Schon möglich, dass ein paar regelmäßige Leserinnen und Leser dieses Blogs jetzt ein bisserl enttäuscht sein werden. Schließlich gehört es hier ja zum "guten Ton", dass auch ein Bericht über den Vienna City Marathon kommt.

Nur: Sorry guys, no VCM this year. Nicht weil es da nichts zu erzählen oder zu kritisieren gäbe. Nicht weil sich an meiner Einstellung zu "meinem" Heimmarathon irgendetwas geändert hatte: Sowohl die Kritikpunkte an Organisation, Zahlenspielereien, Startblock(nicht)einteilung, Behandlung der Jedermannläuferinnen und -läufer und Pastaparty-Nepp sind unverändert als auch die grundsätzliche Freude darüber, dass es in dieser Stadt einen Lauf über eine derartig schöne Strecke überhaupt gibt.

Foto: APA/AFP/JOE KLAMAR

Wer will, kann das ja in den VCM-Berichten der vergangenen Jahre nachlesen – inklusive der Erzählungen über das Laufen durch die Stadt. Egal ob über die Halb- oder Volldistanz und mit allen Details. Ich weiß, wie sich dieser Lauf anfühlt, auch wenn ich ihn noch nie bei so einer Hitze gelaufen bin wie heuer: Ich neige mein Haupt in Hochachtung vor jedem und jeder, die hier (egal in welchem Bewerb) angetreten sind. Egal ob sie "gefinisht" haben oder aus Hitze- oder anderen Gründen vorzeitig das Rennen verließen.

Aber: Ich war im Gegensatz zu mehreren Staffeln, Halb- und Volldistanzläuferinnen und -läufern des STANDARD nicht dabei-, sondern ganz woanders.

Foto: APA/AFP/JOE KLAMAR

Genauer: in Cesenatico. Cesenatico liegt in der Nähe von Rimini und Cesena, etwa zwei Autostunden von Bologna entfernt, am Mittelmeer, und ist in der Hauptsaison einer jener Orte, an die mich keine zehn Pferde bekämen.

Jetzt in der Nebensaison aber ist es ein Traum – zum Trainieren. Genau deshalb war ich (genauer: bin ich noch bis Sonntag) hier auf Trainingslager mit meinen Freunden und Vereinskollegen vom Team Ausdauercoach.

Foto: thomas rottenberg

Dass es da nicht nur ums Laufen geht, ist wohl keine Überraschung: Die 20 Nasen, die mit Harald Fritz für eine Woche hierher gekommen sind, sind durch die Bank Triathleten. Nicht zwingend über die Volldistanz, eher nicht mit dem Ehrgeiz, Spitzenplätze (ob im Elitefeld oder in der jeweiligen Altersgruppe) zu erringen, aber eben doch mit der Zielsetzung, neben dem Spaß an der eigenen Performance auch das Optimum aus dem herauszuholen, was im Rahmen der individuellen Möglichkeiten eben drin ist.

Ehrgeizig, aber nicht verbissen-verkrampft. Ganz abgesehen davon, dass ein bisserl "Vitamin Sea" auch ganz nett ist. (Nur um der ebenso unvermeidlichen wie berechtigten Frage zuvorzukommen: Ich bin ganz normaler und zahlender Teilnehmer.)

Foto: thomas rottenberg

Triathlon ist ein bisserl wie der VCM: Bei dem glaubt ja auch jeder, dass alle 42.000, die da mitmachen, "echte" Marathonis sind, obwohl heuer nur rund 5.500 Menschen in Wien die Volldistanz liefen (und es sonst auch selten mehr als 6.500 sind). Sagt man "Ich mache Triathlon", fallen gut zwei Drittel des Publikums vor Ehrfurcht fast in Ohnmacht und sagen "Wahnsinn, ich könnte das nie". Aus einem einfache Grund: Man denkt da automatisch an die Volldistanz.

Also 3,9 Kilometer schwimmen, 180 am Rad und dann noch einen Marathon dran. Als Nächstes wird der Spaß dann mit Hawaii assoziiert – und dass Ironman kein Sport, sondern eine Marke ist, wird dann vor lauter Respekt ebenso rasch übersehen wie der Umstand, dass es neben der Halb- und Sprintdistanz auch noch eine olympische oder Supersprintdistanzen gibt.

