Er meint es doch ernst mit dem Durchgriff: Im Streit um die Mindestsicherung schert sich Kanzler Sebastian Kurz wenig um die Wünsche der Bundesländer. Per Grundsatzgesetz will die Koalition eine österreichweite Regelung diktieren, die regionalen Regenten dürfen erst nachträglich ihren Senf dazugeben. Wer dabei nicht für Kürzungen à la Oberösterreich plädiert, wird seine Stellungnahme zum Gesetzesentwurf wohl für den Mistkübel produzieren.

Kein Wunder, dass sich rote und grüne Landesräte gefrotzelt fühlen. Schließlich hatte Sozialministerin Beate Hartinger-Klein nichts davon angekündigt, als sie sich vor kaum zwei Wochen mit den Vertretern der Länder beriet. Einmal mehr steht die blaue Ressortchefin als von der Regierungsspitze gegängeltes Leichtgewicht da, dessen Wort nichts zählt.

Abgesehen von diesen Stilfragen aber ist das von Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache angekündigte Diktat verständlich. Längst schon hätte die Mindestsicherung in der Verfügungsgewalt der Bundespolitik landen sollen. Es gibt keinen einleuchtenden Grund, warum sich jedes Land ein eigenes Sozialhilfesystem basteln soll, im Gegenteil: Die Eigenbrötelei eröffnet Ländern die Möglichkeit, Bedürftige mit gezieltem Sozialdumping zum Nachbarn zu vertreiben.

Zwar brauchen die Länder einen Spielraum, um die regional unterschiedlich hohen Wohnkosten abfangen zu können; wer etwa im Rheintal lebt, legt ungleich mehr für die Miete auf den Tisch als in den Abwanderungsgebieten der Obersteiermark. Doch so viel Flexibilität lässt sich auch in einem österreichweiten Modell mit einheitlichen Standards einräumen.

Nicht nur wegen Sabotage gescheitert

Gefühlte 78-mal haben die Wortführer der Länder in den vergangenen Jahren über gemeinsame Regeln verhandelt, sich aber nie geeinigt. Das lag nicht nur an der Sabotage mancher Bundespolitiker aus der ÖVP – unvergessen: Reinhold Lopatka – zu Zeiten der rot-schwarzen Koalition, sondern auch an den vielfältigen Konstellationen zwischen Eisenstadt und Bregenz. Für die schwarz-blaue Regierung Oberösterreichs sind Einschnitte für Flüchtlinge eine Bedingung, für die rot-grünen Wiener ein No-Go. Da hat Kurz schon recht: Es verspricht wenig Erfolg, auch noch die 79. Runde einzuläuten.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Dass die Vorgangsweise der Regierung einleuchtet, rechtfertigt noch lange nicht die inhaltlichen Ziele, die Kurz und Strache verfolgen. Gegen Kürzungen für Asylberechtigte sprechen nicht nur verfassungsrechtliche Einwände, die der Regierung mit großer Wahrscheinlichkeit Schranken setzen werden. Es ist auch ein Irrglaube, dass solche "Anreize" Flüchtlinge massenhaft in Jobs treiben könnten – das scheitert an mangelhaftem Deutsch und fehlender Ausbildung. Warum diese Menschen mir nichts, dir nichts mit viel weniger Geld auskommen können sollen als Normalbürger, hat noch niemand schlüssig beantwortet. Landen Ausländer in der Armut, wird Integration erst recht misslingen.

Doch das sind keine schlüssigen Argumente, um den Föderalismus in einer Frage hochzuhalten, in der dieser keine sachliche Berechtigung hat. Politische Kurswechsel sind nun einmal die Essenz einer Demokratie – und wer heute das türkis-blaue Diktat beklagt, sollte bedenken, dass nach einem Machtwechsel auch einmal linksliberale Vorhaben am Einspruch aus den Ländern scheitern könnten. (Gerald John, 25.4.2018)