Wie ein Monolith erhebt sich der Jebel Hafeet aus der Wüste Abu Dhabis. Eine Schachbrettsiedlung liegt dem Berg zu Füßen.

Foto: iStock / Iwona Rege
Foto: Getty Images/iStockphoto/ali suliman

Eine der spektakulärsten Gebirgsstraßen der Welt: Zwölf Kilometer lang ist sie, lückenlos gesäumt von weiß getünchten Betonblöcken als Schutz vor dem Sturz über die Abbruchkante.

Foto: Getty Images/iStockphoto/abalcazar

Wenn Mohammed Faruk morgens aufsteht, kann er aus mehr als tausend Meter Höhe auf die Wüste herabschauen. Es ist noch kühl, und manchmal hängt Nebel zwischen den Felszinnen. Anderthalb Straßenkurven sind es von hier bis zum tiefer auf einem Vorsprung gelegenen Palast der Herrscherfamilie. Das Tor ist fast immer geschlossen, keine Lampe ist hinter den dunklen Fenstern an. Die Al-Nahyans nutzen das sandbraune Gebäude am Steilhang nur als Wochenendhaus.

Mohammed Faruk aus Pakistan aber arbeitet hier oben, er hat den höchsten Job der Emirate, verkauft im Rasthaus auf dem Plateau des 1.240 Meter hohen Jebel Hafeet Chips und Cola, Orangensaft, Milchshakes und Snacks – jeden Tag. Und schon am Vormittag werden auf den elektrischen Wackeltieren vor seiner Kiosktür wieder Kinder reiten, sich mit einem Arm an den Hals der Kunststoffgiraffe oder des Elefanten klammern und in Papas Handykamera winken.

Ins endlose Hellbraun der Wüste

Das Plateau dieses bekanntesten Berges im Emirat Abu Dhabi, gut zweieinhalb Autostunden von der Hauptstadt entfernt und tief im Hinterland an der Grenze zum Oman gelegen, ist ein beliebtes Ausflugsziel bei den Einheimischen. Vor allem an den Wochenenden ist hier viel los – und im Sommer mehr noch als im Winter. Sie kommen, weil der Blick bei klarem Wetter grandios ist und über die Schachbrettstraßen der Oasenstadt Al-Ain hinweg ins endlose Hellbraun der Wüste reicht.

Sie kommen auch, weil es hier oben sechs bis acht Grad kühler ist als in der Ebene und manchmal ein leichter Wind weht. Und fast alle kaufen bei Mohammed Faruk ein. Nicht, weil der Heimweg so weit wäre – aber weil es dauert bis nach Hause. Viele bleiben immer wieder stehen und vergleichen die Ausblicke von jedem einzelnen der neun großen Parkplätze entlang der Strecke.

Sechzig Kurven bis nach oben

Manche kommen sogar allein wegen dieser Straße, weil ihnen andere davon erzählt oder weil sie davon gelesen haben, dass ein amerikanischer Automobilklub sie unter die zehn spektakulärsten Gebirgsstraßen der Welt gewählt hat. Zwölf Kilometer lang ist sie, lückenlos gesäumt von weiß getünchten Betonblöcken als Schutz vor dem Sturz über die Abbruchkante.

Dreispurig ist sie, zwei hinauf, eine hinab. Sechzig Kurven sind es bis nach oben, und nachts ist sie beleuchtet, als hätte ein Riese dem Jebel Hafeet ganz dekorativ eine Girlande übergeworfen. Im Winterhalbjahr finden hier immer wieder Rad- und Autorennen statt.

Kaum Wandersleut'

Den Gipfel zu Fuß zu erklimmen – auf diese Idee kommt kein Einheimischer. Dabei ist die rund vierstündige Wanderung vom Mubazzarah-Park mit seinen natürlichen Thermalquellen durch die mondähnliche Landschaft wirklich lohnend. Nur wenige Touristen nehmen den Aufstieg frühmorgens in Angriff und genießen die absolute Einsamkeit – ehe wie aus dem Nichts der Rummelplatz auf dem Plateau auftaucht.

Dass zu Füßen dieses großen Monolithen, der zu den Ausläufern des rostroten Hajjar-Gebirges gehört, bereits vor fünftausend Jahren Menschen gesiedelt haben, wissen auch die wenigsten. Die archäologischen Stätten, die restaurierten Kuppelgräber dieser frühen Kultur sind nicht ausgeschildert. Wer hinwill, muss ein paar Kilometer offroad durch den Sand, ein paar umzäunte Gehege mit Kamelen umfahren, sich zwischendurch mit freilaufenden Exemplaren um die "Vorfahrt" streiten.

Wie der zerfurchte Rücken eines schlafenden Drachen

Und dann sind sie da: diese seltsam kreisrunden Gemäuer, aufgetürmt aus den roten und den bräunlichen Felsbrocken der Umgebung. Tonscherben von Krügen aus Mesopotamien hat man hier gefunden, alte Handelsbeziehungen so nachweisen können – Jahrtausende, bevor jemand auf die Idee kam, eine Straße zum Gipfel in das Massiv zu sprengen. Von den Gräbern an der Ostseite des Jebel Hafeet aus ist sie sogar unsichtbar – als gäbe es sie gar nicht. Der Berg liegt still da wie der zerfurchte Rücken eines schlafenden Drachen. Fasst man ihn an, ist er warm, als ob er lebte.

Warum die Straße 1980 gebaut und der Wochenendpalast der Herrscherfamilie dort oben errichtet wurde? Weil es in einer Grenzregion nie schaden kann, so etwas wie einen Pflock einzuschlagen und allen zu zeigen: Hier fängt an, was uns gehört! Schaut her, hier gibt es einen Palast unseres Herrschers!

Klebrige Luft

So etwas schrumpft etwaige Ambitionen eines anderen, das eigene Territorium womöglich über Nacht ein klein wenig vergrößern zu wollen. Dabei wäre es heute nicht mehr nötig, die nachbarschaftlichen Beziehungen mit dem Oman sind ausgezeichnet.

Längst ist auch ein Hotel unterhalb jenes Palastes entstanden – für all jene, die über Nacht bleiben, zuschauen und -hören wollen, wie der Berg zur Ruhe kommt. Und für die, die durchatmen wollen, während die Luft unten in der Ebene klebrig ist von der Hitze des Tages. (Helge Sobik, RONDO, 3.5.2018)