Foto: thomas rottenberg

Auf Deutsch: "Ich bin Triathlet" oder "Ich trainiere für einen Triathlon" bedeutet lediglich, dass man sich auf die Kombination von Schwimmen, Radfahren und Laufen einstimmt – sagt aber nichts über die angepeilten Distanzen aus. Und schon gar nicht über die Zeit, die man dafür brauchen will oder wird. Freilich, ganz so locker wie einer meiner Nachbarn es bis vor kurzem glaubte ("Ich hab immer gedacht, da machst du jede Disziplin an einem anderen Tag, und da hab ich dich schon für verrückt gehalten"), ist es auch nicht.

Es ist auch nicht so, dass der aktuelle Tri-Hype daher rührt, dass es Millionen von Hobbysportlern gibt, die miese Schwimmer, inferiore Radfahrer und schlechte Läufer sind, sich aber der Kritik dadurch entziehen wollen, dass sie die drei Disziplinen kombinieren: Versuchen Sie es einfach. Fahren Sie zwei Stunden Rad – und dann (gern auch nach 30 Minuten Pause) laufen Sie 45 Minuten. Und hören Sie ihren Beinen während der ersten zehn Minuten gut zu. Vielleicht macht es Ihnen ja sogar Spaß. Dann: Welcome to the club.

Foto: thomas rottenberg

Mich hat es genauso zum Dreikampf verschlagen: Viel schneller oder besser werde ich beim Laufen nicht mehr werden. Das ist zum einen meinem Talent, zum anderen meiner Vorgeschichte und natürlich auch dem Alter geschuldet.

Und auch wenn mich Langstreckenläufe und Traillaufen immer noch extrem reizen, tauchte dann irgendwann die Frage auf, wie man dem Reiz da etwas Neues, Anderes beimengen könnte.

Radfahren kann ich – so wie jeder halt. Schwimmen? Ich hatte als Kind rote Haare und sieben Dioptrien. Das sind zwei Freibad-Ausschließungsgründe: Wer eine Haut hat, die sich nach fünf Minuten krebsrot färbt, und im Wasser eh nix sieht, geht lieber in den Keller als an den Pool: Für die in der Schule (sogar per Erlass oder Gesetz eigentlich verpflichtend) geforderte Schwimmkompetenz reichte es: Mit hoch erhobenem Kopf, prustend und keuchend kam ich 25, im Optimalfall 50 Meter weit. Das ist aber nicht "schwimmen", sondern "nicht ertrinken". Wenn überhaupt.

Foto: thomas rottenberg

Zuerst lief ich. Trotz einer massiven Fußfehlstellung, mit der es angeblich "unmöglich ist, dass du je auch nur 20 Minuten schmerzfrei laufen wirst". Physio, Lauftechnik und gute Schuhe bewiesen das Gegenteil. Richtig laufen lernte ich dann aber bei Sandrina Illes. Ich kam auf den Geschmack, leckte Blut und wollte mehr.

Sandrina ist Duathletin. Aber: Wenn mir jemand etwas beibringt, von dem "Experten" mir jahrelang sagten, dass es "nie" gehen wird, könnte es ja auch in anderen Disziplinen so sein. Also begann ich zu schwimmen: im Fitnesscenter. Nach einem Youtube-Video, aber planlos.

Foto: thomas rottenberg

Dann traf ich Harald Fritz. "Aus dir wird in diesem Leben zwar kein richtiger Schwimmer mehr, aber es ist keine Hexerei, da mehr draus zu machen, als 'Köpflein in der Höh'-Plantschen," sagte er mir und warf mich ins (beinahe) kalte Wasser.

Im Wortsinn: Seither schwimme ich eben und versuche, mir mein Nichtkönnen schönzureden. Denn Schwimmen ist vor allem eines: Technik. Wer davon so wenig Ahnung hat wie ich (und 98 Prozent der Restbevölkerung), kann entweder daran verzweifeln oder die "Luft nach oben" voll auskosten. Schließlich lernt man ja jedes Mal dazu. Wird besser und spürt oder sieht den Effekt sofort. Eine Frage des Blickwinkels: Das Glas ist halb voll.

Foto: thomas rottenberg

Cesenatico ist eines von 1.000 Tri-Camps. Aber dass ich auf eines fahre, bei dem ich weiß, worauf ich mich menschlich wie fachlich einlasse, ist hoffentlich nachvollziehbar. Das gilt genauso für Lauf- oder Radcamps: Der Markt boomt. Das Angebot ist unübersichtlich.

