Wien – Der fehlende Datenschutz bei Facebook sorgt derzeit weltweit für Schlagzeilen. Facebook ließ zu, dass Daten von fast 90 Millionen seiner Nutzer mit dem britischen Datenanalyseunternehmen Cambridge Analytica geteilt wurden – ohne dass die meisten Nutzer davon wussten. Missbraucht Facebook mit seinen über zwei Milliarden Nutzern seine Marktmacht, indem der Konzern auf Datenschutz pfeift? Diese Frage stand im Zentrum des Interesses beim Gespräch mit dem deutschen Ökonomen Justus Haucap, einem der führenden Spezialisten für Wettbewerb und Monopole.

STANDARD: Ist Facebook ein Monopolist?

Haucap: Das hängt davon ab, welchen Markt wir ansehen. Facebook verdient sein Geld mit Werbung. Im Werbemarkt ist das Unternehmen sicher kein Monopolist. Da gibt es viele Mitbewerber, insbesondere Google. Wer Werbung schalten will, findet Alternativen. Die andere Frage betrifft, welche Stellung Facebook bei seinen Nutzern hat. Hier hat das Unternehmen eine dominante Position. Ob es sich um einen Monopolisten handelt, hängt davon ab, inwieweit Menschen bereit und in der Lage sind, die Dienste Facebooks gegen die eines alternativen Anbieters auszutauschen. Diese anderen Anbieter gibt es, Linkedin oder Xing. Sie alle haben nicht die Bedeutung Facebooks. Da Facebook von den Nutzern keine Gebühren erhebt, ist die Antwort auf die Frage nicht einfach.

STANDARD: Wettbewerbshüter können eingreifen, wenn ein Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung missbraucht. Ist es im Fall Facebooks nicht Zeit dafür?

Haucap: Momentan findet in Deutschland ein wichtiges Verfahren dazu statt: Das Bundeskartellamt untersucht die Frage, ob Facebook seine Nutzer ausbeutet, indem es zu viele Daten von ihnen erhebt und kombiniert. Ob das ein Missbrauch ist, hängt von mehreren Faktoren ab. Verboten ist der Ausbeutungsmissbrauch. In klassischen Branchen ist das einfach festzustellen: Wenn ein Gas- oder Wasserversorger deutlich höhere Preise verlangt als alle anderen am Markt und enorme Gewinne einstreicht, wird man zum Schluss kommen, dass das Missbrauch einer Marktmacht ist. Aber wie will man das bei Facebook feststellen? Das ist ungemein schwieriger.

Bild nicht mehr verfügbar.

Protestaktion gegen Facebook in Washington.
Foto: Reuters

STANDARD: Warum?

Haucap: Zunächst: Mit wem will ich Facebook vergleichen? Bei Gas- und Wasserversorgern ist das klar, da greift man auf andere Unternehmen aus der Branche zurück. Aber Facebook unterscheidet sich in seiner Ausgestaltung doch sehr stark von anderen sozialen Netzwerken. Wenn ich andere Internetunternehmen analysiere, die ihre Dienste Verbrauchern anbieten, wird man zudem feststellen, dass diese anderen Unternehmen sich häufig auch nicht viel besser verhalten als Facebook, was den Datenschutz betrifft. Es ist also gar nicht außergewöhnlich, was Facebook da macht. Aber damit ist es nicht mehr so einfach zu sagen: Facebook missbraucht seine Marktmacht.

STANDARD: Die Nutzer bezahlen bei Facebook mit ihren Daten. Die Frage ist, ob der Preis angemessen ist.

Haucap: Anders als bei Gas- und Wasserversorgern macht es keinen Sinn, Kosten und Preise in Verbindung zu setzen. Wir sagen zwar immer, dass die Menschen bei Facebook mit ihren Daten bezahlen. Aber in der Praxis ist gar nicht so leicht zu messen, was diese Daten wert sind. Wenn ein Nutzer nie auf eine Facebook-Werbung klickt, sind seine Daten fast gar nichts wert, weil Facebook nur mit dem Klick Geld verdient. Diese Nutzer sind aus der Sicht Facebooks nur interessant, weil die Hoffnung besteht, dass die Leute ihre Freunde auf Facebook holen und diese dann wenigstens auf die Werbung klicken. Daten von Nutzern, die oft klicken, sind hingegen immens wertvoll für das Unternehmen.

STANDARD: Gäbe es eine Alternative zu Facebook, bei der Datenschutz besser gewährleistet wäre, würden Menschen wohl auf diese Plattformen wechseln. Die gibt es nicht, und darum tut sich der Konzern leicht.

Haucap: Aus der Forschung ist ein Phänomen bekannt, das sich "privacy paradox" nennt: Fast jeder sagt, Datenschutz und Privatsphäre seien extrem wichtige Werte. Sofern es dann um konkrete Interaktionen geht, sind gut 80 Prozent der Menschen nicht bereit, auch nur kleinste Anstrengungen zu unternehmen, um ihre Daten zu schützen. Anders ausgedrückt: Wenn die User auch nur eine kleine Karotte vor die Nase gehalten bekommen, geben sie bereitwillig alle möglichen Daten heraus. Dann stellt sich aber schon die Frage, ob man Facebooks Verhalten als Ausbeutung qualifizieren kann, wenn sich die Menschen doch selbst nicht darum kümmern.

Bild nicht mehr verfügbar.

Mark Zuckerberg bei seiner Anhörung vor dem US-Kongress zu Facebooks Umgang mit Datenschutz.
Foto: Reuters

STANDARD: Eine Idee ist, Facebook zu zerschlagen. Wie sehen Sie das?

