhne auf die Straßen. Die Folge: Mindestens 1.500 Arbeiter wurden entlassen und führende Gewerkschafter festgenommen. Zuletzt, klagt Miedema, "haben die Repressionen gegen Gewerkschaften wieder zugenommen". Dahinter steckt das grundlegende Problem in Bangladesch, dass die Textilindustrie ein bedeutender Wirtschaftsfaktor ist. Fast 80 Prozent der Exporte des Landes kommen aus dieser Branche. Das will man sich nicht kaputtmachen, indem man den Arbeitern mehr Rechte oder Gehalt einräumt.

Internationale Abkommen gefordert

Das betrifft aber nicht nur Bangladesch, weshalb Christie Miedema einen grundlegenden Wandel in der internationalen Textilindustrie fordert. "Die Vergangenheit hat gezeigt, dass freiwillige Abkommen nichts bringen. Es müssen nun verbindliche Vereinbarungen getroffen werden, damit die Textilfirmen besser auf ihre Lieferkette schauen." Dabei erhofft sie sich mehr Engagement von der Europäischen Union, dem größten Handelspartner Bangladeschs.

Bis diesbezüglich etwas passiert, müssen sich die Textilarbeiterinnen in Bangladesch noch um etwas anderes sorgen. "Es ist noch viel zu tun, bis sie in der Arbeit nicht mehr belästigt werden", sagt Humaira Aziz von Care, "bis sie von männlichen Kollegen mit Respekt und Würde behandelt werden." Deshalb engagiert sie sich auch dafür, dass in Fabriken Anlaufstellen für Opfer sexueller Belästigung eingerichtet werden. Denn viele der Frauen, so Aziz, hätten kaum eine Ausbildung genossen. "Sie wissen gar nicht, dass sie Rechte haben." (Kim Son Hoang, 23.4.2018)