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Am Smartphone hängen hat auch Vorteile: Schüler erklären beim Reverse Mentoring Topmanager soziale Medien.

Foto: Getty Images

Anstatt an einem Montag wie für gewöhnlich in die Schule zu gehen, steigt Çağri Murat ins Flugzeug. Er schwänzt nicht, sondern ist auf dem Weg zu Gabriele Sommer, Leiterin der Personalabteilung von Tüv-Süd und Aufsichtsrätin der Firma. Der 19-jährige Kölner berät Firmenchefinnen und Manager in Sachen soziale Medien, Trends und Internetauftritt. Çağris Termin in München ist Teil des wissenschaftlichen Pilotprojekts "jung.digital.innovativ" des Europa-Instituts für Erfahrung und Management (Metis) an der Rheinischen Fachhochschule Köln. Und er ist eine Lösung, wie Firmen künftig mit der Digitalisierung und alternden Mitarbeitern umgehen.

Nicht mehr Alteingesessene zeigen den Berufseinsteigern, was sie im Arbeitsleben erwartet, sondern Gymnasiasten geben der Führungsetage eineinhalb Stunden digitale Nachhilfe gegen Bezahlung. So die Idee des Projekts. Denn wie eine Umfrage der Beratungsgesellschaft PWC unter mehr als 2000 Topmanagern weltweit zeigt, stufen nur 52 Prozent die Digitalkompetenz ihrer Firma als hoch ein. Çağri und seine Klassenkameraden hingegen kennen keine Welt ohne Internet, sind mit dem Smartphone aufgewachsen, nutzen ständig Whatsapp, Instagram und Snapchat.

Unabhängig und offen

Werner Bruns, Leiter des Metis-Instituts, forscht zur Übermittlung von Erfahrungswissen und hat das Projekt im September 2017 initiiert. "Durch die Digitalisierung und die älter werdende Gesellschaft gewinnt die Erfahrungsweitergabe von der jüngeren zur älteren Generation größere Bedeutung", sagt er. Reverse Mentoring heißt diese Form von Coaching, die im Prinzip nicht neu ist. Bereits vor 20 Jahren hat der US-Konzern General Electrics junge Mitarbeiter eingesetzt, um älteren die digitale Welt zu erklären.

Doch Bruns wollte zeigen, dass auch Schüler die Vorstände von Tui, Porsche, Airbus, 3M oder eben Tüv-Süd beraten können. "Früher war solches Wissen 20 Jahre aktuell, heute sind es nur noch fünf", sagt er. Eine 25-Jährige zählt zwar zu den Digital Natives, die Wahrscheinlichkeit, dass sie die gleichen sozialen Medien nutzt wie ein 14-Jähriger, sind aber sehr gering. Und Berufseinsteiger stünden in einer Abhängigkeit, könnten aufgrund der Hierarchie manche Dinge nicht offen ansprechen.

Çağri hatte hier keine Probleme, sagt er. "Anfangs war ich nervös, aber das Gespräch verlief gut, Frau Sommer war cool drauf und hatte sogar Vorwissen", sagt Çağri, der einen Youtube-Kanal betreibt. Knapp 5000 Abonnenten schauen seine Videos, in denen er Strategiespiele spielt und kommentiert. Das habe ihm geholfen, Dinge zu erklären. Seine Vorbereitung fürs Mentoring: Er hat mit Freunden darüber gesprochen. "Das ist wenig Aufwand dafür, dass ich im Gegenzug mehr Selbstvertrauen und Wirtschaftskontakte gewonnen habe", sagt der Schüler.

Generation in Arbeitswelt integrieren

Bevor Çağri nach München fliegen durfte, fragten Bruns und sein Forscherteam bei den Schülern aus dem Leistungskurs Informatik des Dreikönigsgymnasiums in Köln nach, welche Themen sie beherrschen. Anschließend mussten die Schüler zu einem Thema ein kurzes Erklärvideo schicken, dann wurden die Mentoren ausgesucht. Sie sollten den doppelt so alten Mentees zeigen, warum man auf Whatsapp kommuniziert, wie man Snapchatfilter einsetzt, welche Plattform für Werbung geeignet ist. Aber auch wie man mit einem Shitstorm umgeht und was alle an der App Musical.ly finden.

Bei den Mentorings geht es auch um die Frage, wie sich eine Generation, die mit digitalen Technologien aufgewachsen ist, in die neue Arbeitswelt integrieren lässt. "Das Wissen der Schüler für Firmen bereitzustellen ist wichtig, da sie vielleicht demnächst dort arbeiten. So wissen die Manager, welche Generation nachkommt", sagt Bruns. Ein attraktiver Arbeitgeber, so Çağri, hat einen authentischen Internetauftritt ohne Fehlermeldungen und stellt dort seine Mitarbeiter vor. Nicht mehr nur der gute Ruf, das Gesamtpaket zählt

Minderjährige Berater

Nicht nur im Recruiting, auch in der Werbebranche: Jugendliche sind für viele Firmen die Zielgruppe, doch diese haben Schwierigkeiten, die Jungen zu erreichen. Einer, der das erkannt hat, ist Charles Bahr. Der 15-Jährige hat vor einem Jahr seine Agentur Tubeconnect Media gegründet, mit der er Firmen, wie etwa den Ticketshop Eventim, im Social-Media-Marketing berät. Nicht nur sein Erfolg zeigt, dass Jugendliche ernst genommen werden, auch die Auswertung von Bruns' Experiment: "Die Betriebe wollen das System übernehmen. Es ist kostengünstig, zielführend und kann Innovation erzeugen, da die Manager sehen, was verändert werden kann." Daher wird das Projekt fortgesetzt, Schulpartnerschaften mit Firmen und eine Kooperation mit einer Wiener Uni sind geplant.

Çağri würde noch einmal ein Mentoring machen, ab Herbst möchte er aber studieren. Vielleicht liegt dann ohnehin die nächste App im Trend, die nur mehr seine Schulkollegen in der Unterstufe verwenden und bei ihm genauso Unverständnis erzeugen wie bis zu Çağris Besuch bei Gabriele Sommer Snapchat. (Selina Thaler, 28.4.2018)