Auch weil es in diesem Bereich nicht immer einfach ist, Spreu und Weizen auseinanderzudividieren: Nur weil jemand laufen kann, ist er (oder sie) noch lange kein guter Trainer. Und nur weil er (oder sie) zu einer Gruppenreise zum Sport bittet, muss das noch lange kein gutes oder schlechtes Camp sein. Und zwar unabhängig davon, ob man auf die Kanaren, nach Mallorca, Griechenland, in die Toskana oder ins Waldviertel fährt.

Foto: thomas rottenberg

Das Missverständnis beginnt oft bei der Frage nach dem Sinn eines Trainingslagers. Denn darum, sich in einer Woche oder fünf Tagen da "voll die Kante" zu geben, gehe es dabei auf gar keinen Fall, erklärt Fritz. Klar habe man da mehr Zeit für Sport und weniger (hoffentlich ja: keinen) Begleitstress mit Arbeit und Alltag. Trotzdem warnt er vor Camps, bei denen man sich "zerstört": "Es geht darum, den Trainingsreiz systematisch und konzentriert zu steuern. Schwerpunkte zu setzen – und auch auf die Regeneration zu fokussieren. Auch wenn man da subjektiv viel mehr Zeit für Sport hat, sollte es auf keinen Fall um mehr als 50 Prozent mehr Zeit als sonst einnehmen." Die Gefahr, dass einem fad wird, besteht dennoch nicht.

Foto: thomas rottenberg

Cesenatico funktioniert genau so. Die Zeit und die Umfänge, die wir hier "herumkoffern", mögen von außen enorm wirken. Aber wenn man für eine Volldistanz trainiert, hat man in der Intensivphase eben Wochentrainingspläne mit 12 oder auch 15 Stunden Training. Wenn man da dann nochmal sechs bis acht Stunden dranhängt, kommt eben das raus, was wir gerade spielen: vor dem Frühstück eine Stunde schwimmen, danach ein paar Stunden hübsch hügelig Rad fahren, und dann eben, wenn auch nicht täglich, noch ein bisserl laufen. Und dann, außerhalb der Trainingszeitmessung, zum Abrunden und Runterkommen noch Stabitraining, Faszienmassage oder Yoga.

Foto: thomas rottenberg

Der Pool, den wir in der Früh so verfluchen, ist am Nachmittag unser bester Freund: Hier abhängen oder einfach am Strand liegen und das Meer anschauen ist da so ziemlich alles, was man noch will. Oder kann.

Aber da ist noch etwas: Mit einem Tagespensum, bei dem man rund 5.000 Kalorien am Tag verbrennt, kann, darf, soll und muss man essen. Viel ist da noch zu wenig. Und "gut" die zweitwichtigste Voraussetzung – sowohl was Geschmack als auch was die Qualität der Inhaltsstoffe angeht. "Was", ist meinem Körper aber gerade vollkommen egal: Es wird ohnehin verbrannt, bevor es sich irgendwo ansetzen kann.

Das Gute an "etablierten" Nebensaison-Trainingsdestinationen: Die Hoteliers wissen das, auch weil ihre Häuser da fast ausschließlich von ähnlich Verrückten wie uns heimgesucht werden: Unser Hotel war etwa halbvoll – ausschließlich mit Trainingsgruppen und ihren Familien.

Foto: thomas rottenberg

Die Region um Cesenatico ist ein Rad-Trainingstraum. Von hier stammt Marco Pantani – und daran wir man an jeder Ecke erinnert. Die unschönen Details spart man natürlich aus, auch wenn sie jeder kennt.

Eines muss allerdings schon auch gesagt werden: Das wahre Rad-Dorado, die Region um San Marino und die "Nove Colli" mit dem legendären 18-Grad-steilen Barbotto, liegt rund 15 bis 20 Kilometer im Landesinneren.

Foto: thomas rottenberg

Um auf die schönen Traumstecken zu kommen, muss man zunächst auf Hauptstraßen, die fest in den Händen italienischer Sattelschlepperfahrer sind. Und davon, dass seitliche Sicherheitsabstände weiter als 20 Zentimeter sein sollten, hat nicht jeder italienische Autofahrer gehört. Oder es ist ihm wurscht.

Doch im Unterschied zum Straßenradfahren in Österreich darf man sich getrost darauf verlassen, dass der Autofahrer nicht versucht, einen umzubringen, abzudrängen oder nach dem Überholen zu schneiden. Fensterwaschanlagen bleiben beim Radfahrer-Überholen ausgeschaltet – und ein Hupen bedeutet nicht "schleich dich", sondern "erschrick nicht". Das macht beim Fahren einen Unterschied – man muss sich aber trotzdem dran gewöhnen.

