"Wir schauen viel zu viel zurück und zu wenig nach vorne. Das derzeitige Kreativmodell – ich sage mal einfach Artdirektor und Texter – ist ein massives Auslaufmodell": Guido Heffels, Geschäftsführer von Heimat Berlin.

Foto: Heimat/David Fischer

STANDARD: Sie sitzen dieses Jahr der CCA-Jury vor. Was erwarten Sie sich von den Juroren?

Heffels: Absolute Fairness gegenüber den eingereichten Arbeiten. Die Juroren müssen sie losgelöst von Menschen, die man kennt, betrachten und sich fragen: Hat die Kampagne eine Relevanz, ist sie beispielhaft für unsere Branche? Auch damit solche Veranstaltungen eine Werbeveranstaltung für die gesamte Branche sind. Kunden sollen merken, dass der CCA kein Kunstverein ist, sondern dass die Konsequenz der Markenführung im Mittelpunkt steht.

STANDARD: Wann ist eine Arbeit relevant?

Heffels: Wenn sie nur für fünf Leute gebastelt wurden, in ihrer Größe also zu klein ist, dann muss man aufpassen, dass das Ganze nicht zu einer Art Selbstbefriedigung wird.

STANDARD: Worin unterscheidet sich Werbung in Österreich gegenüber Werbung in anderen Ländern?

Heffels: Die österreichische Werbung hat einen sehr starken Bezug zum Land, sowohl in der Wortwahl als auch in der Idee. Das finde ich gut. In Werbepreis-Jurys gibt es den Begriff "Werbung auf internationalem Niveau". Aber wenn Werbung international funktionieren soll, dann ist das – ich sage das mal ganz gemein – Werbung auf Sonderschulniveau. Dann stehen Dinge wie "Dieser Wagen fährt schneller" oder "Dieses Waschmittel wäscht weißer" im Fokus. Wenn wir Werbung auf nationaler Ebene beurteilen, dürfen wir den kulturellen Kontext nicht außer Acht lassen.

STANDARD: Vergangenes Jahr gewann mit "Frau Getrude" eine politische Kampagne den CCA-Grand-Prix. Sie waren gerade mit der FDP-Kampagne bei den ADC-Awards in Deutschland erfolgreich. Kann man mit Kampagnen Wahlen gewinnen?

Heffels: Nein. Wenn man ein gutes Produkt hat – und hier ist politische Werbung nicht anders als Werbung für ein klassisches Produkt –, kann man genau das, also Werte und Sichtweisen, nach draußen bestmöglich inszenieren. Aber man kann keine gute Werbung für ein schlechtes Produkt machen.

STANDARD: Werbung für eine Partei unterscheidet sich also nicht von einer Produktwerbung?

Heffels: Nein. Aber wenn man für eine politische Partei Werbung macht, die für Aufsehen sorgt, dann schaut eine ganze Nation dorthin. Wenn hier etwas Auffälliges entsteht, dann merken das die Leute, debattieren darüber. Und das soll ja generell das Ziel von Werbung sein: Arbeiten zu entwickeln, die keinem egal sind.

STANDARD: Große Unternehmen wie zum Beispiel Procter & Gamble überprüfen gerade ihr Werbebudget. Agenturen kritisieren, es gehe oft mehr um effizienten Mediaeinsatz denn um die kreative Idee.

Heffels: Wenn die Budgets kleiner werden, dann müssen wir umso mehr in Kreativität investieren. Das eine schließt ja das andere nicht aus. Die besten Romane der Weltliteratur sind von Menschen geschrieben worden, die viele Jahre im Gefängnis waren. Wenn man den Freiraum einengt, dann passiert etwas. Die generelle Frage ist: Wie sehen unsere Maßnahmen aus, wohlwissend, dass wir viele Menschen nicht mehr über klassische Kanäle erreichen können. Wir müssen unseren Berufsstand neu definieren. In fünf bis zehn Jahren wird es die klassische Agentur nicht mehr geben.

STANDARD: Viele Agenturen sind aber nach wie vor nach den alten Mustern aufgestellt. Ist die Bereitschaft für Veränderung da?

Heffels: Wer diese Bereitschaft nicht mitbringt, ist in dieser Branche nicht mehr zu gebrauchen. Die große Gefahr derzeit ist, in unserer eigenen Sentimentalität zu ersticken. Wir schauen viel zu viel zurück und zu wenig nach vorne. Das derzeitige Kreativmodell – ich sage mal einfach Artdirektor und Texter – ist ein massives Auslaufmodell. Wir müssen anfangen, in anderen Konstellationen zu denken, redaktioneller zusammenarbeiten, Kollaboration auch mit anderen Agenturen suchen. Die Zukunft unseres Standes wird eine völlig andere Struktur haben.

STANDARD: Apropos Zusammenarbeit: Kreative beklagen, dass Agenturen oft nur mehr als Lieferanten gesehen werden, die Auftraggeber ihnen nicht auf Augenhöhe begegnen.

Heffels: Eine Agentur, eine Kampagne ist immer nur so gut wie ihr Auftraggeber. Ich will keinen Kunden, die nur ein paar Stücke Werbung bestellt, sondern einen, der mit der Agentur mit all den kreativen Köpfen in einen Dialog kommen will. Hier ist Hornbach natürlich für mich das beste Beispiel. Ich habe nie das Gefühl gehabt, für diese Marke, sondern mit dieser Marke zu arbeiten. Man muss auch akzeptieren, dass zum Beispiel eine Idee nicht nur von der Agentur, sondern auch vom Kunden kommen kann. Es geht darum, dass man Ideen erkennt.

STANDARD: Der CCA will ja auch die besten kreativen Ideen auszeichnen. Was bringen Werbepreise? Welche sind wichtig?

Heffels: Der beste Preis ist der, den man sich selbst gibt, wenn man überzeugt und stolz auf eine Arbeit ist. Wenn dann diese Arbeit bei Festivals gewinnt, ist das ein netter Nebeneffekt. Für mich sind nationale Werbepreise – ob CCA in Österreich oder ADC in Deutschland – wichtig. Weil man Dinge aus dem Land betrachtet, in dem sie auch stattgefunden haben. Internationale Preise, auch Cannes-Löwen, können diese Relevanz nicht abbilden.

STANDARD: Facebook und Datenskandal: Wie sollte die Werbebranche damit umgehen?

Heffels: Facebook ist ein wahnsinnig wichtiger Kanal geworden – wenn auch mit seltsamen Regeln, wie Kommunikation dort stattfinden muss. Die Leute sind ja schlau, sie wissen, warum welche Werbung jetzt gerade an sie ausgespielt wird. Früher hat man gnadenlos bei jedem Gewinnspiel in Geschäften alle Daten eingetragen und selbst noch eine Briefmarke draufgeklebt. Da hat sich nie einer Gedanken gemacht. Heute geht dieses Datengespenst um. Aber vielleicht muss man einfach mal wohlwollend akzeptieren, dass mir Facebook wegen dieser Daten nicht jeden Quatsch zeigt, sondern jene Dinge, zu denen ich offenbar eine gewisse Affinität habe. (Astrid Ebenführer, 25.4.2018)