Die Slowakei ist ein wichtiger Autoproduzent. Auch österreichische Firmen liefern Komponenten.

Foto: Kia

STANDARD: Österreichs Industrie ist mit einem Wertschöpfungsanteil von gut einem Viertel am BIP stabil. Wie wichtig ist der Sektor für eine Volkswirtschaft?

Stöllinger: Derzeit ist es ein großes Thema, inwieweit es ein Problem ist, wenn manche Länder keinen großen industriellen Sektor mehr haben. Italien hat 20 Prozent oder mehr seines Industriesektors verloren. In Frankreich liegt der Anteil der industriellen Verarbeitung am BIP bei rund zehn Prozent. Ich halte Industrie für ein wichtiges Kernelement. In Österreich sind wir noch recht gut aufgestellt.

STANDARD: Es heißt, Industrie bringt Wohlstand hervor. Woran bemisst sich das? An geschaffenen Jobs?

Stöllinger: Nicht nur an der Beschäftigung, sondern eher an den Produktivitätszahlen. Wir sehen in der Industrie aber nicht nur eine höhere Produktivität als im Dienstleistungssektor. Besonders wichtig ist, dass der Großteil der Innovationen in der Industrie geschaffen werden. Produktivitätssteigernd kommen diese dann aber auch in anderen Unternehmen zum Einsatz.

STANDARD: Jedes größere Vorhaben – wie etwa die dritte Piste – ruft bei Anrainer- und Umweltschutzorganisationen hierzulande mächtig Widerstand hervor. Braucht die Industrie mehr Unterstützung?

Stöllinger: Wir haben keine Extremsituation. Einzelne Entscheidungen sorgen zwar für Aufregung, aber ich gehöre nicht zu jenen, die glauben, dass unser Standort abgesandelt ist oder es nicht mehr möglich ist, hier einen Industriebetrieb auf die Beine zu stellen. Wir sind nicht China, wo man einfach alles machen kann.

STANDARD: Bei diversen Standort-Rankings schneiden wir aber regelmäßig bestenfalls mittelmäßig ab.

Stöllinger: Als Unternehmen wünscht man sich immer mehr. Die Industrie wird ohnehin durch die verschiedenen Innovationsförderungen unterstützt, die stark ausgebaut wurden. Wir haben ein ausgezeichnetes Exportfördersystem. Eine der Stärken ist auch das duale Ausbildungssystem.

STANDARD: Alles paletti also?

Stöllinger: Zu verbessern gibt es immer etwas. Man sollte etwa bei all den Fördermaßnahmen auch an die Evaluierung denken. Das ist eine staubtrockene Sache, kein Minister kann sich mit einer Evaluierungsoffensive etwas auf die Fahne heften. Aber das braucht es.

STANDARD: Österreich ist eines der Länder, die am stärksten von der Osterweiterung profitiert haben. Inwiefern gilt das für die Industrie?

Stöllinger: In der Globalisierung ist die Wertschöpfungskette aufgesplittet worden und die Produktion ein und desselben Produkts findet in Kooperation in verschiedenen Ländern statt. Wir haben sehr viel in der Endfertigung in die Visegrád-Staaten, aber auch nach Rumänien ausgelagert, weil dort die Löhne niedriger sind. Die Technologieführerschaft liegt weiterhin in Deutschland und mittlerweile auch in Österreich. Profitabel ist es dadurch geworden, dass wir noch immer sehr hohe Lohnunterschiede zwischen verschiedenen Ländern sehen.

STANDARD: Auch Länder wie die Slowakei wollen nicht mehr Werkbank sein. Wann werden sie uns überholen?

Stöllinger: Es kommt darauf an, ob diese Länder es schaffen, ein qualitatives, nationales Innovationssystem zu entwickeln. So wie wir das in Deutschland und mittlerweile auch bei uns sehen. Wo viele Spieler wie Universitäten, Forschungseinrichtungen, die Unternehmen selbst, aber auch der Staat zusammenwirken und eine geeignete Forschungslandschaft kreieren. Wo dann aus Erfindungen auch Innovationen werden, die schließlich zu marktreifen Produkten führen. Das sehen wir in diesen Ländern noch sehr wenig. Die Slowakei ist dafür ein sehr gutes Beispiel.

STANDARD: Sie beschreiben Deutschland und Österreich gemeinsam mit den genannten Ländern Ost- und Mitteleuropas als Teil einer industriellen Kernzone. Wie wird sie sich weiterentwickeln?

Stöllinger: Bulgarien, Serbien und bis zu einem gewissen Grad Rumänien sind in der Warteschlange. Bulgarien führt eine Diskussion, ob sie zu spät dran sind und die besten Plätze in den Wertschöpfungsketten besetzen oder ob sie vorrücken, wenn die Löhne in den Visegrád-Staaten steigen. (Regina Bruckner, 24.4.2018)