Der Name der Nachfolgerin (oder des Nachfolgers) von Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny soll spätestens Mitte Mai der Öffentlichkeit bekanntgegeben werden. An den prestigereichen Posten knüpfen sich Hoffnungen, Sorgen und Begehrlichkeiten. Was sind die Anforderungen an eine moderne, urbane Kulturpolitik heute? Welche Typen sind gefragt? Die STANDARD-Kulturredaktion glaubt es zu wissen – und nennt Kandidaten

Pragmatikerin

Von den unterschiedlichen Begehrlichkeiten, die unter den immer zu kleinen Hut zu bringen sind, wissen Wiens Kulturstadträte ein Wiener Lied zu singen. Pragmatismus bedeutet, an den gemeinsamen Erfolg über Parteigrenzen und Interessensgemeinden hinweg zu glauben. Dazu bedarf es eines nüchternen Zugangs zur Realität: Gut ist, was sich als nützlich erweist. Da darf die eigene Leidenschaft nicht im Wege stehen, sondern nur der Sache gelten. Wiens Kulturpolitik hat einen solchen Pragmatismus nötig. Wer über den Dingen steht, hat nämlich einen besseren Blick auf die oft unübersichtliche Gesamtlage. So wie die Ex-Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums, Sabine Haag.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Bildungsbürger

Nur oberflächlich haftet diesem Begriff der Hautgout überwundener Zeiten an. Versteht man den Bildungsbürger nicht als selbstgefällige Zitatenschleuder, sondern als weltoffenen Citoyen, erscheint dieser unentbehrlicher denn je. Anstatt für kulturelle Eintönigkeit steht er für ein Verständnis von Kultur als Dienst am Gemeinwohl – und für klare Worte gegen antiaufklärerische Umtriebe. Im besten Falle entlastet er Kunst und Kultur von der ökonomischen Zweckanbindung, stärkt umgekehrt zivilgesellschaftlichen Geist. Das kann nur jemand, der sich aufs Ermöglichen versteht und sich von Menschen mit Ideen begeistern lässt. Jemand wie der Schriftsteller, Zeitschriftenherausgeber und Kulturvermittler Gustav Ernst.

Foto: APA/GERHARD KRESSER/THEATER KOSMOS

Aussitzerin

Wer regelmäßig ins Theater geht, weiß, wie unabdingbar – weit über die anatomische Notwendigkeit hinaus – Sitzfleisch ist. Ein Kulturstadtrat hat durchzuhalten, nicht nur eine dreistündige Performance, sondern auch die Anwürfe und Anliegen, die ihn, den umworbenen Geldtopfhüter und Gestalter, ereilen. Es gilt in Wien zahllose Meetings auszusitzen, in denen das Naturgesetz der halben Sache(n) seine volle Wirkung entfaltet. Das kann dauern. Gegebenenfalls werden Entscheidungen im Gasthaus (harte Bänke!) weiter verwässert. Da gehören Durchhaltevermögen und Widerstandsfähigkeit dazu. Darüber verfügt die künstlerische Leiterin des Festspielhauses St. Pölten, Brigitte Fürle.

Foto: Festspielhaus St. Pölten

Netzwerkerin

Von Bürgermeisterlegende Helmut Zilk heißt es, er sei mit jedem Wiener per du gewesen. Solch olympische Netzwerkleistung bleibt zwar Ausnahme. Sie ist jedoch von der hinkünftig kulturverantwortlichen Person zu studieren. Feste Beziehungsgeflechte werden ja auch im Reich der Künste gerne zum Überlebensfaktor. Sich treuer Freunde – auch innerhalb der eigenen Gesinnungsgemeinschaft – zu vergewissern, schützt den Job und das Kulturbudget vor dem Kahlschlag. Verlässliche Menschen sind da wichtig. Ebenso essenziell der Kontakt zu Künstlern: Zum einen erfährt der Amtsträger aus betroffener Hand authentisch von Sorgen. Außerdem signalisiert er durch kommunikative Art, aus der sich Netzwerke elegant ergeben, Wertschätzung. Wobei: Es gilt fleißig unzählige Veranstaltungen zu beehren; ein Kulturnetzwerker muss Kurzschläfer und Marathonläufer sein. "Das ist ein Job, da musst du schlafen gehen wie die Künstler und aufstehen wie die Hackler", warnte ein Bürgermeister seinen Kulturstadtrat vor Herausforderungen, die eine sicher kennt: ORF- Programmdirektorin Kathrin Zechner.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Dickkopf