Haucap: Das ist ein Versuch, die Instrumentarien aus der Welt vor dem Internetzeitalter wiederzubeleben. Ich bin mir nicht sicher, ob das sinnvoll ist. Sagen wir einmal, wir würden Facebook aufspalten. Was genau soll das heißen? Mein halber Freundeskreis wird woandershin verlagert, und ich darf mich dann nicht mehr mit ihnen online verknüpfen? Das wird nicht funktionieren. Die Menschen wollen nicht mit der halben, sondern mit der ganzen Welt verknüpft sein, genau das sind die sozialen Netzwerkeffekte. Oder die Alternative lautet, dass man Facebook vorschreibt, keine Werbung mehr zu schalten: Das Werbegeschäft wird also vom Rest abgespaltet. Das wird auch nicht funktionieren. Facebook verdient sein Geld mit Werbung und mit sonst gar nichts. Wenn ich das Werbegeschäft abspalte, ist Facebook tot.

STANDARD: Und wenn man Facebook zu einem öffentlichen Monopol erklärt, zum Teil der Daseinsvorsorge macht, so wie einen Wasserversorger?

Haucap: Die klassische Idee hinter der Daseinsvorsorge ist die Befürchtung, dass manche Dienste für manche Nutzer nicht mehr erschwinglich sind. Der Staat greift ein, um zu verhindern, dass einige Haushalte sich den Anschluss ans Strom- oder Telefonnetz nicht leisten können. Dieses Problem gibt es bei Facebook nicht, weil der normale Nutzer ja nichts bezahlt. Es ist keine Frage von arm und reich, ob man sich Facebook leisten kann.

STANDARD: Sehen Sie also gar keinen Handlungsbedarf?

Haucap: Ich wäre relativ entspannt. Dass Facebook wirklich zur Daseinsvorsorge gehört, dass also das Leben ohne dieses soziale Netzwerk ein menschenunwürdiges Leben ist, würde ich doch sehr bezweifeln. Die aktuelle Situation, in der viele Menschen unbedarft mit ihren Daten um sich schmeißen, wird sich nicht ewig halten. Menschen lernen dazu, werden sensibler, das ist zumindest die Hoffnung auch aus diesen Datenskandalen. Menschen werden künftig immer mehr Gewicht darauf legen, was mit ihren Daten passiert. Damit wird auch ein Ansporn für potenzielle Mitbewerber von Facebook entstehen zu sagen: Ich gehe auf den Markt und biete einen besseren Datenschutz an als Facebook.

Auf Wettbewerb und Monopole spezialisiert: der Ökonom Justus Haucap.
Foto: APA

STANDARD: Die EU hat Jahre damit zugebracht, staatliche Monopole zurückzudrängen. Und jetzt kommt Facebook als privater Monopolist. Ist das nicht ironisch?

Haucap: Durchaus. Aber die Menschen wollen dort hingehen, wo alle anderen sind. Die Monopolbildung in sozialen Netzwerken im Internet ist fast etwas Natürliches. Die Gefahr entsteht, wenn Platzhirsche beginnen, sich weniger freundlich gegenüber Nutzern zu verhalten, wenn sie die Marktmacht erobert haben. Diese Gefahr ist in der digitalen Wirtschaft vielleicht sogar drängender als in der traditionellen Wirtschaft gegeben.

STANDARD: Die Frage ist, wie sich das verhindern lässt.

Haucap: Zum einen ist eine gute Antwort darauf, es Menschen möglichst einfach zu machen, ihre Daten woanders hinzutragen. Dies ist in der EU-Datenschutzgrundverordnung so angelegt, die im Mai in Kraft treten wird. Für Airbnb- oder Ebay-Anbieter soll es möglich sein, die eigene, hart erarbeitete gute Reputation auf eine andere Onlineplattform mitzunehmen. Bei Facebook ist das schwieriger, weil es hier nicht Bewertungen gibt wie bei Airbnb. Aber wenn man erlaubt, dass Menschen ihre Historie, ihre Fotos, ihre Witze mitnehmen können, reduziert man Abhängigkeiten. Die einfache Portierung der Daten ist daher das Thema der Zukunft. Nutzern darf es nicht erschwert werden, sich auf zwei Plattformen verschiedener Anbieter zeitgleich zu bewegen. Zum anderen sollten wir darüber nachdenken, die kartellrechtlichen Eingriffsschwellen zu senken, sodass Behörden nicht erst eingreifen können, wenn ein Konzern den Markt schon beherrscht. Besonders wenn Marktmacht zusammenfällt mit der Macht, Nutzer zu manipulieren, also Informationsprobleme bestehen, kann ein neuer Handlungsbedarf entstehen.

Nach einer Reihe von Skandalen will es Facebook Nutzerinnen und Nutzern leichter machen, ihre Privatsphäre-Einstellungen zu überprüfen.
DER STANDARD

STANDARD: In den vergangenen Monaten wurden von der EU-Kommission einige spektakuläre Geldstrafen gegen US-Plattformen wie Facebook und Google wegen Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht verhängt. Tut sich die EU hier leichter, hart zu sein, weil es US-Unternehmen betrifft?

Haucap: Da ist wahrscheinlich etwas dran. Zum einen sind heute alle großen Internetplattformen aus den USA. Wenn man hier aktiv wird, trifft es also immer US-Konzerne. Zum anderen tut sich die EU-Kommission sicher leichter, gegen US-Unternehmen vorzugehen, als wenn es sich zum Beispiel um lauter französische Konzerne handeln würde. Die EU-Kommission ist eine politische Behörde, das sind ja nicht reine Kartellwächter. Die Kommission forciert diese Strafen sicher nicht, weil es US-Unternehmen sind – aber es dürfte ihr deshalb deutlich leichter fallen, es zu tun. (András Szigetvari, 23.4.2018)