Foto: thomas rottenberg

Generell sind Disziplin und Gruppenkommunikation beim Straßenradfahren im Rudel das A und O. Einfach weil es saugefährlich ist und sehr rasch sehr schmerzhaft werden kann. Auch das lernt man bei so einem Trip: Am zweiten Tag überschlug sich eine mehr als erfahrene Radfahrerin aus meiner Gruppe in voller Fahrt unmittelbar vor mir. Einfach so. Sie schlug brutal mit dem Kinn auf – und musste mit drei Stichen genäht werden (sie fuhr am nächsten Tag schon wieder). Der Grund des Saltos? Ein Bremsfehler: Vorne ein Eitzerl zu fest. Pech. So was kommt vor.

Wieso ich nicht voll in sie reinknallte, weiß ich bis heute nicht: Um bewusst zu reagieren, war da schlicht und einfach keine Zeit. Ich war lediglich Zuseher, als mein Rad eine Notausweichbewegung machte, wie man sie beim Motorradführerschein lernt. Glück. Kein Glück, sondern Pflicht: Das Nicht-nur-Alibi-Erste-Hilfe-Set hinten am Sattel, egal wie uncool das aussieht.

Foto: thomas rottenberg

Denn eines muss man sich immer vor Augen halten: Draußen ist draußen, und man hat längst nicht alles in der Hand. Das erlebte ich am zweiten Tag dann selbst auf die harte Tour – beim Open-Water-Schwimmen am frühen Morgen.

Das Meer war spiegelglatt. Frisch, aber nicht wirklich kalt. Die Sonne stand noch niedrig: ein Traum. Die Aufgabe einfach, klar und alles andere als unmöglich: rausschwimmen zu einer Boje, die etwa 500 Meter vom Strand entfernt war. Fast 100 Meter konnte man gehen. Draußen dann parallel zum Strand zur nächsten Markierungsboje – und dann zurück.

Foto: thomas rottenberg

2.000 Meter Schwimmen kann ich. Das weiß ich. Erst recht in Salzwasser und mit Neopren: Im Notfall dreht man sich auf den Rücken, treibt wie ein Stück Holz und atmet dreimal tief durch.

Aber dann, nach nicht einmal 300 Metern, griff etwas nach mir: Ich hob den Kopf und sah ein Fischerboot. Unendlich weit weg, außerhalb jeder Schwimmzone. Keine Gefahr, sagte mein Kopf. Aber als der Kutter den Bug zu mir drehte und ich hörte, wie der Motor angeworfen wurde, kam die Panik. Kalt und ohne Vorwarnung. Ich bekam keine Luft, hatte das Gefühl, von meinem Neo zerquetscht zu werden. Mein Kopf sagte, dass das Boot weit weg war und auch nicht näher kommen würde. Dass ich zwei Kilometer mittlerweile locker (wenn auch nicht schnell) schwimmen kann. Dass alles in Ordnung war. Aber: Das kam alles nicht bei mir an. Ich schrie um Hilfe – und habe selten andere Menschen schneller schwimmen gesehen.

Foto: thomas rottenberg

Als ich wieder am Ufer war, war ich sauer. Sauer auf mich und den Streich, den ich mir gerade selbst gespielt hatte. Beim Blick hinaus aufs Wasser wurde mir schlecht. Keiner lachte mich aus. Im Gegenteil. Das ist wichtig. Aber je freundlicher und fürsorglicher die Gruppe wurde, umso grantiger wurde ich.

So konnte diese Session nicht enden. Ich zog den Zipp meines Neos hoch – und ging wieder hinaus ins Wasser, wortlos. Allein – auch wenn ich wusste, dass die anderen mir genau nachblickten. Bei jedem Schritt ging mein Puls höher. Ich konnte meine eigene Angst riechen. Aber dann sprang ich – und schwamm. Parallel zum Strand. Nicht einmal 100 Meter.

Doch um schneller, weiter oder höher ging es da nicht. Darum geht es nie. Es geht immer darum, einmal öfter aufzustehen, als man hinfällt.

Oder in diesem Fall wieder rauszugehen und die Angst nicht gewinnen zu lassen. Nicht in Cesenatico – und auch sonst nicht. (Thomas Rottenberg, 25.4.2018)

Mehr Bilder aus Cesenatico gibt es auf Thomas Rottenbergs Facebookaccount.

Foto: thomas rottenberg