Kulturpolitikern sagt man gerne nach, sie hätten von ihrem Metier im Grunde genommen nicht viel Ahnung. Oft bringt das realpolitische Verhältnisse hervor, in denen Entscheidungen weniger in den Händen der gewählten Repräsentanten, sondern vielmehr in jenen egomanischer Museumschefs und Theaterzampanos liegen. Schlimmstenfalls übernimmt die Bürokratie das Szepter. Einer sich dynamisch entwickelnden Stadt wie Wien täte der Mangel an kulturpolitischem Willen freilich nicht gut. Gibt es Ideen, so braucht es viel Dickköpfigkeit, diese auch durchzusetzen. Allen voran gegen die Wächter klammer Stadtfinanzen. Das nötige Politgewicht hätte der frühere Kulturminister Josef Ostermayer.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Idealist

Zum Idealismus gehört Herzblut. Es ist der Treibstoff der Leidenschaft, die jedem mit Kultur beschäftigten Menschen hoffentlich eigen ist, ansonsten droht das Urteil: Fehlbesetzung. Ein Idealist ist kein Kleingeist, sondern ein Generalist. Ein Wiener, der die Abgründe der Hauptstadt kennt und ihre Schleichwege. Dem Idealisten ist kein Randthema zu gering, kein Wagner zu lang. Er infiziert mit Begeisterung, reißt mit und eröffnet Künstlern wie Publikum Perspektiven. Seine Bildung hat er nicht am Amtsweg, sondern aus dem Leben bezogen. Er lässt andere glänzen, statt ihnen im Licht zu stehen. Was macht eigentlich Ex-Filmmuseum-Chef Alexander Horwath gerade?

Foto: Robert Newald

Diplomat

Dass man die Diplomatie gerne zu den Künsten zählt, sagt viel. Als Grundvoraussetzung für strategischen Erfolg gilt ihr nämlich die höchst artistische Beherrschung der menschlichen Leidenschaften. Der Diplomat hat sein Ziel erreicht, wenn Verbündete Verbündete bleiben, bestenfalls aber auch die Feinde zu Freunden werden. Intrige, Neid und Missgunst sind den Wienern nicht fern. Der scheidende Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny überlebte in diesem Wespennest 17 Jahre. Da half die Vergangenheit im diplomatischen Dienst. Das Rezept, Unruhestifter durch Gehör und Zuwendung sanft zu stimmen, will gelernt sein. Wer das kann? Ex-Kulturminister Thomas Drozda.

Foto: APA/Georg Hochmuth

Ideologe

Niemand kann bestreiten, dass gerade im Feld der Kultur Ideen produziert werden. Diese sind auf die Zustimmung möglichst vieler Menschen angewiesen. Sie wirken aber auch orientierend und befördern das Nachdenken der Menschen über ihre Rolle in der Gesellschaft. Das Konzept der "kulturellen Hegemonie" stammt von Antonio Gramsci (1891–1937). Eine solche Hegemonie meinte Ursula Pasterk, als sie – nach linker Mütter Weise – von der Wiener Kultur als "Ideologieressort" sprach. Ein ideologischer Kulturstadtrat wäre bildungsbeflissen. Er kümmert sich um Niederschwelligkeit, denkt emanzipatorisch und fordert Wiener mit Migrationshintergrund zur Teilhabe auf. Kandidat: SP-Kultursprecher Ernst Woller.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH