Wien – Bonbons. Irgendwie hätte man auf die süßen Zuckerln getippt – eingewickelt in glänzende silberne, rote, blaue Papiere, geschüttet zu stattlichen Bergen, arrangiert zu verlockenden bunten Feldern. Ein Zuckerzeugberg im Theseustempel, der schwindet, dessen schimmernde Steilhänge abrutschen, weil die Spaziergänger im Volksgarten ihn eins ums andere Bonbon weglutschen. Ein Kunstwerk, das sich verzehrt und das, wenn es – wie von Felix Gonzalez-Torres (1957–1996) gewünscht – wieder aufgefüllt wird, sich quasi regeneriert.

Nun sind es die Glühbirnen einer Lichterkette, die den Raum des klassizistischen Tempelchens in ein zartes, regelrecht melancholisches Licht tauchen. Definitiv zahnschonender – aber in ihrer Symbolik sind diese Arbeiten gar nicht so weit voneinander entfernt. Auch die Birnen verlöschen irgendwann; im Verglimmen ihrer Glühfäden hauchen sie ihr Leben aus. Auch sie werden erneuert, so wünscht es das Konzept des vor zweiundzwanzig Jahren verstorbenen kubanisch-amerikanischen Künstlers. Die wilde Party ist vorbei, die süße Verlockung verspeist. In Leben, Liebe und Lust schwingen immer auch Vergänglichkeit, das Ephemere des Glücks und sein Verlust mit. Im Kreislauf des Lebens beginnt aber mit einer neuen Birne ein neuer Zyklus.

Foto: KHM-Museumsverband

Minimalismus und Gefühle

Es ist das erste Mal seit 2012, dass die vom Kunsthistorischen Museum (KHM) angestiftete Intervention (Kurator: Jasper Sharp) im Theseustempel nicht von einem lebenden Künstler vorgenommen wird. Aber Gonzalez-Torres ist trotz seines frühen Todes und eines überschaubaren Repertoires an Motiven ein weit über die 1990er-Jahre hinaus prägender Künstler. Bereits vor 20 Jahren war ihm im 20er-Haus (damals vom Museum moderner Kunst bespielt) eine große Retrospektive (die erste nach seinem Tod) gewidmet. Mit einfachen, unprätentiösen Materialien und Objekten, Kunstwerken, von denen man ein Stück mit nach Hause nehmen konnte, schuf Gonzalez-Torres sehr unmittelbar erfahrbare Arbeiten. Der Künstler vereinte die Strenge der Konzeptkunst und die Kühle des Minimalismus mit Poesie und Emotionalität. Und mit Gesellschaftspolitik.

Denn Gonzalez-Torres starb mit nur 38 Jahren an Aids, so wie nur fünf Jahre zuvor sein Lebensgefährte Ross Laycock und wie viele seiner Freunde und Bekannten auch. Künstler waren wesentlich in den politischen Aids-Aktivismus in den USA der 1980er involviert. Die "republikanischen Jahre" unter Ronald Reagan zeichneten sich durch gesteigerte Gegensätze aus: Reichtum gegen Armut, Weiß gegen Schwarz, Hetero- gegen Homosexuelle, Gesunde gegen HIV-Positive. In einer patriarchalen Gesellschaft war Gonzalez-Torres zur permanenten Gratwanderung zwischen öffentlich und privat regelrecht gezwungen. Das galt es zu ändern.

Politik des Intimen

1991 ließ er einen Gogo-Tänzer im Museum auftreten und verwandelte damit den öffentlichen Raum in einen privaten Ort schwulen Begehrens. Nach dem Tod von Ross fotografierte er das leere Doppelbett, fing in den Kissen Spuren des verlorenen Lebens ein. Als dieses Bild 1992 in New York plakatiert wurde, war das ein zutiefst politisches Statement: es erzählte von der Lebensrealität der in der Gesellschaft diskriminierten Homosexuellen.

Sinnbild für ein Liebespaar aus 84 Lämpchen: "Untitled (Lovers – Paris)" (1993) von Felix Gonzalez-Torres im Wiener Theseustempel.
Foto: KHM-Museumsverband

Gonzalez-Torres' Bonbonhaufen sind banal, solange man nicht weiß, dass manche genauso viel wiegen wie sein Geliebter in der Zeit vor der Krankheit. Eine Ode an seinen Partner ist auch die Arbeit Untitled (Perfect Lovers), die aktuell in der KHM-Ausstellung The Shape of Time zu sehen ist. Es sind zwei Uhren, die im Gleichklang ticken. Aber irgendwann wird eine davon – früher als die andere – stehenbleiben.

Auch das Duett der Lichterketten Untitled (Lovers – Paris) von 1993 erzählt vom Licht, das einer in das Leben des anderen bringt. Ursprünglich spielte Gonzalez-Torres darauf an, dass eine 60-Watt-Birne, die gleiche Wärmemenge abstrahlt wie ein menschlicher Körper. Heute sind in die Fassungen 8-Watt-Energiesparlampen gedreht. Ein Stück Symbolik geht dadurch verloren, denn diese sind nicht nur kälter, sondern sie halten beinahe ewig. (Anne Katrin Feßler, 24.4.2018)